Die Formel 1 hat in letzter Zeit sehr viel Neues erlebt - einige Streckendebüts, Teamverkäufe, das jährlich erneuerte Regelwerk und den ersten Inder. Nur eines gab es bislang - in der jüngeren Formel 1-Geschichte wohlgemerkt - nicht: Eine Frau in einem Formel 1-Cockpit. Doch Ende November wird die Britin Katherine Legge in einen Boliden der neuen Squadra Toro Rosso steigen - diesen Test hat der alte Minardi-Boss Paul Stoddart als eine seiner letzten Amtshandlungen eingefädelt. Legge fährt zurzeit in der amerikanischen Toyota Formel Atlantic-Serie, die im Rahmenprogramm der Champ Cars tourt - die frühere Formel 3-Pilotin gewann ihr allererstes Rennen, holte in Übersee drei Rennsiege und den dritten Gesamtrang.

Ist die Zeit endlich wieder reif für eine Formel 1-Pilotin? Die Zeit auf jeden Fall - was jedoch die Formel 1-Protagonisten betrifft, scheinen manche dem Gleichgewicht der Geschlechter noch nicht wirklich gewachsen zu sein. Zumindest, wenn man dem Echo des Medienwalds Glauben schenkt - in Deutschland hat das Thema zu einem in Schwindel erregenden Sphären der Intelligenz abgehaltenen Schlagabtausch geführt. Eröffnet wurde mit einer Aussage von Jenson Button, der Brite erklärte gegenüber FHM zum Thema Frauen in der Formel 1: "In kleineren Formeln ja, aber in der Formel 1 sehe ich das nicht passieren. Die G-Kräfte in den schnellen Kurven sind einfach zu groß." Button fügte noch eine Frage hinzu: "Da gibt es eine Woche im Monat, da willst du mit ihnen ganz sicher nicht auf der Strecke sein, oder?" Zudem würden Pilotinnen mit ihren "großen Dingern sich ohnehin nicht wohl fühlen im Auto", außerdem würde das "die Mechaniker ablenken", denn "schließlich müssen die Mädels ja angeschnallt werden", fügte Button hinzu...

Die Retourkutsche ließ nicht lange auf sich warten. Ex-Weltmeister Nigel Mansell ließ seinem Landsmann ausrichten: "Wer nichts Gescheites zu sagen hat, sollte lieber den Mund halten..." Cora Schumacher meldete sich über die Bild-Zeitung zu Wort und brachte sich folgendermaßen in die "Diskussion" ein: "Meinen Gurt lege ich selbst an – und wenn´s mal zwickt, hilft halt schnell ein Mechaniker. Aber jeden lasse ich sicher nicht an meine Airbags." Button könne ja bei ihr mitfahren, meinte die Frau von Ralf Schumacher, die im Mini Pokal kräftig mitmischt: "Dann wird er sehen, welches Geschlecht das bessere Fahrgefühl hat." Die siegreiche Ex-DTM-Pilotin Ellen Lohr legte nach: "Der liebe Herr Button hat wohl zuviel auf die Nuss bekommen. Wenn er statt bei den Grid Girls mal auf der Strecke richtig Gas geben würde, dann könnte er ja auch mal ein Rennen gewinnen." Und: "Buttons Mechaniker haben wohl den Gurt zu fest angezurrt. Da hat sein Gehirn zuwenig Sauerstoff bekommen."

Wer fährt besser?

Abseits von Sauerstoffmangel und Airbagzwicken gibt es auch wissenschaftliche Tests, die sich mit dem Thema befassen. Eine britische Autoversicherung hat einen Simulator-Test mit 1.200 männlichen und weiblichen Versuchspersonen unternommen. Dabei siegten am Ende die Frauen - allerdings wurde bei der Auswertung großer Wert auf die Sicherheit gelegt. Frauen würden "weniger Schäden an ihren Fahrzeugen anrichten, geringere Risiken eingehen und Gefahren besser einschätzen", heißt es in der Studie. In die gleiche Kerbe schlägt auch die außerordentlich erfolgreiche Rallye-Pilotin Jutta Kleinschmidt - auf ihrer Website schreibt sie: "Frauen fahren nach meiner Erfahrung sicherer. Männer sind risikobereiter und neigen eher dazu, sich zu überschätzen."

Jutta Kleinschmidt zählt zur Elite der Rallye-Szene., Foto: VW Motorsport
Jutta Kleinschmidt zählt zur Elite der Rallye-Szene., Foto: VW Motorsport

Die Siegerin der beinharten Paris-Dakar-Rallye sieht in punkto Talent keinerlei Unterschiede bei den Geschlechtern: "Frauen sind genauso normale Teilnehmer wie Männer. Ich denke, dass die Talentierungen gleich sind. Frauen brauchen genauso wie Männer den Siegeswillen, um wirklich erfolgreich zu sein." Im motorsportlichen Alltag machen sich laut Ellen Lohr dann doch gewisse, vor allem politische Unterschiede bemerkbar: "Generell ist es gleich schwer für Männer und Frauen. Als Frau hat man am Anfang den Vorteil, dass man schneller Aufmerksamkeit genießt. Das hält aber nicht lange an, wenn die Leistung nicht stimmt. Ein Nachteil ist, dass Frauen es in Teams erfahrungsgemäß immer noch schwerer haben, siegfähiges Material zu bekommen. Das wird eher an Männer vergeben, da allgemein noch die Meinung herrscht, dass Männer doch noch etwas schneller sind."

Kein körperliches Limit für Frauen

Sind Frauen den körperlichen Anstrengungen eines Formel 1-GP, den hohen Flieh- und Bremskräften beispielsweise, gewachsen? Rennarzt Dr. Riccardo Ceccarelli erklärte dazu gegenüber Auto Bild: "Ich untersuche seit 15 Jahren die physischen und mentalen Anstrengungen, die auf einen Fahrer während eines Rennens einwirken. Den Körper müssen wir in zwei Komponenten gliedern- da sind zum einen die Muskeln: Nacken und Arme können so trainiert werden, dass eine Frau in jeder Rennserie mithalten kann. Allerdings gilt dies nicht für Sportarten, in denen 90 Prozent des Kraftaufwandes körperlich sind, wie zum Beispiel im Radsport oder Leichtathletik. Durch Testosteron, was Männer in großen und Frauen nur in geringen Mengen produzieren, können sie nicht die gleichen Leistungen erbringen. Aber beim Reiten oder Rennfahren kommt es nicht auf die reine Muskelmasse an. Da gibt es kein körperliches Limit für Frauen." Wegen dem Testosteron-Mangel müssten Frauen einfach mehr trainieren, fügte der Mediziner hinzu.

Der dreifache Formel 1-Weltmeister Niki Lauda gibt der Studie Recht: "Die Zeit ist ideal für eine Frau in der Formel 1. Sie hat keine körperlichen Nachteile mehr. Früher erforderte das Fahren noch viel Kraft, heute ist es mit Servolenkung und elektronischen Hilfsmitteln viel einfacher."

Und schließlich gibt es auch die Praxis, die für die Frauen spricht. "Sie hat wirklich Talent", bestätigt Nelson Piquet Jr. unwillig der Auto Bild - es geht um eine 19jährige Landsmännin, oder besser Landsfrau, die den stolzen Brasilianer in einem Kartrennen geschlagen hat. Bia Figueiredo erklärte: "Mit sechs Jahren hat mein Dad mich zu einem Kartrennen in Interlagos mitgenommen. Ich habe es sofort geliebt." Und: "Ich will in die Formel 1!"

Dass Frauen auch im höchsten Formelsport Erfolg haben können, bewies in jüngster Zeit auch Danica Patrick, die ausgerechnet beim ehrwürdigen Indy 500 die Männerwelt gewaltig aufmischen konnte. Und so könnte die Zeit tatsächlich reif sein für die erste Frau in der Formel 1 der Neuzeit - auch wenn in einer Bild-Umfrage 66 Prozent der LeserInnen die Formel 1 als "Sport für echte Männer" betrachten. Katherine Legge setzt Ende November den nächsten Schritt, mit guten Rundenzeiten könnte sich die Britin den roten Bullen empfehlen - eine Frau im Toro Rosso-Boliden wäre jedenfalls ganz nach dem Geschmack der frischblütigen Betreiber. Höchste Zeit, dass die Streitfrage gelöst wird - und zwar auf der Rennstrecke!