Die deutschen MotoGP-Fans ereilte am Sonntag unmittelbar vor dem Start des Moto2-Rennens eine Hiobsbotschaft: Kiefer Racing bekommt für die Saison 2020 keine Startplätze von der Dorna. Was Jochen Kiefer im Gespräch mit ServusTV bestätigte, führte der Teamchef in Brünn wenig später im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com ausführlich aus.

Jochen, wann habt ihr diese Hiobsbotschaft von der Dorna erhalten?
Jochen Kiefer: Am Samstagmorgen, also gestern, bin ich von Mike Trimby und Carlos Ezpeleta zu einem Meeting eingeladen worden und habe dort rasch gemerkt, was Sache ist. Unmittelbar vor mir war Tasca Racing im Büro und die sind mit steinerner Miene herausgekommen. Dann bin ich rein und es gab ein kurzes Gespräch, in dem sie mir erklärt haben, dass sie das Feld reduzieren wollen und ich keinen Vertrag mehr für nächstes Jahr bekomme.

Am Sachsenring hast du uns ja noch erklärt, dass du dich um ein zweites Motorrad bewirbst für 2020. Hattest du deine Bewerbungen für nächstes Jahr schon fertig oder gar abgegeben?
Jochen Kiefer: Die Bewerbung muss am Donnerstag vor Silverstone abgegeben werden und ich hatte alles vorbereitet.

Was bedeutet das für eure Nachwuchsarbeit, wenn der Moto2-Rennstall als Brückenkopf in die Motorrad-WM wegbricht?
Jochen Kiefer: Im Moment heißt das, dass ich keinen WM-Startplatz habe und mich auf anderen Bühnen umschauen muss, wo wir agieren werden. Ich kann noch nicht sagen, wo das sein wird, aber wir sind ja bereits in der Europameisterschaft tätig und die Wahrscheinlichkeit ist relativ hoch, dass ich dort etwas machen werde.

Siehst du eine Chance, in irgendeiner Form in der Moto3 weiterzumachen?
Jochen Kiefer: Man hatte mir nahegelegt, ein Zwei-Mann-Team in der Moto3 zu machen. Aber das war für mich keine Option, weil ich mit Lukas Tulovic einen Drei-Jahres-Plan hatte, den ich im Moment natürlich so nicht mehr weiterführen kann.

Wie tief sitzt der Schock? Wie sind deine Emotionen?
Jochen Kiefer: Wir waren 15 Jahre Teil der MotoGP und haben zwei WM-Titel geholt. Wir haben elf Grand-Prix-Siege auf dem Konto, sind noch viel häufiger auf dem Podest gestanden. In den kleinen Klassen, in denen wir tätig waren, haben wir alles gewonnen, was es zu gewinnen hab. Es tut mir unendlich weh, dass diese Leistungen nicht gewürdigt werden. Und als deutschem Team, denn so viele gibt es ja nicht in diesem Paddock, tut es uns noch viel mehr weh, dass ich gehen muss. Ich kann es nicht nachvollziehen.

Welche Begründung haben sie dir für das Aus gegeben?
Jochen Kiefer: Die Begründung war, dass sie reduzieren wollen und mit den Ein-Mann-Teams anfangen wollen. Ich habe mich allerdings seit Jahren für ein zweites Motorrad stark gemacht, den Platz aber nie bekommen. Es war daher gar nicht meine Entscheidung, nur mit einem Ein-Mann-Team anzutreten.

Könntet ihr euch vorstellen, künftig in der WM irgendwie mit Dynavolt Intact GP oder dem Prüstel-Team zusammenzuarbeiten?
Jochen Kiefer: Mit Prüstel sind wir schon ein wenig näher gekommen, aber wir wollen zuerst versuchen, die Kohlen noch selbst aus dem Feuer zu holen.

Ein Engagement in der Motorrad-WM ist vorerst aber fix vom Tisch, oder?
Jochen Kiefer: Ich habe zur Kenntnis genommen, was mir mitgeteilt wurde. Aber ich habe es noch nicht akzeptiert. Ich arbeite nun dran und vielleicht steht auch Deutschland hinter mir und sagt: Das kann nicht sein, dass Kiefer Racing gehen muss. Ich nenne jetzt zwar keine Namen, aber wenn man hier durch das Fahrerlager schaut, dann haben es andere Teams eher verdient zu gehen als wir. Das ist meine Meinung, aber ich sehe ja nicht durch die spanische Brille.

Also siehst du schon noch eine Chance, diese Entscheidung rückgängig machen zu können?
Jochen Kiefer: Die Hoffnung stirbt zuletzt und ich werde alles in meiner Macht stehende tun.

Update: Statement vom 5. August

Am 5. August um 16.00 Uhr veröffentlichte Kiefer Racing folgendes Statement von Jochen Kiefer via Presseaussendung:

"Für uns ist es absolut unverständlich, dass wir gehen müssen. Auf der anderen Seite war es schon lange offensichtlich, dass der Dorna und IRTA Ein-Fahrer-Teams ein Dorn im Auge sind. Daher haben wir uns auch um einen zweiten Startplatz bemüht. Wir haben in dieser Hinsicht mehrmals angefragt und haben auch gute und vielversprechende Optionen vorlegen können. Vor allem aus deutscher Sicht wären diese sehr interessant."

"Wir sind auch soweit, die Finanzierung eines Zweifahrer-Teams belegen zu können. Doch das hat alles nicht gezählt. Wir sind bis dato ein Ein-Fahrer-Team und diese sollen ausgemustert werden. Es ist trotzdem nicht nachvollziehbar, dass ein Team mit langer Tradition in der Weltmeisterschaft rausgeschmissen wird. Wir haben uns in all den Jahren in diesem Paddock nichts zu Schulden kommen lassen. Abgesehen davon können wir grosse Erfolge mit zwei WM-Titel und insgesamt elf Grand-Prix-Siege vorweisen."

"Darüber hinaus haben wir uns immer auf unsere Fahnen geschrieben, den deutschen Nachwuchs zu fördern und junge Fahrer aus Deutschland in die Weltmeisterschaft zu bringen. Aktuell gibt es in Mitteleuropa sowieso nur sehr wenig aussichtsreiche Talente. Mit Lukas Tulovic haben wir in diesem Jahr wieder ein Projekt in dieser Hinsicht gestartet. Wir haben mit ihm ein Dreijahres-Programm geplant. Ausserdem haben wir in Mugello die Offerte bekommen, in die neue KTM ETC-Serie einzusteigen. Wir wollten nächstes Jahr mit vier Fahrern in diesem Cup antreten, während wir in der CEV-Serie mit Moto3 Junior WM und European Talent Cup schon seit mehreren Jahren dabei sind."

"Auch diese Engagements unsererseits wurden nicht berücksichtigt. Die Entscheidung seitens der Verantwortlichen, uns keinen Startplatz mehr zu geben, ist also in vielerlei Hinsicht nicht nachvollziehbar. Es wurde uns in der Vergangenheit immer das Gefühl gegeben, dass wir der Ansprechpartner rund um das Thema Nachwuchs in Deutschland sind. Daher fragen wir uns nach der Ernsthaftigkeit, deutsche bzw. deutschsprachige Talente zu fördern, wenn deutschen Teams keine Türe im Fahrerlager der Weltmeisterschaft offen steht."

"Wir werden aber nicht so schnell aufgeben, damit vielleicht massgebliche Herrschaften in Deutschland aufmerksam werden und gemeinsam mit den Verantwortlichen der Weltmeisterschaft diese Entscheidung nochmals überdenken. Unsere Chancen sind nicht gross, doch man sollte nichts unversucht lassen. Wir sind auch überwältigt von den Reaktionen seit Bekanntwerden dieses Entschlusses. Wir hätten nie gedacht, dass wir so viele Fans haben. Es ist gut zu wissen, diesen Rückhalt zu haben."