Pirelli Motorsport Direktor Paul Hembery geht nicht davon aus, dass es wieder einen Reifenkrieg in der Formel 1 geben wird. Seit 2007 gibt es in der Königsklasse nur mehr einen Reifenhersteller, der alle Teams beliefert; zunächst war es Bridgestone, 2011 übernahm Pirelli. Im Zuge der Sparbemühungen in der Formel 1 wäre es ohnehin kontraproduktiv, einen neuen Wettkampf unter Reifenausrüstern loszutreten und Hembery meint, dass momentan kein großer Appetit auf so etwas vorhanden ist.

Kaum Serien mit Reifenkrieg

"Man kann auf der ganzen Welt beobachten, dass es bei Serien mit Rundstreckenrennen aktuell wohl nur drei oder vier Meisterschaften gibt, die [bei den Reifen] offen sind. Die Welt mag es eben so [wie in der Formel 1] und ich verstehe, warum", erklärte er F1 Fanatic. Das Warum begründete er damit, dass für keinen Reifenhersteller ein großer Anreiz besteht, so einen Reifenkrieg zu gewinnen, da die Lorbeeren letztendlich immer nur der Fahrer und das Team erhalten und der Reifenlieferant höchstens bei Fehlern und Niederlagen ins Gespräch kommt. "Das ist ein eigenartiges Paradoxon", meinte Hembery.

"Man kann das der Öffentlichkeit nicht wirklich vermitteln, wenn man der siegreiche Reifenhersteller ist, denn es ist keine Reifen-Weltmeisterschaft, es ist eine Fahrer- und Fahrzeug-Weltmeisterschaft. Wenn die Reifen jemals so bedeutend würden oder ein Reifenhersteller dominant wäre, hätten wir erst wieder nur einen Hersteller, weil jeder zu der Marke geht. Daher würde man eigentlich nur das Unaufhaltsame verschieben." Dass die Öffentlichkeit kaum davon zu überzeugen ist, wie wichtig Reifen beim Gewinn einer Weltmeisterschaft sein können, merkte Hembery, als Pirelli 2001 und 2003 in der Rallye-Weltmeisterschaft den Sieger ausstattete.

Millionen für eine halbe Sekunde

Einer der beiden Titel war aus seiner Sicht durchaus auch den Reifen zuzuschreiben gewesen, doch das war der Öffentlichkeit einfach nicht zu kommunizieren. "Das ist eine dieser eigenartigen Situationen. Man könnte höchstens eine Reifen-Weltmeisterschaft haben, in der es ein Auto gibt und man dort die verschiedenen Reifen tauscht. Ich glaube aber nicht, dass die Öffentlichkeit so etwas sehen will. Es wäre interessant, einen Reifen-Wettbewerb zu haben, weil das aus verschiedenen Gesichtspunkten stimulierend ist. Wenn man es aus geschäftlicher Sicht betrachtet, dass man Millionen ausgibt, nur um eine halbe Sekunde schneller zu sein, dann ist das Geld schlecht angelegt", war Hembery überzeugt.

Mit Bernie Ecclestone wird sich Paul Hembery noch unterhalten, Foto: Sutton
Mit Bernie Ecclestone wird sich Paul Hembery noch unterhalten, Foto: Sutton

Sollten sich die Regeln jemals ändern und es wieder mehrere Reifenhersteller in der Formel 1 geben, wird sich Pirelli aber nicht direkt davor verschließen. Aus kommerzieller und geschäftlicher Sicht fände Hembery es aber besser, das Geld in die Promotion des Sports und die Promotion der Mitarbeit im Sport zu stecken, als einer halben Sekunde pro Runde hinterher zu jagen. "Die sieht die Öffentlichkeit ja ohnehin nicht. Wenn man dasitzt und einem Auto zusieht, dass eine halbe Sekunde schneller oder langsamer fährt, wird man das nicht verstehen."

Mittelfristig weitermachen

Ein weiterer Punkt, der einen Reifenkrieg wohl ausschließt, ist die Tatsache, dass die Teams nicht mehr Geld für Reifen ausgeben wollen. Momentan leisten sie laut Hembery ohnehin nur einen Beitrag zu den Kosten Pirellis, nachdem es bereits einen großen Preisnachlass gab. Weitermachen will der Reifenhersteller in der Formel 1 aber unbedingt. "Drei Jahre sind nicht genug", meinte Hembery angesichts des auslaufenden Dreijahres-Vertrags nach der Saison 2013. Mittelfristig will Pirelli in jedem Fall bleiben. "Nach zehn Jahren nimmt der Wert [des F1-Engagements] vielleicht jedes Jahr weniger zu, da die Öffentlichkeit einen als Teil der Formel 1 wahrnimmt. Als wir das letzte Mal in den 1990ern in der Formel 1 waren, brauchte es vier oder fünf Jahre, bis die Leute merkten, dass wir nicht mehr dabei sind. Man muss also eine Wahrnehmung schaffen - sobald man die hat, wirkt sie einige Jahre nach, wenn man den Sport verlassen hat."

Große Konkurrenzangebote für die Reifenlieferungen nach 2013 erwartete Hembery nicht. Schließlich wisse jeder Mitbewerber, dass Pirelli einen Dreijahres-Vertrag hat und hätte daher genügend Gelegenheit gehabt, um sich ins Gespräch zu bringen. "Aus unserer Sicht müssen wir mit dem Promoter sprechen, denn ein großer Teil unseres Investitions-Rückgewinns kommt von der Sichtbarkeit unserer Marke an der Strecke. Also werden wir sicherstellen, dass wir eine Vereinbarung mit dem Promoter haben. Und dann braucht es noch eine Vereinbarung mit allen elf Teams. Im Moment bekamen wir von ihnen immer nur Komplimente und positives Feedback und der Promoter möchte, dass wir weitermachen."

Positiver Diskussionsgrund

Dabei wird Pirelli auch seine Politik weiterführen, durch die Reifen zu Beginn der Saison eine technische Herausforderung für die Teams zu schaffen, bei der jene Vorteile haben, die das besser in den Griff bekommen. "Die Saison hat 19 oder 20 Rennen. Mit den besten Ingenieuren und den besten Fahrern der Welt ist sicher, dass sie ab einem gewissen Punkt die Situation im Griff haben und es wird dann nur mehr über Fahrer und Autos gesprochen - so wie in den vergangenen beiden Saisons. Das ist eine gute Balance, denn die Saison ist lange, wenn wir also zu Beginn etwas Interesse und Abwechslung reinbringen, dann wird im weiteren Verlauf über Fahrer und Autos gesprochen. Dieses Gleichgewicht passt und wir haben die Möglichkeit, aus positiven Gründen Teil der Gespräche während des Rennwochenendes zu sein", sagte Hembery.

Eine Sache möchte Pirelli aber doch ändern. Zuletzt war man gegen Ende der Saison immer etwas konservativ, um nicht in den Titelkampf einzugreifen. Da die Teams die Reifen zu dem Zeitpunkt bereits gut im Griff hatten, führte das teilweise zu etwas langweiligeren Rennen. In Zukunft wird Pirelli deswegen mutiger sein, um sportlich ein besseres Spektakel zu liefern. "Ich denke aber, die Realität sieht so aus, dass die Teams so gut in dem sind, was sie tun, dass sie am Ende der Saison alles im Griff haben, egal was wir ihnen vorsetzen." Interessant fand Hembery, dass die Technikdirektoren sich nicht über Reifen oder anderes beschweren, sondern immer nur die Sicherheit haben wollen, dass die Konkurrenz genau die gleiche Aufgabe bewältigen muss. "Sie sehen das als Gelegenheit, um sich gegenseitig zu besiegen. Wenn sie das vor dem Gegner im Griff haben, haben sie einen Vorteil."

Viel Detailarbeit

Hembery konnte gut mit verfolgen, wie sehr die Teams sich mittlerweile in das Thema Reifen verbissen haben. So fiel ihm voriges Jahr auf, dass die Teams Thermokameras auf den Hinterreifen verwendeten. "Das begann mit ein paar Autos, plötzlich hatte sie jeder. Das ist ein Beispiel dafür, wie man das Reifen-Management verstehen will und zeigt, wie die Teams arbeiten. Sie sind natürlich noch viel raffinierter als das, aber leider kann ich dazu nicht mehr sagen, denn das wird teamspezifisch und ich bin nicht in der Position, um den Leuten etwas darüber zu erzählen. Ich kann aber garantieren, es gibt viel detaillierte Arbeit innerhalb der Teams und ich bin beeindruckt, was sie an Fähigkeiten und Kapazitäten im Ingenieursbereich haben."