Herr Dr. Grams, Sie sind im Oktober 2023 überraschend auf eigenen Wunsch als Geschäftsführer bei der Audi Sport GmbH zurückgetreten. Seitdem ist es ruhig um Sie geworden. Fällt man nach solch einem großen Karriereschritt erst einmal in ein Loch?
Dr. Sebastian Grams: Nein, überhaupt nicht. Ich bin nicht in ein Loch gefallen, sondern stehe weiterhin früh morgens um 7 Uhr auf, um meine Tochter in den Kindergarten zu bringen. Ich hatte mir schon seit längerer Zeit vorgenommen, irgendwann mal verstärkt dem Familienleben nachzugehen und zu versuchen, meine Frau etwas zu entlasten.

Klingelt der Wecker aktuell früher oder später als zu Audi-Sport-Zeiten?
Dr. Sebastian Grams: (lacht) Ein bisschen später. Früher klingelte mein Wecker um 6 Uhr, da um 7:15 Uhr das Standup mit allen meinen Leitern stattfand.

Dr. Sebastian Grams war von 2021 bis 2023 Geschäftsführer der Audi Sport GmbH
Dr. Sebastian Grams war von März 2021 bis Oktober 2023 Geschäftsführer der Audi Sport GmbH, Foto: Audi AG

Sie haben im März 2021 die Audi Sport GmbH als Geschäftsführer übernommen und sind im Oktober 2023 zurückgetreten. Warum?
Dr. Sebastian Grams: Manchmal öffnen sich bestimmte Türen. Dann gilt es, die Chance zu ergreifen. Das ist einer der Gründe. Ein anderer ist, dass ich schon länger mit dem Gedanken geliebäugelt hatte, etwas anderes zu machen, sprich: mich außerhalb der Volkswagen-Welt weiterzuentwickeln. Den von mir eingeschlagenen C-Level-Weg (Vorstandsebene; d. Red.) möchte ich fortführen und Neues dazulernen. Dieser Gedanke ist über eine längere Zeit und nach vielen Gesprächen mit guten Kollegen sowie Familie und Freunden gereift.

Für Außenstehende klingt das überraschend. Auch bei Audi dürfte es im Zuge der Mobilitätswende alles andere als langweilig sein.
Dr. Sebastian Grams: Ja, das ist definitiv so, und ich würde meine letzte Position auch als einen Traum-Job bezeichnen. Wie heißt es doch: Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Ich hatte fantastische drei Jahre als CEO der Audi Sport GmbH, und dann habe ich genau das getan. Mit einem vorausschauenden Blick, eine andere tolle Chance ergreifen zu können, habe ich diese Entscheidung getroffen. Ich bin ein Typ, der Veränderungen mag und der gerne Dinge voranbringen möchte. Wenn man sich meinen Lebenslauf anschaut, sieht man, dass ich mich stets nach rund drei Jahren weiterbewegt habe, um im Kopf frisch zu bleiben und wieder neue Dinge dazuzulernen. Für alle, die mich sehr gut kennen, war das also absehbar.

Dr. Sebastian Grams war von 2021 bis 2023 Geschäftsführer der Audi Sport GmbH
Dr. Sebastian Grams beim 24h-Rennen Nürburgring 2023, Foto: Privat

In Medien wurde spekuliert, dass Oliver Hoffmann (Ex-Technikvorstand und jetzt Generalvollbemächtigter für das Formel-1-Projekt) und Julius Seebach (Leiter Strategie & Innovation Technische Entwicklung) angeblich hinter Ihrem Ausscheiden gesteckt haben könnten. Stimmt das?
Dr. Sebastian Grams: Das ist eine reine Spekulation, die nicht den Tatsachen entspricht. Ich denke, dass ich alle sehr mit meiner Entscheidung überrascht habe, inklusive dem Audi-Vorstand. Die Entscheidung basierte vollkommen auf den Gründen, die ich Ihnen bereits ausführlich geschildert habe.

Mitte 2023 hat der Audi-Vorstand um den inzwischen abgesetzten CEO Markus Duesmann entschieden, die bisherige Werksunterstützung im Kundenmotorsport zugunsten des Milliarden schweren Formel-1-Projekts einzustellen. Der Kundensport fällt in den Bereich der Audi Sport GmbH - spielte dieser Vorstands-Beschluss eine Rolle bei Ihrem Abgang?
Dr. Sebastian Grams: Nein, aber ich habe eine ganz klare Sicht auf dieses Thema. Ich bin davon überzeugt, dass für eine High-Performance-Marke wie Audi Sport der Kundenmotorsport extrem relevant ist. Ich habe es immer als einen essenziellen Baustein innerhalb der Audi Sport GmbH betrachtet, den Einsatz im Kundensport zu forcieren, da er die Verbindung zu performanten Serienfahrzeugen herstellt. Ich finde es extrem unglücklich, dass man den Kundensport nicht parallel weiterbetreiben wollte, so, wie das andere Hersteller ebenfalls sehr erfolgreich machen. Zudem hat Audi Sport mit den "Biberachos" eines der besten und leistungsstärksten Kundensport-Teams weltweit im eigenen Haus, das über Jahre aufgebaut wurde. Die Jungs leben Racing und das muss man einfach gewinnbringend für die Vier Ringe nutzen.

Die Entscheidung gegen den werksunterstützten Kundensport hat viel öffentliche Kritik nach sich gezogen. Wie haben Sie die Reaktionen verfolgt?
Dr. Sebastian Grams: Der Motorsport war zwar nicht mein Hauptbetätigungsfeld, aber ich habe die Reaktionen mit großem Interesse verfolgt. Es gab viele langjährige Investoren und Sponsoren, die diese Entscheidung nicht nachvollziehen konnten und sich einen anderen Weg gewünscht hätten. Ich finde, dass einer Marke wie Audi der Kundensport sehr gut zu Gesicht steht und auch zur Marke dazugehören sollte. Audi kommt nun mal aus dem sehr Zuschauer-nahen Racing.

Dr. Sebastian Grams war von 2021 bis 2023 Geschäftsführer der Audi Sport GmbH
Dr. Sebastian Grams mit Ducati-CEO Claudio Domenicali bei der MotoGP, Foto: Audi AG

Sie haben sich die Aufgaben bei der Audi Sport GmbH zuletzt mit dem nun alleinigen Geschäftsführer Rolf Michl geteilt. Wie war Ihr Verhältnis zueinander?
Dr. Sebastian Grams: Rolf war zuvor Teil meines Management-Teams und ich habe mich damals für seine Ernennung zum Geschäftsführer ausgesprochen. Wir haben unsere Aufgabenbereiche gut aufgeteilt. Rolf war eher für den Bereich Motorsport zuständig, und ich für das Seriengeschäft, also alles, mit dem die Audi Sport GmbH Geld verdient. Wir sind sicherlich sehr unterschiedliche Charaktere. Ich denke, die Audi Sport GmbH braucht einen umsetzungsstarken, unternehmerisch denkenden Geschäftsführer an ihrer Spitze, und so habe ich mein Amt ausgeführt.

Dennoch waren Sie auch im motorsportlichen Bereich tätig, wir haben Sie öfter an der Rennstrecke getroffen...
Dr. Sebastian Grams: Als Counterpart von Rolf Michl stand ich sehr stark mit dem Motorsport in Kontakt und habe mich dafür eingesetzt, den Rennsport mit der Serie in Verbindung zu bringen. An der Rennstrecke trifft man genau die Kunden und Fans, die unsere Produkte lieben und kaufen. Ich habe im Motorsportbereich auch die Ducati-Kooperation in der MotoGP mit Audi Sport initiiert, weil zwischen den beiden Performance-Brands eine hohe Kundenüberschneidung besteht. Das Thema '40 Jahre Audi Sport GmbH' habe ich im vergangenen Jahr ebenso initiiert und stark vorangetrieben, dazu zählten der Auftritt beim 24h-Rennen Nürburgring oder ein Fan-Treffen in Neckarsulm mit mehr als 3.000 Besuchern.

Die Audi Sport GmbH hat in den vergangenen Jahren immer wieder Rekordwerte erzielt. Wie blicken Sie auf Ihre Leistung zurück?
Dr. Sebastian Grams: Wir haben als Team in dieser Zeit sehr viel erreicht, darauf bin ich unglaublich stolz. Wir haben die Audi Sport GmbH auch für die Transformation in Richtung der Elektrifizierung gut vorbereitet, nicht nur in der Entwicklung, sondern auch in der Produktion und bei den Mitarbeitern. Das kann man gut in den Böllinger Höfen sehen, wo ein Audi RS e-tron GT als performantestes vollelektrisches Fahrzeug neben einem Audi R8 als performantestem Verbrenner gebaut wird.

Dr. Sebastian Grams war von 2021 bis 2023 Geschäftsführer der Audi Sport GmbH
Bis Oktober 2023 gemeinsame Geschäftsführer der Audi Sport GmbH: Rolf Michl und Dr. Sebastian Grams, Foto: Audi AG

Viele Audi-Fans dürften Sie mögen, weil Sie es geschafft haben, die 'Lebensdauer' des Auslaufmodells namens R8 zu verlängern...
Dr. Sebastian Grams: Wir haben einige limitierte Modelle auf den Markt gebracht. Mit solchen Fahrzeugen kann man nicht nur gutes Geld verdienen, sondern auch viele Kunden begeistern, wenn es gelingt, Rennsporttechnik in Serienfahrzeuge zu übertragen. Wir haben zuletzt den Audi R8 GT in einer Auflage von 333 Modellen herausgebracht, dazu den 300 km/h schnellen Audi RS 3 Performance Edition, einen Audi TT RS Iconic Edition in 100-facher Auflage sowie 555 Modelle des Audi RS Q3 als 10-Jahres-Edition. Und nicht zu vergessen den RS 6 GT, ebenfalls limitiert auf 660 Stück. Mein absolutes Herzensprojekt, das extrem gut angekommen ist und das Audi Sport für mich versinnbildlicht.

Es dürfte nicht einfach gewesen sein, solche Projekte im Audi-Vorstand durchzudrücken?
Dr. Sebastian Grams: Das ist korrekt, und es wurde die Frage gestellt, ob wir solche Produkte in den aktuellen Zeiten wirklich brauchen. Da bin ich aber beharrlich und kämpfe gerne für solche Themen, auch gegen Widerstände.

Passt der von Audi eingeschlagene Weg der Elektrifizierung überhaupt zu einer Marke wie Audi Sport?
Dr. Sebastian Grams: Ich bin ganz klar der Meinung, dass auch in der elektrischen Welt das Thema High-Performance eine gute Zukunft hat. Es gibt einige DNA-Elemente, die auch für High-Performance-Fahrzeuge im E-Auto-Bereich relevant sind: Breitbau als optische und eigenschaftsverbessernde Komponente oder auch Mehrleistung. Es wird vielleicht noch ein wenig dauern, bis Kunden vollends überzeugt sind, aber ich bleibe überzeugt, dass dieses Thema weiter vorangetrieben werden muss. Hinzu kommt für mich die Digitalisierung, die eine ganz neue Facette der Individualisierung mit sich bringt. Auch hier haben wir in meiner Zeit ein erstes MVP (Minimum Viable Product; d. Red.) zur Serienreife gebracht, ein digitaler Marktplatz im Auto, die sogenannte 'Audi Stage', welcher dieses Jahr in der gesamten Audi-Flotte ausgerollt wird.

Dr. Sebastian Grams war von 2021 bis 2023 Geschäftsführer der Audi Sport GmbH
Dr. Sebastian Grams durchlief mehrere Positionen im großen VW-Konzern, Foto: Porsche AG

Sie haben Ihre Laufbahn im Jahr 2000 bei Audi begonnen und anschließend unterschiedliche Führungspositionen bei Marken des VW-Konzerns bekleidet. Auf welche Erlebnisse blicken Sie gerne zurück?
Dr. Sebastian Grams: Ein Highlight war für mich mein damaliger Besuch in der Motorenwerkstatt für die Le-Mans-Rennwagen zu Beginn der 2000er-Jahre noch als Student, damals unter der Leitung des wohlbekannten Ulrich Baretzky. Dieses Erlebnis hat mir viel Energie und Motivation mitgegeben für meine weitere Ingenieurslaufbahn. Ein weiterer Höhepunkt war die Entwicklung der ersten Generation des Audi R8, bei der ich als Motoringenieur ein Teil des Entwicklungsteams sein durfte. Die erste Ausfahrt mit dem Prototypen und die Erprobungsfahrten durch die Wüste von Arizona werde ich noch lange in Erinnerung behalten. Ein Highlight für mich war sicherlich auch, am Aufbau einer eigenen Software-Company bei SEAT und CUPRA (SEAT:CODE; d. Red.) in Barcelona unter dem damaligen CEO Luca de Meo mitgewirkt zu haben und zu zeigen, wie man mit rein digitalen Produkten als Automobilbauer Geld verdienen kann.

CUPRA zählt aktuell zu den aufstrebenden und 'angesagten' Marken im VW-Konzern. War eine Rückkehr ein Thema?
Dr. Sebastian Grams: CUPRA macht unter Wayne Griffiths mit den vorhandenen Mitteln einen fantastischen Job. Das erinnert mich ein wenig an die Aufbruchstimmung bei Audi in den 2000er-Jahren. Meine Entscheidung basierte aber wie gesagt sehr bewusst darauf, außerhalb des VW-Konzerns weitere Erfahrungen sammeln zu wollen. Ich glaube, wenn man den Absprung nicht bis Mitte 40 macht, bleibt man eben bis zur Rente in der gleichen Firma. Und wie sagt man so schön: Man sieht sich im Job ja immer zweimal. (lacht)

Wie geht es beruflich für Sie weiter?
Dr. Sebastian Grams: Ich kann noch nicht darüber sprechen. Ich kann aber verraten, dass es sich um eine sehr spannende Vorstandsaufgabe handeln wird. Darüber hinaus gab es nach dem Bekanntwerden meines Ausscheidens diverse tolle Angebote, auch aus dem Motorsport.

Sehen wir Sie in Zukunft wieder an der Rennstrecke?
Dr. Sebastian Grams: Man wird mich auf jeden Fall wieder an der Rennstrecke sehen, und nicht nur zum selber Fahren!