24 Stunden, 761 Runden, 4.337 Kilometer - und am Ende 0,016 Sekunden Abstand. Das Finish in der LMP2-Klasse bei den 24 Stunden von Daytona 2023 war eines für die Geschichtsbücher des US-Klassikers. Sicherlich stand bei der 61. Auflage des 'Rolex 24' in Florida das Debüt der brandneuen LMDh-Autos von BMW, Porsche, Acura und Cadillac im Fokus. Die heimliche Story des Rennens schrieb aber der wahnsinnige Sieg von Proton Competition unter der Leitung von Christian Ried.

Letzte Runde, letzte Kurve, Krimi: Proton-Fahrer James Allen im #55 Proton-LMP2 saugte sich in den Ovalkurven des Daytona International Speedway immer weiter an den Führenden Ben Hanley im Führenden #04 Crowdstrike Racing by APR-LMP2 heran und schaffte es in einem echten Foto-Finish, die Ziellinie mit einer Nasenspitze Vorsprung zu überqueren. Das Video dieser Szene wurde in den sozialen Medien schier unzählige Male geteilt.

Typisch amerikanisch war es ein echtes Happy End für das langjährige Porsche-Kundenteam Proton Competition: Noch am Donnerstag vor dem Rennstart war der #55 Proton-LMP2 im Training verunfallt und musste aufwendig repariert werden. Drei Tage später der erste Klassensieg bei den 24 Stunden von Daytona für Allen und seine Teamkollegen Fred Poordad (58 Jahre alt), Francesco Pizzi (18 Jahre jung) sowie Porsche-Werksfahrer Gianmaria Bruni (41) - Hollywood lässt grüßen.

"Ich habe mir das Rennende nicht am Bildschirm angeschaut, sondern bin zur Hauptgeraden gegangen und habe gewartet, bis sie vorbeifahren", sagte Nachwuchspilot Pizzi, der 2022 in seinem erst dritten Jahr im Automobilsport in der FIA Formel 3 fuhr und in Daytona erstmals ein Langstrecken-Rennen bestritt. "Als ich gesehen hatte, dass wir gewonnen haben, habe ich erst mal gar nichts verstanden. Ich bin ja noch nie ein Endurance-Rennen gefahren!"

Sicherlich half eine späte Full-Course-Yellow-Phase - die 14. des Rennens - rund 35 Minuten vor dem Ablauf der Zeit tatkräftig mit, den Spannungsbogen bis zum Anschlag auszureizen. Doch das tat dem Spektakel keinen Abbruch, als 26-jährige James Allen aus Australien zu einer unnachahmlichen Aufholjagd ansetzte und innerhalb von 15 Runden vom vierten bis auf den ersten Platz in der LMP2-Klasse nach vorne stürmte.

Allen startete bereits in der vorletzten Runde einen Angriff auf Spitzenreiter Hanley, für ein sicheres Überholmanöver reichte es allerdings nicht. Allen gelang es dann im letzten Umlauf im Tri-Oval, sich in den Windschatten seines Vordermannes zu hängen, der leicht von einem überrundeten Auto eingebremst wurde. Mit dem Geschwindigkeitsüberschuss zog Allen in der letzten Ovalkurve hinter dem APR-Boliden heraus und überquerte den Zielstrich mit einem Wimpernschlag Vorsprung.

"Ich glaube, ich habe vom Speedway 4 bis zur Ziellinie nicht mehr geatmet", sagte Allen nach seinem ersten Daytona-Klassensieg im dritten Anlauf. "Das war so ein verrückter Moment für mich. Ich glaube nicht, dass ich so etwas schon einmal erlebt habe und wahrscheinlich werde ich es auch nie wieder. Das war einfach ein tolles Gefühl."

Allen weiter: "Als ich das Auto von AF Corse (Platz drei; d. Red.) überholt hatte, war der Abstand recht groß. Ich hatte nicht mehr daran geglaubt, ihn noch einzuholen. Langsam, aber sicher verringerte sich der Rückstand aber und merkte schon in der vorletzten Runde, dass ich einen guten Run bis zur Ziellinie haben würde. Deshalb sah ich keinen Grund, ihn in einen Fehler zu treiben oder verrückte Risiken einzugehen. Ich hatte ja den Speed auf der Geraden."

In der Hälfte der Runde ging es dann los mit den Gedankenspielen im Cockpit des Proton-LMP2, wie Allen beschrieb: "Als ich aus der Bus-Stop-Schikane herausfuhr, dachte ich: 'Habe ich alles richtig gemacht? Habe ich noch genug Zeit. Habe ich den Kurvenausgang gut genug getroffen? Zum Glück hatte ich es, und ich schnappte ihn mir kurz vor der Linie."

Proton-Teambesitzer, Rennfahrer und Unternehmer Ried hatte in Daytona sogar doppelten Grund zur Freude: Neben dem LMP2-Klassensieg konnte seine Mannschaft auch in der GTD-Pro-Kategorie triumphieren: Der von Proton Competition betreute #79 Mercedes-AMG GT3 von WeatherTech Racing mit dem nun zweifachen Daytona-Sieger Maro Engel, Daniel Juncadella, Jules Gounon und WeatherTech-CEO Cooper MacNeil setzte sich in der GT3-Klasse durch.