Nick Heidfeld ist entspannt. Bei Kerzenschein und musikalischer Untermalung unterhält er sich mit alten Freunden und Familie, lacht und genießt den späten Samstagabend. Ein Fan tritt wie selbstverständlich an den Tisch des F1-Stars heran und bittet ihn um ein Autogramm. Der BMW Sauber-Pilot zückt wie von selbst den schon bereit liegenden Stift, eine gewandte Fingerübung später entschwindet der glückliche Anhänger zufrieden in den Saal, wie vor ihm schon so viele andere.

"Der Kontakt zu den Fans ist mir sehr wichtig", sagt Heidfeld. "Ich kann die gleiche Leidenschaft und Passion in ihnen erkennen, die auch mich für unseren Sport fasziniert." Das in einer lockeren Atmosphäre zu teilen, gefällt dem zweifachen Familienvater, dessen Fanclub auch in diesem Jahr wieder über 100 Mitglieder aus aller Welt in der Burg Wegberg bei Mönchengladbach empfing.

Ein Jahr der Lehren

Heidfeld erlebte ein Jahr voller Höhen und Tiefen., Foto: Bumstead/Sutton
Heidfeld erlebte ein Jahr voller Höhen und Tiefen., Foto: Bumstead/Sutton

Kurz vor Weihnachten sind für Heidfeld die Sorgen des vergangenen Jahres fast schon vergessen. Die katastrophalen ersten Runden mit dem neuen Auto, die Bedenken, ob er die Saison vielleicht schon vor Saisonbeginn abschreiben müsste, weil der Rückstand im Laufe des Jahres nicht mehr aufzuholen wäre, und auch die schier endlosen Probleme mit dem Aufwärmen der Reifen im Qualifying. Alles abgespeichert, aber nicht mehr auf der Tagesordnung.

"Dieses Jahr kann ich kein Fazit mit nur zwei Worten ziehen", gesteht er. Es sei kein Jahr des Stillstands oder gar des Rückschritts gewesen, sondern vielmehr eines, in dem er mehr gelernt habe als in den meisten anderen zuvor. "Ich bin sehr zufrieden damit, wie ich aus der schlechten Situation herausgekommen bin und bei den letzten Rennen stärker war als mein Teamkollege Robert Kubica, der für viele ja seine beste Saison hingelegt hat. Andererseits bin ich mit meiner Saison natürlich nicht zufrieden."

Ein Jahr des Drucks

So spricht jemand, der 2008 zum ersten Mal bei BMW Sauber Gegenwind und jede Menge Druck zu spüren bekam, nachdem es in den Vorjahren stetig bergauf gegangen war - für Heidfeld und für das Team. Zur Saisonmitte war in Silverstone noch nichts von der weihnachtlichen Besinnlichkeit zu verspüren. "Nach ein, zwei nicht so guten Rennen kam sofort Kritik auf", erinnert er sich. Da kam ihm der zweite Platz im Regen von Silverstone gerade recht. "Das war ganz wichtig vom Timing. Es war ein Wendepunkt." Denn an diesem Wochenende hat alles von Anfang bis Ende gepasst.

"Das Team stand immer voll hinter mir, aber auch sie wollen Ergebnisse sehen", weiß Heidfeld. "Wenn die nicht kommen, kann es mit der F1 schnell vorbei sein." Es sei wie in jedem Business: nur die Ergebnisse zählen. Entsprechend groß war der Druck auf seinen Schultern, auch in den Wochen der Vertragsverhandlungen. "Das war eine sehr intensive Zeit für mich und meinen Manager Andre Theuerzeit." Niemand wusste, ob und wie es mit BMW Sauber weitergehen würde. Sein Management führte Gespräche mit anderen Teams, unter anderem Honda. "Aber das wurde ja zum Glück nicht nötig."

Ein Rennen der Verärgerung

Stattdessen greift Heidfeld 2009 mit BMW Sauber das große Ziel an: den WM-Titel. "Das Ziel ist immer abhängig von der Performance des Autos", stellt er klar. So gehe es nicht unbedingt um den ersten GP-Sieg, sondern um das große Ganze. "Natürlich hätte ich am liebsten schon einen Sieg in der Tasche, aber bisher hatte ich nie die Möglichkeit dazu." Das einzige Rennen, in dem er ein siegfähiges Auto gehabt habe, sei der Kanada GP 2008 gewesen, den ausgerechnet sein Teamkollege gewann.

BMW Sauber ist gut gerüstet für 2009., Foto: Bumstead/Sutton
BMW Sauber ist gut gerüstet für 2009., Foto: Bumstead/Sutton

"Klar, man sagt sich: besser der Teamkollege als jemand anderes, aber trotzdem ist es frustrierend", sagt Heidfeld offen und ehrlich. "Es war sehr schwierig, sich zu freuen, das Rennen zu verarbeiten. Selbst wenn ich heute die Bilder sehe, fällt es mir schwer." So offensichtlich wie Kubica habe ihn noch nie ein Fahrer überholt. "Es war eine teamtaktische Entscheidung." Eine, die BMW Sauber nicht nur den ersten GP-Sieg, sondern auch den ersten Doppelsieg einbrachte, Heidfeld jedoch eines möglichen ersten Triumphs beraubte. "Zweiter ist nicht schlecht, aber sehr ärgerlich, wenn man zum ersten und einzigen Mal bislang ein Rennen gewinnen konnte."

Davor und danach konnte er das nie, was sich auch daran zeigt, dass noch nie - außer eben Kubica in Kanada - einer seiner Teamkollege im gleichen Auto ein Rennen gewonnen hat. "Ich bin froh, nächstes Jahr bei BMW Sauber zu sein und kann dann hoffentlich um den Titel kämpfen", gibt er die Richtung vor. Bislang habe das Team seine Ziele immer erreicht. "Und nächstes Jahr ist das eben der Titel. Ich werde alles daran setzen, damit wir es schaffen."

Ein Jahr mit Zukunft

Die Vorzeichen stehen gut. BMW Sauber hat als einziges Team ein Interimsauto für das neue Aerodynamikreglement gebaut. "Außerdem sind wir eines der wenigen Teams neben Mercedes, die KERS halbwegs zum Arbeiten bekommen", betont er. "Mit weniger Testfahrten während der Saison könnte sich das als noch größerer Vorteil erweisen."

Wie schnell die Stimmung kippen kann, hat Heidfeld selbst erfahren: "Vor einigen Jahren haben einige Leute gesagt: Der Nick kann nicht richtig überholen." Jetzt sehe der Tenor anders aus. Nicht nur sein Chef Mario Theissen hält Heidfeld für einen der besten Überholer in der Formel 1. "Interessant, wie schnell sich das drehen kann", merkt er an. Denn gleich viermal überholte Heidfeld in der vergangenen Saison zwei Piloten in nur einer Kurve. "Das waren echte Highlights, gerade im Regen in Silverstone - das war eine geile Aktion. Es macht immer wieder Spaß, das anzusehen - genauso wie es immer wieder nervt, an Kanada zu denken." In einem Jahr soll daran kein Gedanke mehr verschwendet werden, wenn Heidfeld wieder entspannt im Kreise seiner Freunde und Fans sitzt - vielleicht sogar als GP-Sieger und Formel-1-Weltmeister.