Claude Jaggi ist die Schweizer Stimme der MotoGP. Als einer von zwei Kommentatoren des SRF begleitet er den Weg von Tom Lüthi oder Dominique Aegerter seit 2007. Motorsport-Magazin.com sprach mit Jaggi über Lüthis Star-Status und die Zukunft des Schweizer Motorradsports:

Claude, du begleitest die Motorrad-WM seit fast einem Jahrzehnt. Hat sich der Stellenwert des Motorradsports in dieser Zeit in der Schweiz verändert?
Claude Jaggi: Es gab beim Saisonfinale 2005 einen riesigen Hype um Tom Lüthi und SRF ist hat damals wieder begonnen regelmäßig die Rennen der Motorrad-WM zu übertragen. Es gab unglaublich hohe Einschaltquoten und Tom ist über Nacht zum Star geworden. Er wurde damals sogar zum "Sportler des Jahres" gewählt - noch vor einem Roger Federer. Die Motorsport-Fans sind unserem Sender seither treu geblieben, aber mit denen alleine machst du keine Quote. Die höchsten Zuschauerzahlen haben wir daher noch immer, wenn einer der Schweizer in der Moto2 in der ersten Reihe steht, denn dann schaltet auch der "normale" Sportfan ein.

Lüthis WM-Titel liegt mittlerweile elf Jahre zurück. Genießt er als bislang letzter Schweizer Motorrad-Weltmeister noch immer einen Sonderstatus in der Gunst der Fans?
Claude Jaggi: Ja, er ist über all die Jahre ein Star geblieben. Tom gehört in der Schweiz in die erste Reihe der Sportstars mit Roger Federer, Stan Wawrinka, Fabian Cancellara oder Dario Cologna. Dabei hatte er direkt nach seinem Titel eine schwere Zeit und diese abrupte Steigerung der eigenen Bekanntheit hat sich negativ auf seinen Karriereverlauf unmittelbar nach 2005 ausgewirkt. Es war plötzlich sehr viel Druck da.

Mittlerweile fährt Tom im Schweizer Dream Team gemeinsam mit Dominique Aegerter und Robin Mulhauser. Wie wichtig ist dieses Moto2-Projekt von Fred Corminboeuf für den Stellenwert des Motorradsports in der Schweizer Öffentlichkeit?
Claude Jaggi: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung und hat mehr Aufmerksamkeit für den Motorradsport generiert. Es ist gut, die Kräfte zu bündeln, aber dem TV-Zuseher ist es egal, ob Domi und Tom jetzt in einem Team fahren oder nicht. Am Ende liegt es an den Leistungen der einzelnen Fahrer. Ich befürchte, dass das Interesse sinkt, sobald sich die Jungs aus der Motorrad-WM verabschieden.

Claude Jaggi kommentiert für SRF, Foto: SRF
Claude Jaggi kommentiert für SRF, Foto: SRF

Wie schwierig gestaltet sich die Nachwuchsförderung und Talentsuche in der Schweiz angesichts des Rundstreckenverbots?
Claude Jaggi: Pocketbike oder Motocross sind in der Schweiz ja erlaubt. Da kann sich der Nachwuchs in der Heimat seine ersten Sporen verdienen. Das Problem sind eher die nicht vorhandenen Strukturen. Alles ist abhängig von den eigenen Eltern oder externen Förderern, die sich um die Jungs kümmern. Motorradsport kostet viel Geld und ohne finanzielle Hilfe hast du als Junger keine Chance. In der Schweiz gibt es leider keine Klubs oder einen Verband, der Kurse veranstalten würde.

Dabei habt ihr in der Schweiz doch so eine große Motorrad-Tradition. Wenn man zum Beispiel an einen Dörflinger oder Kneubühler denkt...
Claude Jaggi: Die Fans sind zahlreich und es gibt auch viele Hobby-Töff-Fahrer in der Schweiz. Die Probleme begannen erst, als Dörflinger, Kneubühler oder Rolf Biland (siebenfacher Seitenwagen-Weltmeister) weg waren und die Seitenwagen aus dem Programm der Motorrad-WM-Läufe gestrichen wurden. Da gab es jahrelang keine TV-Übertragungen mehr in der Schweiz und das hat wahrscheinlich eine halbe Generation an Fans und letztlich an Nachwuchs gekostet. Aber durch Toms Titel 2005 hat man gemerkt, dass der Nährboden für Motorradsport noch immer da war. Wir hatten damals 800.000 Zuschauer in der Deutsch-Schweiz und einen Marktanteil von 60 bis 70 Prozent. Da schlug die Motorrad-Tradition wieder voll durch.

Wie ist es denn aktuell um den Schweizer Nachwuchs bestellt?
Claude Jaggi: Daniel Epp hat mir gesagt, dass es ein paar Junge gibt, die in ein paar Jahren Moto3-reif sein könnten. Heutzutage musst du in der Moto3 beginnen, wenn du dich langfristig in der WM halten willst. Bei Mulhauser oder Raffin hat man deutlich gesehen, dass man nicht so einfach in die mittlere Klasse einsteigen kann. Da ist es auch egal, wie gut man in dieser Klasse in der spanischen Meisterschaft oder der IDM abgeschnitten hat.

Bald feierst du dein zehnjähriges Jubiläum im MotoGP-Paddock. Wie schwer fiel dir eigentlich der Einstieg in die Szene?
Claude Jaggi: Es war damals für mich ein Abenteuer, auf das ich mich eingelassen habe. Ich habe mich sensationell schnell eingelebt und wurde von Beginn an mit offenen Armen empfangen. In Valencia 2006 bin ich das erste Mal im MotoGP-Paddock gewesen und war sofort Feuer und Flamme. Bis heute sind alle Schweizer Fahrer und ihr Umfeld offen und zugänglich geblieben.