Schon vor dem "Schieb-ihn-raus"-Skandal in Spielberg erntete Audi harte Kritik von Verantwortlichen der DTM-Organisation ITR sowie Fans und Medien.

Was war passiert? Rammstöße, Boykott, Strafen: Am 23.09.2007 erlebten 42.000 Zuschauer auf dem Circuit de Catalunya bei Barcelona (Spanien) ein überhartes Rennen, bei dem ein Audi-Fahrer nach dem anderen von Mercedes-Piloten von der Strecke gerempelt wurde – darunter alle vier Werksfahrer des Audi Sport Team ABT Sportsline inklusive der beiden Titelkandidaten Mattias Ekström und Martin Tomczyk!

Als die Situation zu eskalieren drohte, entschied Audi-Motorsportchef Dr. Wolfgang Ullrich, alle sieben noch im Rennen verbliebenen Audi A4 DTM zurückzuziehen.

Vom Start weg hatte der Trainingsschnellste Martin Tomczyk die Führung übernommen, ehe er in der siebten Runde vom zweimaligen Formel-1-Weltmeister Mika Häkkinen von der Strecke gerempelt wurde. Der Rosenheimer konnte das Rennen auf Platz elf zunächst fortsetzen, musste später jedoch aufgeben, weil an seinem ABT-A4 bei der Kollision der Wasserkühler beschädigt worden war.

Tomczyks ABT-Teamkollege, Tabellenführer Mattias Ekström, hatte sich am Start von Rang zehn flott nach vorne gekämpft und war nach einem frühen ersten Reifenwechsel sehr schnell unterwegs. Als der Schwede den Sternfahrer Daniel la Rosa, der noch nicht an der Box war, überholte, wurde er vom Hanauer getroffen. Damit war auch für Ekström das Rennen vorzeitig beendet.

In der Startrunde hatte es bereits Tom Kristensen erwischt, als der Däne von Mercedes-Pilot Gary Paffett umgedreht worden war. Als dann auch noch Timo Scheider und der an dritter Position fahrende Mike Rockenfeller von Sternfahrern abgeräumt wurden, entschied Audi-Motorsportchef Dr. Wolfgang Ullrich nach Rücksprache mit dem Vorsitzenden des Vorstandes der Audi AG, Rupert Stadler, alle im Rennen verbliebenen Audi A4 DTM zurückzuziehen und damit ein klares Zeichen für fairen Motorsport zu setzen. In dieses brisante Szenario war nach Informationen von Motorsport-Magazin.com sogar der damalige VW-Chef Martin Winterkorn involviert.

"Was heute auf der Rennstrecke passiert ist, war einfach inakzeptabel", erklärte Rupert Stadler, der das Rennen vor Ort in der Box des Audi Sport Team Abt Sportsline verfolgte. "Wir gehen davon aus, dass sich die Emotionen bis Hockenheim legen werden und die Zuschauer dort ein sportlich faires Saisonfinale sehen. Aber es müssen sich sicherlich ein paar Dinge ändern!"

Auch Audi-Motorsportchef Dr. Wolfgang Ullrich rechtfertigte die umstrittene Entscheidung und meinte: "Wir wollten heute ein hartes, faires Tourenwagen-Rennen sehen. Doch wir mussten den Eindruck gewinnen, dass die Mercedes-Piloten jede Gelegenheit genutzt haben, unsere Fahrzeuge aus dem Weg zu räumen. Das ist nicht die Art und Weise, wie wir Motorsport betreiben möchten", betonte der Österreicher, der sich harte, aber faire Duelle gewünscht hatte, "aber nicht so etwas wie heute." Und deshalb habe man gemeinsam die Entscheidung getroffen, all unsere Fahrzeuge zurückzuziehen. "Das war keine leichte Entscheidung, die uns Punkte und vielleicht sogar den Titel gekostet hat. Doch wir wollten ein klares Zeichen für fairen Motorsport setzen."

Sofort gab es Befürchtungen, dass Audi aus Verärgerung der populären Rennserie ganz den Rücken kehren könnte. Das wäre das Ende der DTM gewesen, denn mit Mercedes als einzigem verbliebenem Hersteller war eine Zukunft praktisch ausgeschlossen. "Wir werden in Hockenheim in jedem Fall antreten, schließlich wollen wir den Titel gewinnen", betonte dagegen Stadler. "Es ist unsere Absicht, auch 2008 in der DTM anzutreten."

Trotzdem hagelte es Kritik von allen Seiten (Die Welt titelte vernichtend: Schwerer Schlag für die chaotische Rennserie!) und die Angst ging um vor einem erneuten Hass-Duell zwischen Audi und Mercedes beim Saisonfinale am 14. Oktober in Hockenheim, weshalb die Existenz der DTM auf dem Spie stand.

"So verhält man sich nicht, so macht man den Sport kaputt", sagte DTM-Boss Hans Werner Aufrecht. "Das darf doch wohl nicht wahr sein", habe er in diesem Moment nur gedacht. "So etwas habe ich in der mehr als 20-jährigen DTM-Geschichte noch nie erlebt."

Der Konter von Stadler ließ nicht lange auf sich warten. "Nach dem dritten Abflug von einem unserer Fahrer war für mich das Maß voll, das hatte doch nichts mehr mit Fairness zu tun", kritisierte der Audi-CEO die überharte Mercedes-Fahrweise, nachdem er hilflos mit ansehen musste, "wie einer unserer Favoriten nach dem anderen von der Strecke segelte". Dafür entschuldigte sich hinterher auch Mercedes-Sportchef Norbert Haug, merkte aber an: "Das war absolut keine Absicht. Wir wollen fair gewinnen."

Die Wogen glätteten sich erst, als bekannt wurde, dass am Mittwoch vor dem Saisonfinale Norbert Haug und Dr. Wolfgang Ullrich in Stuttgart die Geschehnisse in Barcelona noch einmal Revue passieren ließen und sich gegenseitig versprachen, dass es ein sportlich faires Finalrennen geben werde.

Bevor dieses über die Bühne ging, verhängten die Sportkommissare des Deutschen Motor Sport Bundes (DMSB) harte Strafen gegen zwei Übeltäter von Barcelona. Häkkinen bekam für den von ihm verursachten Unfall mit Martin Tomczyk 20.000 Euro aufgebrummt – und es kam noch härter: Weil der Finne die Urteilsverkündung nicht abwartete, sondern vorzeitig die Rennstrecke regelwidrig verließ, musste Häkkinen weitere 2.000 Euro zahlen und kassierte obendrein noch eine Strafversetzung um zehn Startplätze im Finale. Zusammengefasst war es die höchste Strafe, die gegen einen DTM-Fahrer bis diesem Zeitpunkt ausgesprochen wurde.

Ebenso wie Häkkinen wurde sein Mercedes-Markenkollege Daniel la Rosa für das unsportliche Verhalten beim neunten Saisonrennen bestraft und ebenso wie Häkkinen aus der Wertung genommen. Außerdem musste er 10.000 Euro zahlen und wurde ebenfalls in der Startaufstellung für den Finallauf um zehn Startplätze nach hinten versetzt. Leidtragender der rüden Attacken seiner Markenkollegen war Jamie Green, dessen erster DTM-Triumph angesichts der unschönen Ereignisse völlig unterging. Insgesamt beendeten nur sechs Fahrer dieses Rennen, alle saßen in einem Silberpfeil – gleichbedeutend mit einem neuen DTM-Negativrekord!

Vor dem Finale hatte Barcelona-Pechvogel und Spitzenreiter Ekström nur noch zwei Punkte Vorsprung auf Spengler (44:42). Tomczyk fiel zwar auf Platz drei der Gesamtwertung zurück, er hatte aber bei der damaligen F1-Punktevergabe 10-8-6-5-4-3-2-1 für die Top 8 auch noch Titelchancen.

Letztendlich reichte Ekström Rang drei vor Spengler zu seinem zweiten DTM-Triumph nach 2004, weil Teamkollege Tomczyk als Neunter punktlos blieb.