Fehler unter Druck

von Stephan Heublein

Lewis Hamilton wollte es unbedingt, unter allen Umständen. Schon am Donnerstag auf der offiziellen FIA-Pressekonferenz sagte er: "Ich muss auf die Pole Position fahren." Er wollte, sollte, musste es. Der Druck war enorm. Das Team gab ihm das Auto, die Strategie und die Spritmenge, um es zu schaffen. Aber er schaffte es nicht. Als es darauf ankam, machte er auf beiden entscheidenden Qualifyingrunden Fehler. Hinterher entschuldigte er sich in aller Öffentlichkeit bei seinem Team: es sei sein Fehler gewesen, er habe keine gute Arbeit abgeliefert.

Auch in Bahrain legte Lewis Hand an die Aerodynamik., Foto: Sutton
Auch in Bahrain legte Lewis Hand an die Aerodynamik., Foto: Sutton

Zugleich erhöhte er den Druck weiter. Kimi Räikkönen habe schon einmal bewiesen, dass man von hinten nach ganz vorne fahren könne, das wolle er, trotz seiner Strafe und der schlechten Startposition, auch schaffen. Er wollte seine Fehler im Rennen wieder gutmachen, den Schaden in der WM begrenzen, Punkte holen. Teamintern war sogar von einem Podestplatz die Rede. Die Pace, die Strategie, das Auto waren gut, es musste gehen. In der ersten Runde ging er aggressiv zu Werke, überholte einige Piloten, riskierte gegen Sebastian Vettel zu viel, kam neben die Schikane hinaus und wurde dafür bestraft - ob zu recht oder zu unrecht: er hat zu viel auf einmal gewollt, zu viel riskiert und damit alles verspielt.

Eigentlich ist das keine große Sache, wenn es nicht schon öfter so gewesen wäre, er nicht schon mehrere Fehler in diesem Jahr begangen hätte. Das plakativste Beispiel war das Übersehen der roten Boxengassenampel in Kanada. Er übersah sie, krachte Kimi Räikkönen ins Heck und war plötzlich der Boxendepp. Dumm- und Blödheit waren noch die harmlosesten Dinge, die ihm von den Experten und den Medien um die Ohren gehauen wurden. Der Druck stieg, die Strafe kam hinzu und plötzlich musste er es in Frankreich allen zeigen - das Ergebnis ist bekannt: es ging schief.

Die Fehlerquote von Lewis Hamilton ist unter Druck gestiegen., Foto: Sutton
Die Fehlerquote von Lewis Hamilton ist unter Druck gestiegen., Foto: Sutton

So wie in Bahrain. Dort hatte er im Freitagstraining einen Unfall, den Niki Lauda als "vollkommen unnötig" bezeichnete. Auch in Frankreich rodelte Hamilton im Training einige Male neben die Strecke. Christian Danner hielt das für das Bemerkenswerteste am ganzen Trainingstag: Herr Hamilton sei relativ oft rausgeflogen, meinte er. Immer wieder unterliefen Hamilton in diesem Jahr Fehler in Training, Qualifying und Rennen. Etwa in Bahrain, wo er nach einem katastrophalen Start von 3 auf 10 zurückfiel, auf der Aufholjagd - wie in Frankreich - zu viel riskierte, zu früh zu viel wollte und Fernando Alonso ins Heck fuhr.

Auch damals entschuldigte er sich nach dem Wochenende bei seinem Team. Er komme sich vor, als ob er das Team im Stich gelassen hätte, sagte er. Niki Lauda betonte danach, dass Hamilton ihn in diesem Jahr nicht mehr so fasziniere wie in der letzten Saison. Der Brite habe einen richtigen Durchhänger, der einem Titelanwärter nicht passieren dürfe. Als Grund machte Lauda nicht das Fehlen eines erfahrenen Teamkollegen oder den Wegfall der Traktionskontrolle aus. Stattdessen läge es am Druck, allerdings nicht nur jenem, der von den Medien und der Öffentlichkeit im Rahmen der Lewis-Mania aufgebaut werde. "Ich glaube, dass es am Druck liegt, den er sich selbst macht", sagte Lauda. Hamiltons steigende Fehlerquote unter selbst auferlegtem Druck scheint Lauda recht zu geben.

Immer voll am Limit

von Falko Schoklitsch

Lewis wird schon bald wieder Erfolge feiern., Foto: Sutton
Lewis wird schon bald wieder Erfolge feiern., Foto: Sutton

Druck hat jeder, Fehler macht jeder und bei Lewis Hamilton wird dank seiner Stellung als quasi Teamleader bei McLaren alles noch zehn Mal genauer unter dem Vergrößerungsglas betrachtet als bei vielen anderen. Und natürlich hat es der junge Mann in dieser Saison nicht leicht: die Erwartungshaltung ist nach seinem starken Rookie-Jahr enorm und nach dem Fortgang Fernando Alonsos war klar, dass er für McLaren um den Titel würde fahren müssen. Und gerade in dieser Position gibt es kein Halbgas, sondern nur Vollgas und wenn man sich ständig am Limit bewegen muss, um gegen manchmal übermächtig erscheinende Ferrari zu bestehen, dann geht es auch darüber hinaus.

Und damit ist Lewis Hamilton ganz und gar nicht alleine. Die Formel 1-Geschichte ist voll von Fehlern großer Stars, die sich im Kampf gegen das Limit geschlagen geben mussten, weil sie aus ihren Autos teilweise mehr herausholen mussten als drin steckte. Und Lewis Hamilton ist ein durchaus aggressiver Fahrer, das hat sich schon in der GP2 gezeigt, als er in der Türkei 2006 im Sprintrennen schnell aufholen wollte, einen Dreher produzierte und dann vom Ende des Feldes noch auf Platz zwei kam. Damals machte die Aggressivität beides möglich - den Dreher und die Aufholjagd.

Der Ampelzwischenfall wird sich sicher nicht wiederholen., Foto: Sutton
Der Ampelzwischenfall wird sich sicher nicht wiederholen., Foto: Sutton

In der Formel 1 ist das nicht so leicht. Der Dreher passiert schnell, die Aufholjagd weniger schnell und auch deswegen versucht Hamilton immer alles rauszuholen. Das hat nichts mit Druck zu tun, sondern einfach mit innerem Antrieb, der manchmal auch nach hinten losgehen kann. Nico Rosberg hatte dieses Jahr dazu gemeint, dass es mittlerweile eine seiner Stärken sei, dass er geduldiger geworden ist - auch wenn er manchmal vielleicht doch noch etwas zu ungestüm sei. Hamilton scheint die Geduld noch etwas öfter abzugehen, wie sich unter anderem in Magny Cours zeigte, wo er am liebsten in der ersten Runde ganz an die Spitze gefahren wäre. Doch die wird kommen und auch Ron Dennis weiß, dass er mit seinem Schützling noch nicht zu hart ins Gericht gehen sollte. "Man darf nicht vergessen, dass es erst seine zweite Saison ist. Viele Fahrer waren schon etliche Jahre in der Formel 1, bevor sie ihren ersten Grand Prix gewonnen haben", sagte der McLaren-Teamchef dazu.

Was die rote Ampel betrifft, die Hamilton in Montreal nicht gerade gut aussehen ließ, so lässt sich nicht abstreiten, dass einem Formel 1-Fahrer so etwas nicht passieren sollte. Man sollte aber nur die Herren Montoya, Massa, Fisichella oder Rosberg fragen und wüsste, dass es mehr als nur einmal vorkommt. Er habe in seiner ganzen Motorsport-Laufbahn noch nie auf eine Boxenampel geachtet, meinte beispielsweise Rosberg. Und im Prinzip sind Formel 1-Autos auch nicht für rote Ampeln gebaut. Das hat weniger damit zu tun, dass sie eigentlich schnell fahren sollten, sondern damit, dass nach einem Boxenstopp noch zig Einstellungen am Lenkrad vorgenommen werden müssen. Das will der Fahrer erledigen, bevor er wieder auf die Strecke und damit ans Limit geht, also ist die Boxenausfahrt der beste Zeitpunkt. Natürlich kann das nicht wirklich eine Ausrede dafür sein, einem Konkurrenten ins Heck zu knallen, aber es hat schon seine Gründe, warum im normalen Straßenverkehr Telefonieren ohne Freisprech-Anlage verboten ist - alles, was nur einen Sekundenbruchteil ablenkt, kann zu einem Unfall führen.

Wie geht es weiter mit Lewis?, Foto: Hartley/Sutton
Wie geht es weiter mit Lewis?, Foto: Hartley/Sutton

Dass sich wegen solcher Aktionen oder der Strafe beim Rennen in Magny Cours der Druck vergrößert, ist auch klar. Nur ist Herr Hamilton nicht erst seit gestern im Rennsport, sondern bereits lange Zeit. Druck hatte er fast immer, so wie jeder junge Fahrer, dessen Ziel irgendwann die Formel 1 ist. Da muss man ständig Leistung liefern und immer vorne sein, damit die Karriere nicht ins Stocken gerät. Alleine deswegen sollte Hamilton mit Druck umgehen können. Vielleicht könnte man es eher als verkrampft bezeichnen. Er versucht es zu sehr und dabei ist in noch keinem Sport wirklich etwas Gutes herausgekommen. Darauf angesprochen, ob Lewis Hamilton allmählich unter Druck stehe, meinte Christian Danner in Magny Cours: "Er hat einen komischen Fahrstil, der auf langsamen Kursen besser funktioniert als auf schnellen. Da bin ich mir mittlerweile ziemlich sicher. Das Auto ist auf der Vorderachse unglaublich bissig, dafür hinten labil und da ist er heute bei den schnellen Richtungswechseln ein paar Mal ins Trudeln geraten." Was auch immer er damit sagen wollte, von Druck hat er nicht gesprochen. Und wie schnell es in der Formel 1 gehen kann, hat Felipe Massa bewiesen: nach Fehlern zu Beginn der Saison wurde er in der Luft zerrissen und aus der F1 geschrieben, jetzt führt er die WM an.