Traditionell ist der sechsstündige WEC-Lauf in Spa-Francorchamps die Generalprobe für Le Mans. Doch seit der Aufwertung des WM-Titels wollen die Werke nicht mehr fahrlässig auf Punkte verzichten, um ihre Low-Downforce-Kits zu testen. Nachdem Silverstone bereits einen Kracher bereithielt, versprechen die sechs Stunden von Spa-Francorchamps einen weiteren spektakulären Showdown. Eigentlich hatten sich Fans auf das erste zweistellige LMP1-Starterfeld der WEC-Geschichte gefreut, doch die Ausdehnung der Abwesenheit von Rebellion Racing hat neben der schon länger angekündigten Abstinenz von Nissan das Feld wieder auf neun reduziert.

Stunde der Wahrheit für das Audi Sport Team Joest

Das soll aber nicht heißen, dass es langweilig werden würde, eher im Gegenteil: Die Berg-und-Talbahn in Spa verspricht eine weitere epische Schlacht zu werden. Audi kommt wieder in der alten Rolle als Gejagter in die Ardennen. Allerdings mag die Dominanz in Silverstone falsche Hoffnungen bei den Audi-Fans wecken: Der R18 e-tron quattro ist in schnellen Kurven klar am besten, auf der Geraden aber nach wie vor unterlegen. Silverstone hat viele schnelle Kurven, aber kaum lange Geraden. Spa hat auch schnelle Kurven, aber eben auch lange Geraden.

Hohe Schlagkraft: Audi wird mit gleich drei Fahrzeugen in Spa angreifen, Foto: Audi
Hohe Schlagkraft: Audi wird mit gleich drei Fahrzeugen in Spa angreifen, Foto: Audi

Das Audi Sport Team Joest geht trotzdem beflügelt in den zweiten Lauf des Jahres. Nach den Nackenschlägen in der zweiten Saisonhälfte 2014 war der Sieg genau das, was die Weltmeister von 2012 und 2013 gebraucht haben. Im Vorjahr erlebte Audi in Spa den ersten Vorgeschmack auf das, was am Ende der Saison eintreten sollte: Die R18 waren zu langsam, egal ob mit viel oder wenig Abtrieb. Die Auftaktsieger Marcel Fässler, Andre Lotterer und Benoit Treyluer kommen trotzdem mit geschwellter Brust in die Ardennen, während Lucas di Grassi, Loic Duval und Oliver Jarvis versuchen werden, die Enttäuschung aus Silverstone auszumerzen.

Bereits im Hinblick auf Le Mans werden Marco Bonanomi, Filipe Albuquerque und Rene Rast die Low-Downforce-Variante des R18 e-tron quattro erproben. Für Rast wird es die Rennpremiere in einem LMP1 sein. Audi wird genau darauf achten, wie sich der Bolide im Vergleich zu Porsche und Toyota in Spa schlägt, denn die hiesige Performance wird ein Gradmesser für die Rennen nach Le Mans sein, wenn es um den WM-Titel geht.

Porsche: Wird der Hybrid voll?

Nach der Dominanz bei den Testfahrten und im Qualifying von Silverstone dürfte die Pole Position in Spa fast schon im Voraus entschieden sein. Das gewaltige 8MJ-Geschoss aus Weissach fährt auf eine Runde fast alles in Grund und Boden und hätte im Formel-1-Starterfeld in Silverstone 2014 im Mittelfeld gestanden - trotz 200 Kilo mehr Gewicht. Auch bei Porsche gibt es ein drittes Fahrzeug, und das wird im medialen Fokus stehen: Nico Hülkenberg wird sein kompetitives LMP1-Debüt an der Seite von Nick Tandy und Earl Bamber geben. Die Traumkombination Hülkenberg-Alonso wurde von Honda verhindert.

Porsche ist auf der Geraden stark - das hilft in Spa, Foto: Porsche
Porsche ist auf der Geraden stark - das hilft in Spa, Foto: Porsche

Hülkenberg selbst schraubt die Erwartungen erst einmal herunter: "Der Langstreckensport ist für mich ein ganz neues Format – von daher bin ich echt aufgeregt und gespannt, wie das alles sein wird. Ich gehe offenherzig an die neue Herausforderung heran, will Erfahrungen sammeln und natürlich für Porsche und für mich einen guten Job abliefern." Noch immer hält sich Porsche bedeckt, ob dieser Wagen im Low-Downforce-Trimm antritt oder ob alle Fahrzeuge gleich ausgerüstet werden.

Von den Stammfahrern werden Romain Dumas, Neel Jani und Marc Lieb versuchen, die starke Leistung des Vorjahres zu wiederholen. Im erst zweiten Rennen holte der Porsche 919 Hybrid gleich seine erste Pole und führte das Rennen an, bis es zu Problemen kam, die auch in Silverstone das Fahrzeug von Timo Bernhard, Mark Webber und Brendon Hartley trafen. Dort konnte der Porsche sein gewaltiges Hybridsystem aufgrund fehlender harter Bremszonen nicht komplett aufladen - das ist in Spa anders. Ob das allerdings ausreicht, um die Gesamtmenge auch im Rennen jede Runde abrufen zu können, wird sich zeigen. In Großbritannien war das immer der Fall. Timo Bernhard wird mit einem speziellen Helm an den Tod von Stefan Bellof vor 30 Jahren erinnern.

Toyota: Reifenflüstern als Erfolgsgeheimnis?

Es wäre sicherlich falsch, von einer Enttäuschung zu sprechen, wenn der Rückstand im Ziel nach sechs Stunden nur zehn Sekunden beträgt, doch die Weltmeister von Toyota kamen in Silverstone nicht so zurecht wie man sich das in Köln wohl erhofft hatte. Noch ist die Toyota Motorsport GmbH (TMG) nicht beunruhigt: Silverstone sei traditionell kein gutes Pflaster für den TS040 Hybrid, hieß es. Das bedeutet aber auch, dass jetzt in Belgien Leistung gezeigt werden muss. Im Vorjahr siegten die späteren Weltmeister Anthony Davidson und Sebastien Buemi, damals noch mit Nicolas Lapierre.

Platz drei war in Silverstone bereits mehr als das Maximum, Foto: Toyota
Platz drei war in Silverstone bereits mehr als das Maximum, Foto: Toyota

Um der Startnummer 1 gerecht zu werden, sollte das möglichst wiederholt werden. Der Toyota bewegte sich in Silverstone genau zwischen Porsche und Audi: Nicht ganz so schnell geradeaus wie der 919, nicht ganz so schnell in den Kurven wie der R18, aber eben immer in der Mitte. Ob das im Durchschnitt ausreicht, wird sich nun zeigen, da in Spa eine Kombination aus Corner- und Straight-Line-Speed gefordert ist. Die Hochabtriebsstrecke in Northamptonshire kam dem Toyota nicht entgegen, so dass Davidson, Buemi und ihr neuer Teamkollege Kazuki Nakajima mit Platz drei recht zufrieden waren.

Dem gegenüber lief es beim zweiten Fahrzeug gar nicht rund: Alexander Wurz, Stephane Sarrazin und Mike Conway hatten einen großen Rückstand auch auf ihre Teamkollegen. Toyota verzichtet auf jegliche Le-Mans-Vorbereitung und wird die beiden TS040 Hybrid in einer High-Downforce-Variante ins Rennen schicken, obschon man im Vorjahr mit wenig Abtrieb in Spa gewann. Ganz besonders auf seine Rückkehr nach Spa freut sich Mike Conway: "Ich bin seit dem GP2-Rennen 2008 nicht mehr in Spa gefahren. Ich war viel zu lange weg!"

Toyota wird das zweite WEC-Rennen der Saison unter neuem Namen in Angriff nehmen: Das Team heißt ab sofort "Toyota Gazoo Racing" - ein Name, der VLN-Anhängern bekannt vorkommen dürfte. In Spa wird das Team rund um Toshio Sato vor allem auf die Vorteile beim Reifenverschleiß bauen wollen. In Silverstone brachte die Doppelstinttaktik das Weltmeisterauto wieder in den Kampf um den Sieg, nachdem es schon abgeschlagen schien. Der Umgang mit den Michelin-Gummis könnte auch in Spa-Francorchamps der Schlüssel zu Erfolg werden.

ByKolles mit verbessertem Fahrzeug

Klare Angelegenheit: G-Drive Racing hat in der LMP2 das Geschehen in Silverstone bestimmt, Foto: Adrenal Media
Klare Angelegenheit: G-Drive Racing hat in der LMP2 das Geschehen in Silverstone bestimmt, Foto: Adrenal Media

Erst in Spa debütiert der vollständig überarbeitete CLM P1/01 des Teams ByKolles. Simon Trummer und Vitantonio Liuzzi sind in Belgien noch einmal ohne Gegner. In Silverstone ließ ByKolles 25 Punkte im Kampf um die LMP1-Privatwertung liegen, jetzt gilt es, wenigstens noch die Hälfte des möglichen Vorsprungs herauszuholen, bevor Rebellion Racing in Le Mans zum ersten Mal auflaufen wird. Es wäre vermessen zu glauben, dass ByKolles mit dem verbesserten Fahrzeug, bei dem insbesondere die bisherige Achilles-Ferse, das Getriebe, getauscht wurde, die Werkswagen angreifen kann. Deutlich von den LMP2 sollte man sich jetzt aber doch absetzen, um die Ankündigung zu erfüllen.

In der LMP2-Kategorie gibt es einige Neuerungen: Das Team SARD-Morand greift verspätet in die Saison ein, allerdings mit nur noch einem Morgan Evo. Gleichzeitig wird Extreme Speed Motorsports seine neuen Ligier JS P2 debütieren, die anders als die anderen Onroak-Mobile von einem Honda-Aggregat angetrieben werden. Die Favoriten sind jedoch die Nissan-befeuerten Ligier von G-Drive Racing, die die Latte in Silverstone gewaltig hochgelegt haben. Derzeit erscheinen Roman Rusinov, Julien Canal und Sam Bird sowie Gustavo Yacaman, Pipo Derani und Ricardo Gonzales unschlagbar. Für KCMG geht unterdessen die Entwicklung des Oreca 05 weiter. Als Gaststarter ist Jota Sport mit einem Gibson 015S vertreten.

Ferrari wieder in Gejagtenrolle

Es sah zunächst gar nicht danach aus, doch am Ende waren es in Silverstone wieder Toni Vilander und Gimmi Bruni, die die Siegertrophäe in der GTE Pro stemmen konnten. Wieder einmal liegt das Erfolgsduo im GT Weltcup vorn. Von den ärgsten Verfolgern wird nur Richard Lietz in Spa punkten können, da Michael Christensen in der USCC unterwegs sein wird. Lietz spannt mit Fred Makowiecki zusammen, was eine schlagkräftige Paarung verspricht. Für den zweiten Porsche wurde Kevin Estre von McLaren ausgeliehen, an seiner Seite wird sich Sven Müller für künftige Aufgaben empfehlen dürfen.

Fahrernot: Die Terminüberschneidung mit der USCC zwingt Porsche zu einer Notlösung, Foto: Porsche
Fahrernot: Die Terminüberschneidung mit der USCC zwingt Porsche zu einer Notlösung, Foto: Porsche

Mit ein wenig Aufholbedarf kommt Aston Martin in die Ardennen: Die V8 Vantage waren zwar in den Trainings in Silverstone stark, konnten im Rennen aber nicht mit Ferrari und Porsche mithalten. Einen starken Eindruck hinterließ die Young-Driver-Mannschaft bei ihrem ersten Auftritt in der GTE Pro, die gleich bestes AMR-Team wurde. Die langgezogenen Kurven in Silverstone lagen dem Frontmotor-Boliden nicht, Spa sollte dem Vantage schon eher entgegenkommen. Stefan Mücke und Darren Turner lernen außerdem Rob Bell für Le Mans an.

In der GTE Am hingegen geht alles nur über Aston Martin Racing. Paul Dalla Lana, Pedro Lamy und Mathias Lauda siegten wenig überraschend in Silverstone. Stark präsentierten sich dort aber auch Emmanuel Collard und Francois Perrodo in ihrem neuen Rennstall AF Corse, in dem sie von Rui Aguas unterstützt werden. Als Tabellendritte reist die russisch-italienische Kooperation SMP Racing mit den Fahrern Viktor Shaitar, Alexey Basov und Andrea Bertolini an.