Die Folgen der sowjetischen Vorherrschaft bleiben auch in der Lausitz selbst zwei Jahrzehnte nach der Wende im Blickfeld: Toprenovierte historische Innenstädte und - zumindest zur Frühlingszeit - blühende Landschaft mischen sich mit trostlosen Industriebrachen und gruseligen Auswüchsen sozialistischer Sacharchitektur. So blieb auf dem EuroSpeedway Lausitz selbst die moderne, durchgestylte DTM-Welt vom Einfluss des klassischen Russischen Roulettes nicht verschont...

Architektonisches Roulette

Gewichtsreglement, Gewichtsvorteil, Gewichtsnachteil - und die "neue erste Kurve". So lauteten ähnlich wie schon in Oschersleben die beherrschenden Themen der ersten beiden Tage des Rennwochenendes. Gut für die Überholchancen, weniger gut für die Unterböden sowie den fahrerischen Fluss: So lautete das mehrheitliche Urteil über die neueste Kreation der Streckenarchitekten, die die ehemals ausladende erste Kurvenpassage in ein Nadelöhr verwandelt hatten. Doch das sollte am Sonntag das geringste Problem sein:

Holprig, aber ohne bleibende Schäden: Das DTM-Debüt der neuen ersten Kurve, Foto: DTM
Holprig, aber ohne bleibende Schäden: Das DTM-Debüt der neuen ersten Kurve, Foto: DTM

Wenngleich insbesondere Pole-Setter Bruno Spengler nach einem Start beim verzweifelten Versuch, verlorenen Boden auf Mika Häkkinen gutzumachen, ausgiebig über die Randsteine holperte - mit einem angeknacksten Unterboden hatte der Kanadier ebenso wenig zu kämpfen wie jene Konkurrenten, die im Startgetümmel ähnlich ungelenk agierten. Lediglich die Kollision zwischen Gary Paffett und Alexandre Prémat wäre ohne die neue Kurve möglicherweise nicht passiert: Auf Kampflinie möglichst weit links fahrend bremste der Brite beim Versuch, den aus seiner Position umso engeren Linksknick noch zu erwischen, so früh, dass der im Windschatten befindliche Franzose den für ihn verhängnisvollen Auffahrunfall nicht verhindern konnte.

Ingolstädter Roulette

So avancierte Prémat trotz beeindruckenden Speeds erneut zu einem der Pechvögel des Wochenendes - und neben dem silbern-goldenen Jahreswagen des 24-Jährigen war auch der silberne Siemens-Neuwagen nicht zum ersten Mal in einen Unfall verwickelt: Nachdem bereits Jamie Green im Kampf gegen Adam Carroll allzu stürmisch agiert hatte und mit einer Durchfahrtsstrafe büßen musste, drängte Mathias Lauda die vor ihm liegende Kristensen-Vertretung Markus Winkelhock eingangs Turn 3 in die Reifenstapel.

Zweite Durchfahrtsstrafe im dritten Rennen: Jamie Green, Foto: Sutton
Zweite Durchfahrtsstrafe im dritten Rennen: Jamie Green, Foto: Sutton

Das durchaus überzeugende Comeback des früheren Mercedes-Piloten endete somit allzu früh: "Wir sind nebeneinander aus der Kurve gefahren. Mathias hat mir keinen Platz gelassen und mich dabei in die Reifenstapel gedrückt", kommentierte ein enttäuschter Winkelhock. Genervt vom erneuten Kollisionspech seiner Piloten empfand Audi-Sportchef Laudas Manöver als einfach nur "unnötig" - und musste bei der Pressekonferenz den Lobeshymnen Norbert Haugs auf den am Ende siebtplatzierten Österreicher entschieden widersprechen...

Roulette unter Gelb

Die deutsch-österreichische Kollision initiierte den Höhepunkt des Russischen Roulettes in der Lausitz. "Das Safety Car kam definitiv zu spät raus", bewertete nicht nur Bernd Schneider den missglückten Versuch, Winkelhocks A4 DTM unter gelber Flagge zu bergen. Was folgte, einte Zuschauer, Journalisten, Piloten und Verantwortliche: Die totale Ahnungslosigkeit. Wieso fing das Safety Car statt des Führenden den Drittplatzierten ein? Dass die Boxengasse zum Zeitpunkt des ekströmschen Stopps geschlossen war, war korrekt - doch wieso war sie trotz anders lautender Regeln bereits wieder geöffnet, ohne dass sich das Safety Car endlich vor den Führenden gesetzt hätte?

Stop and go an der Boxenfahrt, Foto: DTM
Stop and go an der Boxenfahrt, Foto: DTM

Wieso zeigte die Ampel ausgangs der Boxengasse für Mattias Ekström und Bruno Spengler Rot, für die meisten anderen Absolventen der Boxenstopps hingegen Grün, obwohl das Feld noch nicht vorbeigezogen war? Dass die Positionslisten plötzlich in krassem Widerspruch zur tatsächlichen Rangfolge auf der Strecke stand, blieb auch der Rennleitung nicht verborgen. Den Versuch, das Feld mittels einer zweiten Safety-Car-Phase zu "ordnen", wurde von so manchem Piloten allerdings eher als Verschlimmbesserung empfunden:

Roulette der Spekulationen

"Wenn die zweite Safety-Car-Phase nicht gewesen wäre, wäre ich Zweiter geworden und Jamie Erster", kommentierte Gary Paffett, der noch vor der ersten Safety-Car-Phase seinen ersten Stopp eingelegt hatte, am Ende mit einem Kopfschütteln. Wie das Rennen unter welchen Umständen ausgegangen wäre, wurde somit heiter spekuliert. Selbst Vertreter der Rennleitung gaben zu, falsche Ampelschaltungen am Boxenausgang nicht auszuschließen, aber auch nicht mehr nachverfolgen zu können.

Paul Di Resta machte sich im 2005er-Boliden zum souveränen Meisterschaftsführenden, Foto: Mercedes
Paul Di Resta machte sich im 2005er-Boliden zum souveränen Meisterschaftsführenden, Foto: Mercedes

Dass Mattias Ekström mit seinem ersten Stopp bei geschlossener Boxengasse - sowie dem von der Rennleitung angeordneten dritten Stopp - zu den großen Verlierern der allgemeinen Konfusion gehörte, nahm Audi nur ungern hin. Die sonst so brave Pressemitteilung zum Rennen bekam so ungeahnte Würze: Als "umstritten" bezeichnete Audi das Ergebnis auf dem EuroSpeedway, der Versuch der Rennleitung, das Bild mit einem zweiten Einsatz des Safety Cars zu korrigieren, habe die Zuschauer "zusätzlich verwirrt". Nur "im Sinne des Sports" habe man auf einen Protest gegen die Wertung des Rennens verzichtet - nachdem sich die Rennleitung bereits durch eine zweistündige Aussetzung des Ergebnisses Bedenkzeit verschaffen wollte...

Kräfteroulette

Zwar gewann mit HWA-Vertreter Mika Häkkinen ein Pilot jenes Fahrzeugs das Rennen, das sich auch gewichtsbereinigt über das gesamte Wochenende am stärksten präsentiert hatte und somit verdient triumphierte. Doch neben den erneuten Topleistungen des zweitplatzierten Paul Di Resta im 2005er-Mercedes wussten auch die Abt-Audi im Rennen zu überraschen: Kämpften die Ingolstädter am Samstag beim Versuch, ungebrauchte Reifen auf Temperatur zu bringen, noch mit massiven Problemen, so zeigten sich die Audi-Neuwagen am Sonntag umso konkurrenzfähiger:

Mit der Schnellsten Rennrunde setzte Mattias Ekström auch ohne Meisterschaftspunkte ein weiteres Ausrufezeichen - und darf immerhin erleichtert sein, trotz zuletzt mäßiger Ergebnisse noch Rang zwei der Meisterschaft zu belegen. Hinter dem mit 20 Punkten unangefochten führenden Di Resta lauern mit gleicher Punktzahl wie der Schwede Martin Tomczyk und Gary Paffett, Mika Häkkinen und Bernd Schneider liegen mit zehn Punkten nur knapp dahinter. Gleich fünf Piloten konnten bislang sechs Punkte sammeln - und müssen im Titelroulette noch längst nicht aufgeben...