Trotz unzähligen Beteuerungen, im Besitz eines gültigen Vertrags mit Caterham zu sein, fährt Jarno Trulli 2012 nicht mehr in der Formel 1. Das Team setzt zukünftig auf den zehn Jahre jüngeren Vitaly Petrov, der aus Russland eine Menge Sponsorengelder mitbringt - das Aus für den Routinier, der es auf eindrucksvolle 252 Grand-Prix-Stars bringt.

Doch damit nicht genug: Durch Trullis Ausbootung sieht es so aus, als würde die Königsklasse in diesem Jahr ganz ohne italienischen Starter auskommen müssen. Dies war in der über sechzigjährigen Geschichte des Sports erst ein einziges Mal der Fall: Auch 1969 schaffte es kein Italiener sich ein F1-Cockpit zu sichern.

Leiser Abschied von der großen Bühne: Jarno Trulli verabschiedet sich aus der F1, Foto: Sutton
Leiser Abschied von der großen Bühne: Jarno Trulli verabschiedet sich aus der F1, Foto: Sutton

Für die stolze Motorsportnation Italien ein Trauerspiel erster Güte. Das Land wird im kollektiven Gedächtnis der Formel 1 vornehmlich mit den Wörtern Ferrari, Monza und Tifosi assoziiert. Berühmte Fahrer aus der Mittelmeer-Republik gab es jedoch wenige. Auch wenn über all die Jahre eine große Anzahl vielversprechender Piloten angetreten ist, hat es in jüngerer Vergangenheit nie zu besonderen Erfolgen gereicht.

Zum 25. Todestag von Elio de Angelis und 10. Todestag von Michele Alboreto kamen bereits 2011 die Gedanken an eine verlorene Generation der Formel 1 wieder hoch. Doch auch abseits der beiden Ausnahmetalente hatten die Italiener viele gute Rennfahrer in ihren Reihen. Die meisten Schicksale endeten jedoch entweder abrupt und tragisch, oder ganz einfach in der Bedeutungslosigkeit des Haifischbeckens Königsklasse.

Glückloser Publikumsliebling

Der bislang letzte Champion der stolzen Motorsportnation Italien: Alberto Ascari 1953, Foto: Sutton
Der bislang letzte Champion der stolzen Motorsportnation Italien: Alberto Ascari 1953, Foto: Sutton

Seit 1950 haben sich in der Formel 1 beinahe 100 italienische Piloten versucht. Von Erfolg gekrönt waren die meisten dieser Bemühungen nicht. Lediglich in den Urzeiten gaben die Italiener den Ton an. Nino Farina wurde im Premierenjahr erster Weltmeister der Formel 1. 1952 und 1953 tat es ihm Alberto Ascari gleich. Bei nur 32 Grand Prix-Starts in seiner Karriere, holte der Italiener 13 Siege. Bedingt war der anfängliche Höhenflug zweifelsfrei auch durch die damals führenden Autohersteller Alfa Romeo, Ferrari, Lancia und Maserati. Glück brachte der Titel aber beiden Piloten nicht: Ascari verunglückte bereits 1955 bei Testfahrten in Monza tödlich. Farina ereilte elf Jahre später im privaten Straßenverkehr das gleiche Schicksal.

Bis heute warten die Fans vom Stiefel seither auf einen weiteren Titelträger aus Italien. Die Durststrecke beträgt mittlerweile unglaubliche 58 Jahre. Lediglich Mitte der Achtziger Jahre gelang es ein einziges Mal, dass wieder ein Italiener ernst zu nehmend in einen Titelkampf eingreifen konnte. Zu Saisonbeginn 1985 wechselten sich Elio de Angelis und Michele Alboreto sogar mit der Weltmeisterschaftsführung ab. Letzterer konnte mit seinem Ferrari dann bis weit in die zweite Saisonhälfte hinein die Spitzenposition verteidigen.

Wie die Tifosi ihn am liebsten sahen: Alboreto im Ferrari, Foto: Sutton
Wie die Tifosi ihn am liebsten sahen: Alboreto im Ferrari, Foto: Sutton

Mit dem späteren Weltmeister Alain Prost vermochte er am Ende des Jahres auf Grund platzender Motoren jedoch nicht mehr mitzuhalten, musste den Franzosen ziehen lassen und sich schlussendlich mit Rang zwei begnügen. So richtig erholte sich die Karriere des sympathischen Lockenkopfs aus gutem Mailänder Hause nach dieser Niederlage nie mehr. Dabei war Alboreto als amtierender europäischer Formel-3-Champion 1981 mit besten Referenzen zu Tyrrell in die Formel 1 gekommen. Nach stetiger Leistungssteigerung in den Folgejahren und zwei Siegen auf unterlegenem Material wechselte er 1984 schließlich zu Ferrari. Bereits im dritten Rennen für die Scuderia gewann der Jungspund in Belgien. In seinem Vizeweltmeister-Jahr 1985 ließ er noch Triumphe in Kanada und Deutschland folgen.

Als der Titel mit vier Ausfällen in den letzten vier Saisonrennen jedoch verloren ging, schwand scheinbar auch Alboretos Motivation. 1986 unterlag er klar im teaminternen Duell mit Stefan Johansson, der danach zu McLaren wechselte. Der Italiener durfte trotzdem bei den Roten aus Maranello bleiben - mit Gerhard Berger an seiner Seite wurde es anschließend allerdings nicht einfacher und Alboreto blieb auch 1987 zweiter Sieger im Stallduell. Die einzige Chance das Steuer nochmals herum zu reißen und sich wieder die Herzen des kritischen Publikums zu sichern, verpasste der Sohn eines Italiener und einer Libyerin ganz knapp.

Beim legendären Monza-Lauf 1988 spielte Alboreto nur die zweite Geige, Foto: Sutton
Beim legendären Monza-Lauf 1988 spielte Alboreto nur die zweite Geige, Foto: Sutton

Als in Monza 1988 der führende Ayrton Senna beim Überrunden über Jean-Louis Schlesser stolperte und Teamkollege Gerhard Berger im ersten Rennen nach dem Tod des legendären Enzo Ferrari vor den frenetisch jubelnden Tifosi den Heimsieg für die Scuderia erbte, wurde "Michele Nationale" nur Zweiter und stand abermals im Schatten. Das Kapitel Ferrari war anschließend still und leise beendet. Auch eine Rückkehr zum erschreckend schwachen Tyrrell-Team war 1989 schon nach sechs Versuchen wieder vorbei. Mit Larrousse, Footwork, Scuderia Italia und Minardi folgte bis einschließlich 1994 eine lange Leidenszeit in den niederen Regionen des PS-Zirkus und schließlich in der Bedeutungslosigkeit.

Doch die Motorsport-Laufbahn des Mailänders ging nach 194 Rennen auch abseits der Formel 1 weiter. Nach Auftritten in Amerika kam Alboreto zurück nach Europa und zeigte seine fahrerische Qualität auf der Langstrecke: 1997 gewann er die 24 Stunden von Le Mans. Das traurige Ende folgte vier Jahre später. Am frühen Abend des 25. April 2001 verunglückte der Wahl-Monegasse bei Testfahrten für Audi auf dem Test-Oval neben dem Euro Speedway Lausitz tödlich. Nach einem Reifenschaden an der Hinterachse des R8, hob der Bolide bei Tempo 300 ab und landete jenseits der Leitplanken neben der Strecke - Alboreto blieb ohne Chance.

Der schwarze Prinz

Bei Lotus fuhr De Angelis an der Seite von Ayrton Senna, Foto: Sutton
Bei Lotus fuhr De Angelis an der Seite von Ayrton Senna, Foto: Sutton

Exakt 15 Jahre zuvor war Alboretos Freund und Landsmann Elio de Angelis im südfranzösischen Le Castellet bei einem ähnlichen Unfall gestorben. Die beiden Piloten, die Mitte der Achtziger noch gemeinsam die Formel 1 aufmischten, waren die beiden größten italienischen Talente ihrer Generation. Der große Wurf blieb jedoch beiden verwehrt und sie bezahlten ihre Leidenschaft am Ende auf so tragische Weise mit dem Leben. Der Unfall von De Angelis auf dem Circuit Paul Ricard lief vergleichbar zum Alboreto-Unglück ab. Auch der Römer hob ab, überschlug sich und prallte mit 290 km/h auf die Leitplanken - die Ursache war jedoch ein Bruch des Heckflügels. Der Brabham ging nach dem Crash in Flammen auf. An der menschenleeren Teststrecke waren keine Rettungskräfte oder Sicherheitspersonal vor Ort, die dem damals 28-Jährigen hätten helfen können.

Dieser konnte sich nicht alleine aus dem brennenden Wrack befreien, erlitt eine Rauchvergiftung, sowie einen Herzinfarkt und verstarb am folgenden Tag im Krankenhaus. In der Kritik stand nach der Tragödie auch der äußerst flache, unausgereifte und als gefährlich geltende Brabham-Bolide. De Angelis war erst vor der Saison 1986 zum Team gewechselt, nachdem er zuvor sechs Jahre für Lotus gefahren war. Der ehemalige italienische Formel-3-Meister und Gewinner des prestigeträchtigen Formel-3-Rennens in Monaco hatte seine Karriere in der Formel 1 1979 bei Shadow begonnen. Trotz seines großen Talents konnte "der schwarze Prinz" über die Jahre nur zwei Grand Prix gewinnen.

Der flache Brabham wurde De Angelis 1986 zum Verhängnis, Foto: Sutton
Der flache Brabham wurde De Angelis 1986 zum Verhängnis, Foto: Sutton

1984 wurde er immerhin Weltmeisterschafts-Dritter und war zudem lange Zeit der jüngste Pilot, der jemals auf dem Podium in der Königsklasse gestanden war. Der Sohn eines wohlhabenden Power-Boot-Champions und begnadete Konzertpianist, der einst auch im ZDF-Sportstudio vor verzückten Zuschauern Klavier spielte, galt als einer der letzten Gentlemen der Formel 1. Neben seinem aufstrebenden und neuen Teamkollegen Ayrton Senna hatte der sensible und zurückhaltende Italiener 1985 aber keinen einfachen Stand mehr bei Lotus. Vom anschließenden Wechsel zu Brabham und dem gewagten aber innovativen Design des BT55 aus der Feder von Gordon Murray erhoffte sich der elegante Italiener einen Karrieresprung - dieser endete in einer Tragödie.

Verlorene Talente

Fortuna war den italienischen Piloten ohnehin nie hold. Ganz gleich wie erfolgreich - tragische Ereignisse ziehen sich wie ein roter Faden durch die italienische Rennsport-Historie. Insgesamt ließen sieben Italiener bei Rennen oder Testfahrten in der Königsklasse ihr Leben. Zwei besondere Fälle waren die Talente Giunti und Paletti, die ihr wahres Potential ob ihres frühen Todes nie zeigen konnten. Ignazio Giunti wurde bei seinem ersten Rennen in Spa 1970 auf Anhieb Vierter und hatte in der Folge bereits einen Ferrari-Vertrag für 1971 in der Tasche. Er nahm überdies am Sportwagenprogramm der Italiener teil - noch vor der Saison verunglückte er dabei im Winter in Buenos Aires tödlich.

Marathon-Mann: Patrese war lange Zeit Rekordstarter der F1, Foto: Sutton
Marathon-Mann: Patrese war lange Zeit Rekordstarter der F1, Foto: Sutton

Nie beweisen konnte sich auch Ricardo Paletti, der bei seinem erst zweiten Start 1982 in Kanada in das Heck von Didier Pironi rauschte und anschließend seinen Verletzungen erlag. Umfassend lassen sich die italienischen Piloten in der Formel 1 in drei Kategorien unterscheiden. An der Spitze stehen sicherlich die zwei Weltmeister, sowie die weiteren Top-Fahrer mit mehr als einem Sieg auf dem Konto. Zu diesen gehören neben De Angelis und Alboreto auch der ehemalige Formel-1-Rekordstarter Ricardo Patrese und Giancarlo Fisichella. Dahinter folgt die schier unglaubliche Anzahl von neun italienischen Piloten mit nur einem einzigen Sieg.

Hervorzuheben sind unter diesen sicherlich Lorenzo Bandini, der lediglich 1964 in Österreich gewann und drei Jahre später bei einem Unfall in Monaco verbrannte - seiner Beerdigung in Italien wohnten 100.000 Menschen bei - sowie Alessandro Nannini, der 1989 durch Ayrton Sennas Disqualifikation in Japan zum Sieger erklärt wurde. Nur ein halbes Jahr später wurde dem Bruder der Sängerin Gianna Nannini bei einem Hubschrauberabsturz jedoch die rechte Hand abgetrennt. Auch wenn die Hand wieder angenäht werden konnte, war die Formel-1-Karriere des Unternehmer-Sohns aus Siena in der Folge beendet.

Übertragbarer Fluch

Die letzte Gruppe bildet eine breite Masse aus glücklosen Talenten, unter der sich besonders in den späten Achtzigerjahren einige durchaus klangvolle Namen aus dem Mittelfeld der Formel 1 wiederfinden. Insbesondere Pechvogel Andrea de Cesaris, der bei 208 Rennstarts nie gewinnen konnte, oder der talentierte Ivan Capelli, der bei March zwei Mal knapp einen Sieg verpasste, bleiben in Erinnerung. Pierluigi Martini schaffte es in über zehn Jahren Formel 1 nicht einmal aufs Podest und mit Stefano Modena, Teo Fabi, Nicola Larini, Gianni Morbidelli, Tourenwagen-Weltmeister Gabriele Tarquini und Le-Mans-Veteran Emanuele Pirro scheint die Liste der Gescheiterten unendlich lang.

Zanardi hatte in den USA mehr Erfolg als in Europa, Foto: Sutton
Zanardi hatte in den USA mehr Erfolg als in Europa, Foto: Sutton

Ein besonderer Fall ist auch Alex Zanardi. Der Italiener versuchte sich gleich zwei Mal in der Formel 1, blieb jedoch farblos, obwohl er in Amerika große Erfolge erzielen konnte. Die weitere Tragik mit Zanardis schwerem Unfall auf dem Lausitzring - ausgerechnet im gleichen Jahr und auf der gleichen Strecke, auf der Alboreto sein Leben ließ - bei dem der Ex-Williams-Pilot beide Beine verlor, ist bekannt. Beispiele aus der Neuzeit bilden unter anderem Luca Badoer, der bei 50 Starts keine Punkte holen konnte, oder GP2-Champion Giorgio Pantano, der sich in der Formel 1 nie durchsetzte, obwohl er zu Kartzeiten noch als Jahrhunderttalent gefeiert wurde.

Dass der 'italienische Fluch' auch übertragbar ist, zeigt zu guter Letzt das Beispiel Jean Alesi. Der Franzose wurde ob seiner langen Tätigkeit für Ferrari von den italienischen Fans mehr geliebt, als die eigenen Piloten und gefühlt zum Landsmann erklärt. Was somit am Ende zu Buche stand, war genau ein einziger Sieg in Kanada 1995. Die Ironie des Schicksals will es, dass Alesi als Tribut seit jeher mit dem Helmdesign von Elio de Angelis antrat.

Die Reportage über Italiens verlorene Talente in der Formel 1 stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Analysen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: