Das weltweit mit großer Spannung erwartete Debüt der neuen LMDh-Autos von BMW, Porsche, Acura und Cadillac beim 24-Stunden-Rennen von Daytona 2023 steht bevor. Mit an Bord der 500 kW (680 PS) starken Prototypen der vier Marken: das deutsche Traditionsunternehmen Bosch als exklusiver Lieferant des einheitlichen Hybridantriebes.

Vor dem Rennstart bat Motorsport-Magazin.com in Daytona Bosch-Motorsportchef Ingo Mauel zum Interview. Der diplomierte Elektrotechniker zählt zu den langjährigen Mitarbeitern des größten Autozulieferers der Welt und ist bereits seit 1996 für Bosch tätig.

Herr Mauel, was geht in Ihnen vor, wenn Sie die LMDh-Autos hier in Daytona sehen? Schwingt da auch eine Portion Stolz mit, als Bosch ein Teil dieser neuen Ära zu sein?
Ingo Mauel: Ja, das macht uns stolz. Ich freue mich, dass hier in Daytona etwas ganz Großes im Motorsport seinen Anfang nimmt. Wir haben das Hybridsystem für die neuen LMDh-Autos in sehr enger Zusammenarbeit mit den Herstellern und den Veranstaltern entwickelt, und jetzt geht es endlich los.

Wo lagen die größten Herausforderungen, ein einheitliches Hybridsystem an vier unterschiedliche Hersteller zu liefern?
Ingo Mauel: Wir liefern den Hybridantriebsstrang, also Motor, Inverter und das elektrische Bremssystem, und übernehmen die Systemintegration. Eine große Herausforderung war die Komplexität dieses Projekts. Wir arbeiten mit zwei Rennserien und vier Herstellern zusammen, die gleichzeitig starten. Das alles zu koordinieren, war eine sehr große Herausforderung für das gesamte Team. Die Kommunikation mit vielen Parteien spielte eine wichtige Rolle. Und es ist kein Geheimnis, dass die Corona-Pandemie und globale Lieferengpässe eine zusätzliche Herausforderung bedeuteten. Wir haben darauf reagiert und diverse Maßnahmen getroffen, um die Termine einhalten zu können. Dabei möchte ich noch einmal die sehr gute Zusammenarbeit mit den Herstellern und Rennserien hervorheben.

Foto: BMW M Motorsport
Foto: BMW M Motorsport

Bosch blickt auf legendäre Siege mit Audi in Le Mans zurück. Konnte man bei der Entwicklung des Hybridsystems von der Erfahrung bei 24-Stunden-Rennen profitieren?
Ingo Mauel: Ja, auf jeden Fall, gleichzeitig sind wir in vielen weiteren Rennsportkategorien vertreten. Bosch blickt auf eine über 100-jährige Geschichte im Rennsport zurück. Einerseits verfügen wir über das nötige Knowhow im Motorsport, gleichzeitig haben wir unsere Expertise aus der Serie in das LMDh-Projekt eingebracht, um das Hybridsystem gemeinsam zu entwickeln.

Hatte Bosch ausreichend Zeit für die Entwicklung des Hybridsystems?
Ingo Mauel: Die Zeit war sicherlich knapp. Wir haben viel in unser Team investiert und die Mannschaft verstärkt, um die Zeitpläne einzuhalten. Das geschah in sehr enger Zusammenarbeit mit den Herstellern, um ein optimales System entwickeln zu können. Dabei herrschte stets eine große Transparenz, um das bestmögliche Ergebnis für alle Beteiligten liefern zu können. Anpassungen bei mechanischen Komponenten oder Updates der Software sind üblich bei solchen Projekten im Rennsport.

Bosch-Motorsportchef Ingo Mauel, Foto: Bosch Motorsport
Bosch-Motorsportchef Ingo Mauel, Foto: Bosch Motorsport

Wie fällt Ihr Fazit zur Entwicklungsphase aus?
Ingo Mauel: Wir können ein positives Fazit ziehen. Allen Herstellern ist es gelungen, ihre Autos rechtzeitig zum geplanten Debüt hier in Daytona zu entwickeln und an den Start zu bringen.

Wie relevant ist das Hybridsystem eigentlich mit Blick auf den Kampf um den Gesamtsieg?
Ingo Mauel: Die Komponenten des Hybridsystems sollten nicht ausschlaggebend dabei sein. Es handelt sich ja um ein einheitliches System. Ausschlaggebend ist vielmehr die Strategie, die die Hersteller im Rennen nutzen. Die Autos können ja mittels des elektrischen Bremssystems rekuperieren, also Energie zurückgewinnen. Im Zusammenspiel mit den frei entwickelten Verbrennungsmotoren ergeben sich einige spannende Möglichkeiten, auf die die Teams im Rennen zurückgreifen können, um sich einen Vorteil zu erarbeiten.

Foto: LAT Images
Foto: LAT Images

Was überwiegt bei Ihnen kurz vor dem Rennstart: Anspannung oder Vorfreude?
Ingo Mauel: Ich fühle eine positive Aufregung im gesamten Team. Das habe ich bei meiner Ankunft hier in Daytona richtig gespürt. Wir freuen uns alle, dass es jetzt losgeht. Das ist für Bosch ein besonderes Projekt mit großer Strahlkraft, auf das wir alle sehr hart hingearbeitet haben. Und ja, es herrscht auch Anspannung, wie das beim Launch eines jeden neuen Großprojekts der Fall ist. Wenn etwas im Rennen passieren sollte, müssen wir schnell reagieren und Maßnahmen ergreifen.

Wie kann Bosch reagieren, falls während des Rennens Probleme mit dem Hybridsystem auftreten sollten?
Ingo Mauel: Wir haben ein technisches Support-Team vor Ort. Neben dem Hybridsystem unterstützen wir jetzt und auch zukünftig zudem das Scrutineering-System der IMSA. Unsere Ingenieure hier in Daytona sind sehr gut mit dem Projekt vertraut und haben daran mitgearbeitet. So können wir unseren Kunden sehr schnell Unterstützung bei Applikationen oder möglichen Problemen liefern.

Foto: Cadillac
Foto: Cadillac

Was würden Sie aus Sicht von Bosch als einen Erfolg bei den 24h Daytona werten?
Ingo Mauel: Für Bosch wäre es ein großer Erfolg, wenn alle Fahrzeuge ins Ziel kommen. Wir drücken den Herstellern die Daumen, dass alles gut geht. Das Hybridsystem ist ein Teil, aber hierbei handelt es sich um komplett neuentwickelte Rennwagen mit unterschiedlichen Motorenauslegungen. Das ist ein sehr komplexes Zusammenspiel aller Komponenten. Natürlich hoffe ich auch auf ein spannendes Rennen, das die vielen Fans auf den Tribünen und die Zuschauer weltweit begeistert.

Der Motorsport erlebt aktuell keine einfachen Zeiten: Wie wichtig ist es gerade jetzt, ein Zeichen zu setzen und sich im Rennsport zu engagieren?
Ingo Mauel: Für Bosch war, ist und bleibt es in Zukunft sinnvoll, von der Technik aus dem Motorsport zu lernen. Wir engagieren uns seit vielen Jahren auch im Langstreckensport, in dem wir Komponenten unter den extremsten Bedingungen im Wettbewerb testen und weiterentwickeln können. Wir verwenden hier teilweise Komponenten, die auf der Serie basieren. Etwa das elektrische Bremssystem, das wir für den Einsatz auf der Rennstrecke modifiziert haben. Mit den Erkenntnissen aus dem Motorsport können wir auch die Software weiterentwickeln und dieses Wissen für die Serie ableiten. So schließt sich der Kreis.

Foto: Porsche AG
Foto: Porsche AG

Welchen Stellenwert nimmt der Motorsport aktuell im Hause Bosch ein?
Ingo Mauel: Bosch Motorsport ist ein Teil der Bosch Engineering GmbH. Bosch Engineering hat viele Projekte im Sportwagen-Bereich für fast alle namhaften Hersteller und ist eng mit den weiteren Abteilungen von Bosch vernetzt, um einen direkten Austausch zu ermöglichen. Wir haben ein starkes Commitment von unserem Management. Das sieht man etwa an der Übernahme von MoTeC im Jahr 2022, einem Unternehmen, das sich im Motorsport engagiert. Und wenn ich in die Zukunft blicke, merke ich mit Blick auf neue Technologien, dass der Motorsport hier wieder stärker gefragt ist.

Was erhofft sich Bosch durch das LMDh-Engagement über den reinen Motorsport hinaus?
Ingo Mauel: Sichtbarkeit und Marketing sind weitere gute Gründe für dieses Engagement. Wir können in einem emotionalen Umfeld darstellen, welche Produkte Bosch anbietet und anhand der tollen LMDh-Fahrzeuge, wie unser Hybridantrieb samt der Systemintegration funktioniert.