Lucas di Grassi: Warum Roborace den Motorsport nie ersetzen wird (06:12 Min.)

"Es ist nicht so, dass heute nur noch Maschinen Schach spielen, weil in den 90er Jahren Deep Blue gegen Garri Kasparov gewonnen hat." - Lucas Di Grassi, CEO von Roborace

Es ist die wohl ungewöhnlichste Idee der letzten Jahrzehnte in der Welt des Motorsports: Rennfahren ohne Rennfahrer. Stattdessen autonome Autos, die auf realen Rennstrecken gegeneinander antreten. Was vor einigen Jahren wohl noch als Humbug abgetan worden wäre, ist heute realer denn je. Inzwischen kann man das Kind sogar beim Namen nennen: Roborace.

Das zukunftsorientierte Projekt hat es sich zum Ziel gesetzt, künftig Rennen auf einem völlig neuen Level zu fahren. Ohne reale Fahrer, stattdessen mit selbstständig 'denkenden' Rennwagen. Die Roborace-Serie soll künftig regelmäßig im Rahmenprogramm der Formel E gastieren. Erste Demonstrationsfahrten haben bereits stattgefunden. Wann es unter Wettbewerbsbedingungen zur Sache geht, ist noch offen.

"Meine Sicht war von Beginn an sehr klar", sagte der neue Roborace-Geschäftsführer und amtierende Formel-E-Champion Lucas Di Grassi zu Motorsport-Magazin.com. "Ich wollte, dass Roborace dahin geht, wo der Motorsport selbst nicht hin kann - und nicht, Roborace mit Motorsport zu vermischen. Roborace ist ein Teil des Motorsports, aber nur der technologische Part davon. Es soll und wird niemals etwas ersetzen."

Rennfahren ohne echte Piloten? Eine Vorstellung, an die man sich erst einmal gewöhnen muss. Autonomes Fahren ist derzeit ein riesengroßes Thema bei Straßenfahrzeugen, im Motorsport zunächst aber nur schwer vorstellbar. Dabei möchte das Roborace nicht den herkömmlichen Sport imitieren, sondern neue Wege einschlagen. Roborace als Testlabor künftiger Technologien im Straßenverkehr - das ist der eigentliche Plan hinter der Vision, die schon längst real ist.

Ein futuristisches Szenario, in dem sich ausschließlich Maschinen und Computer auf der Rennstrecke bekämpfen, das wird es laut Di Grassi nicht geben. Sein einfaches Argument: "Wir wollen sehen, wer der beste Mensch ist. Das wird sich auch nie ändern. Aber wir brauchen eine Serie, die alternative Technologien aufzeigt. Das ist die Gegenwart - und das ist Roborace."

Wie gegenwärtig dieses ambitionierte Projekt ist, erlebt die Motorsportwelt an diesem Mittwoch. Im Rahmen der offiziellen Formel-E-Testfahrten für die neue Saison wird dem Roborace ein eigener Testtag eingeräumt. Von Montag bis Donnerstag gastiert die E-Serie zur Vorbereitung im spanischen Valencia. Der Mittwoch ist komplett den Roborace-Tests vorbehalten.

Das futuristisch anmutende Robocar der neuen Roborace-Serie, Foto: Roborace
Das futuristisch anmutende Robocar der neuen Roborace-Serie, Foto: Roborace

Vor den Testfahrten erklärt Motorsport-Magazin.com, worum es sich beim Roborace überhaupt handelt.

1. - Was ist Roborace eigentlich?

Im November 2015 wurde die Idee des Roborace erstmals der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Das Projekt hat es sich zum Ziel gesetzt, die erste autonome Rennserie der Welt zu werden. Die Vision sieht vor, analog zur Formel E zehn Teams mit Elektro-Rennwagen gegeneinander antreten zu lassen. Der Clou dahinter: Die Robocars kommen ohne Piloten aus, fahren stattdessen mittels programmierter Künstlicher Intelligenz. Die Serie soll auf den gleichen Strecken wie die Formel E fahren und effektiv als Testträger für künftige Technologien der Automobilbranche im Bereich des autonomen Fahrens dienen.

2. - Was können die Robo-Autos?

Aktuell muss man unterscheiden zwischen Robocar und dem so genannten Devbot. Während das Robocar die endgültige Rennversion sein soll, setzen die Roborace-Entwickler zudem auf Testfahrzeuge. Diese Devbots basieren auf LMP3-Chassis, in denen bei Bedarf ein Fahrer respektive Ingenieur Platz nehmen kann. Zwar fährt der Devbot eigenständig, bietet aber die Möglichkeit, die Fahrweise hautnah zu überwachen. Die für die Rennen geplante Version wird später das Robocar sein. Es erinnert wegen des fehlenden Cockpits ein wenig an einen überdimensionierten Staubsauger-Roboter.

Die Rahmendaten des Robocar: 1.000 Kilogramm Gewicht, eine Länge von 4,8 Meter sowie 2 Meter Breite. Das Robocar hat vier Elektromotoren mit jeweils 300 kW, eine 540 kW Batterie und soll am Ende bis zu 300 km/h schnell sein. Bei öffentlichen Demo-Fahrten, etwa in Berlin, erreichte das Robocar bislang Geschwindigkeiten um die 200 km/h. Um selbstständig fahren zu können, nutzt das Robocar haufenweise Sensoren: 5 Lidare (optische Abstands- und Geschwindigkeitsmessung), 2 Radare, 18 Ultraschall-Sensoren, 2 optische Speed-Sensoren und 6 AI-Kameras laufen in einem 'Gehirn' von Nvidia zusammen, das laut Entwicklern 24 Billionen AI-Aktionen pro Sekunde berechnen kann.

Roborace schreibt Geschichte in Paris (01:02 Min.)

3. Wer steckt hinter Roborace?

Das neue Zugpferd ist Lucas Di Grassi, der kürzlich überraschend den Posten des Geschäftsführers übernommen hat. Ein weiterer prominenter Name: Daniel Simon, Chef-Designer des Roborace. Formel-1-Fans könnten sich an den gebürtigen Deutschen erinnern. 2011 entwarf er die Lackierung des damaligen HRT-Teams. Weltweit berühmt ist der in Kalifornien lebende Simon wegen seiner futuristischen Auto-Designs in Hollywood-Filmen. Die Fahrzeuge aus Filmen wie Tron, Captain America oder Oblivion stammen aus seiner Feder. Hinter Roborace steckt das Technologie-Unternehmen Kinetik mit Gründer Denis Sverdlov. Partner der Serie sind unter anderem Nvidia und Michelin als Reifenausstatter.

4. - Wie liefen die bisherigen Testfahrten?

Den Shakedown absolvierte der auf einem LMP3-Chassis basierende, aber mit Robocar-Einheiten ausgestattete Devbot im Sommer 2016. Die erste öffentliche Testfahrt mit dem Devbot folgte im August 2016 im Rahmen der Formel-E-Testfahrten in Donington. Probleme mit der Batterie verhinderten einen Demo-Run beim anschließenden Saisonauftakt in Hongkong. Beim darauffolgenden ePrix in Marrakesch drehte der Devbot dann 12 Runden. Beim nächsten Lauf in Argentinien fuhren zwei Devbots ein kleines Rennen - wobei eines der Autos in die Streckenbegrenzung knallte...

Beim Paris ePrix im Mai 2017 war es dann soweit: Erstmals war das echte Robocar im Einsatz, nicht der Devbot-Testträger. Das Auto fuhr zwar in Schrittgeschwindigkeit und wurde von einem Straßenauto begleitet, suchte sich die Linie allerdings völlig autonom. Als das Robocar in einer Kurve gefährlich nah an den Mauern entlangfuhr, stoppten die Entwickler den Einsatz. In Berlin und New York war der Devbot unterwegs, um weitere Daten und Eindrücke zu sammeln.

Roborace onboard! Eine Runde in Berlin (01:56 Min.)

5. - Wann soll es echte Rennen geben?

Das ist noch nicht ganz klar. Ein Start zur Saison 2017/18 war einmal im Gespräch, doch dieser Termin könnte knapp werden. Vermutlich wird Roborace sein Programm weiter durchziehen und bei ausgewählten ePrix weitere Testeinsätze einlegen. Die Rennen sollen über eine Distanz von rund einer Stunde laufen, wobei 10 Teams mit 20 Autos antreten - analog zur Formel E und komplett in ihrem Rahmenprogramm.

Wie genau die Rennen aussehen werden, ist ebenfalls unklar. Es gibt bereits Überlegungen, die über die einfache Jagd nach Rundenzeiten hinausgehen. Simulierter Verkehr war einer der Begriffe, die zuletzt im Raum standen. Letztendlich soll die Serie schließlich dazu dienen, die Technologie der Automobilbranche voranzutreiben.

6. - Wie könnten die Einsatz-Teams aussehen?

Ebenfalls noch nicht definiert. Globale Unternehmen, die sich bereits in der Formel E engagieren wären genauso denkbar wie Hersteller. Warum überhaupt Teams, wenn die Robocars ohnehin autonom fahren? Ganz einfach: Gründervater Kinetik stellt zusammen mit den baugleichen Robocars eine Basissoftware zur Verfügung, auf der die Teams aufbauen und weiterentwickeln sollen. Durch unterschiedliche Echtzeit-Algorithmen soll letztendlich ein Wettbewerb entstehen.