Erstes Qualifying, erste Pole Position: Besser hätte die Saison 2022 der FIA Formel 2 für Jack Doohan und sein Team Virtuosi Racing nicht beginnen können. Beim Auftakt in Bahrain erzielte der Sohn des fünfmaligen Motorrad-Weltmeisters Mick Doohan und amtierende F3-Vizemeister auf Anhieb seine erste Pole im Unterbau der Formel 1.

Ein Erfolg, der nicht nur auf dem nötigen Fahrertalent, sondern auch auf der richtigen Vorbereitung aufbaut. Und die dürfte Motorsport-Fans ins Staunen versetzen: Im Hinblick auf das Formel-2-Rennwochenende in Bahrain wurden rund 50.000 Runden auf dem 5,412 Kilometer langen Bahrain International Circuit abgespult! Das entspricht beeindruckenden 270.600 Kilometern oder knapp sieben Erdumrundungen.

Wenig überraschend: Diese schier irrwitzige Distanz haben Doohan und Virtuosi-Teamkollege Marino Sato natürlich nicht selbst am Steuer auf der realen Rennstrecke zurückgelegt. Diesen Part übernahm stattdessen virtuell die dynamische Simulationssoftware AVL VSM™ RACE der Motorsportspezialisten von AVL RACETECH.

Die Motorsportabteilung des Grazer Unternehmens AVL List GmbH, bekannt für Entwicklung, Simulation, Test und Fertigung im Automobilsektor, unterstützt das britische Rennteam seit dieser Saison als offizieller technischer Partner und ist mit dem neugestalteten AVL RACETECH-Logo auch sichtbar auf den beiden Formel-2-Boliden sowie auf der Teamkleidung vertreten.

Foto: Dutch Photo Agency
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"Als Jacks Auto in der Startaufstellung auf den ersten Platz fuhr und wir unser Logo auf der Nase sehen konnten, hat uns das schon sehr stolz gemacht", sagt Ellen Lohr, langjährige Rennfahrerin, einzige Siegerin in der Geschichte der DTM und seit 2021 Director Motorsport bei AVL, zu Motorsport-Magazin.com. "In unserem Team sind nach diesem Erfolg viele Nachrichten hin und hergegangen, wir alle waren wirklich happy, zumal wir im Vorfeld bei den Tests auch einen unserer Renningenieure vor Ort dabei hatten."

AVL RACETECH und Virtuosi Racing, die bereits seit 2016 eng zusammenarbeiten, haben sich zum Ziel gesetzt, die Setups der Formel-2-Fahrzeuge durch Simulationsmodelle weiter zu optimieren, um den Rennfahrern einen Performance-Vorteil zu verschaffen. Dabei erscheinen die Möglichkeiten des 'Super-Computers' in Graz schier unbegrenzt. Nur ein Beispiel, das die Komplexität im Rennsport aufzeigt: Es gibt rund 200 unterschiedliche Parameter, die allein das Verhalten der Reifen auf einer Strecke beschreiben.

In einer Serie wie der FIA Formel 2 mit einheitlichen Rennwagen sowie stark begrenzten Testmöglichkeiten vor und während eines Wochenendes können schon kleinste Details den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen. Der Fahrer selbst spielt eine ebenso wichtige Rolle wie das gemeinsam mit dem Team erarbeitete Setup. Faktoren wie Handling oder Verhalten der Reifen bei wechselnden Witterungsbedingungen fließen in die Simulationsmodelle ein, die AVL RACETECH gemeinsam mit dem Team vor dem Rennwochenende erstellt und die im Laufe eines Rennwochenendes weiter adaptiert werden.

"In der FIA Formel 2 muss man schon im Training gut aussortiert sein", erklärt Michael Peinsitt, Fachteamleiter Race Engineering bei AVL RACETECH, im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Wenn man sich erst an das Setup herantasten muss, hat man eigentlich schon verloren. Deshalb führen wir Simulationen der Fahrdynamik durch. Mit unserem eigenen Software-Tool AVL VSM™ RACE haben wir das Modell eines F2-Autos erstellt, mit dem wir die verschiedenen Setup-Optionen durchfahren können."

Foto: LAT Images
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Das virtuelle Fahrzeugmodell basiert exakt auf den realen Daten wie der Motorleistung, dem Gesamtgewicht, der aerodynamischen Charakteristik oder Eigenschaften der Radaufhängung. "All diese Daten und noch viele weitere verwenden wir, um ein Modell aufzubauen", führt Michael Peinsitt aus. "Wir haben Computer mit einer enorm leistungsstarken Software, die uns dieses Modell aufbaut und mit dem wir dann Simulationen durchspielen können. Dadurch können wir Vorhersagen treffen, wie sich das reale Auto auf der Strecke verhält."

Eine große Herausforderung in diesem fortschreitenden Prozess bildet die sogenannte Korrelation, also der Abgleich zwischen virtuellen und realen Gegebenheiten. Wenn das Team Setup-Änderungen am Auto vornimmt, müssen diese auch für das Simulationsmodell übernommen werden und dort die selben Auswirkungen zeigen wir am echten Auto. "Sonst wären die Simulationsergebnisse wertlos", erklärt Michael Peinsitt. "Die Korrelation muss sehr gut sein. Erst dann hat man das Vertrauen, dass die Änderungen in der Simulation auch das reflektieren, was auf der realen Rennstrecke passiert."

Foto: LAT Images
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Und als wäre die gigantische Masse der Fahrzeuginformationen und Umgebungsbedingungen noch nicht genug, spielen auch noch die individuellen Eigenschaften des Rennfahrers eine gewichtige Rolle in der Simulation. Das Erfolgsrezept lautet: das in der Theorie optimale Setup auf einer Strecke in Verbindung mit einem Auto-Setup, das am besten zum jeweiligen Fahrer passt.

Michael Peinsitt: "Wenn ich einem Fahrer, der Untersteuern nicht mag, ein untersteuerndes Setup an die Hand gebe, weil das laut Simulation der schnellste Weg um die Strecke wäre, dann wird er damit nicht schneller fahren." Erfahrungen etwa von Vor-Saisontestfahrten oder aus der langjährigen Zusammenarbeit mit den Ingenieuren des Rennteams helfen AVL RACETECH bei diesem Prozess, um auch das letzte Quäntchen an Performance herauskitzeln zu können.

Natürlich handelt es sich bei all diesen Daten um höchst vertrauliches Material. AVL RACETECH engagiert sich seit mehr als 20 Jahren in über 17 Rennserien mit unterschiedlichen Partnern aus der Formel 1 über NASCAR bis hin zur MotoGP. Deshalb betont Michael Peinsitt: "Wir kennen die Details sehr gut, was Teams schnell macht oder wo sie Probleme haben. Es ist wichtig, dass dieses Wissen im Rahmen des Projekts bleibt und nie nach außen dringt. Darauf legen wir allergrößten Wert."