Die DTM bot 1992 einige Sternstunden, sie wurde aber auch vom bis heute größten Skandal ihrer Geschichte überschattet.

Keke Rosberg feierte in der neunjährigen DTM-Historie als erster ehemaliger Formel-1-Weltmeister ebenso einen Triumph wie Ellen Lohr, die bis heute als einzige Frau ein DTM-Rennen gewann - beide in einem Mercedes-Benz 190E 2.5-16 Evo II.

Audi hatte 1990 mit Hans-Joachim Stuck und 1991 mit Frank Biela den Fahrertitel gewonnen und diesen als erster Hersteller in der DTM verteidigt - nicht zuletzt durch die legale Nutzung des Allrad-Antriebs. Deshalb wurde das Meisterauto, der Audi V8 quattro in der Evolutions-Version, im zweiten Einsatz-Jahr von den Reglementmachern weiter massiv mit Gewichtszuladungen "eingebremst".

Für die Saison 1992 bekam der angeblich überlegene Audi, der in den Jahren 1990 und 1991 ebenso wie BMW 16 Siege einfuhr, noch einmal mehr Gewicht zugeteilt und so betrug das Gesamtgewicht des V8 quattro mit 1.300 Kilogramm sage und schreibe 320 kg mehr als die Konkurrenz mit dem BMW M3 und der AMG-Mercedes 190E 2.5-16 Evo II.

Foto: Audi AG
Foto: Audi AG

Die berühmteste Kurbelwelle der Motorsport-Geschichte

Um trotzdem konkurrenzfähig zu bleiben, ließen sich die Verantwortlichen bei Audi Motorsport - insbesondere die Motorenabteilung - etwas Besonderes einfallen und nutzten dabei nach eigener Aussage eine Lücke im Reglement. Im neuen V8-Motor wurde eine Kurbelwelle verbaut, an der die Wangen für die Pleuel um 180 Grad gekröpft waren, obwohl im Serien-V8 eine um 90 Grad gekröpfte Welle ihren Dienst verrichtete.

Dem Regelwerk zufolge war dieser geniale Schachzug die gefundene Grauzone. Bei BMW sah man das naturgemäß völlig anders und so geschah etwas einmaliges, was nicht einmal die größten Skeptiker auf dem Radar hatten...

Der Audi-Skandal im Detail

Bereits nach dem zweiten Saisonrennen am 05.04.1992 in Zolder wurde der neue Audi-Motor auf Anweisung der Sportkommissare der Obersten Nationalen Sportkommission ONS) in Deutschland einer Untersuchung unterzogen. Danach waren die Regelhüter der Auffassung, die Kurbelwelle entspreche dem Reglement! Diese Entscheidung war aber noch lange nicht das Ende der Fahnenstange, wie die folgenden Events (leider) zeigen sollten.

Nachdem Titelverteidiger Frank Biela im ersten Nürburgring-Rennen am 19.04.1992 den ersten und einzigen DTM-Sieg der Saison für Audi erzielte, erhitzten sich die Gemüter erneut und so war nicht verwunderlich, dass zwei Wochen später der nächste Eklat folgte: BMW beanstandete erneut die Kurbelwelle im Audi V8 quattro und legte am 03.05.1992 nach dem zweiten Wunstorf-Rennen einen Protest gegen Biela ein, der hinter fünf Mercedes-Fahrern auf Platz sechs bester Audi-Pilot war.

Foto: Audi AG
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Legal, illegal, schei*egal?!

Die ONS-Sportkommissare wiesen den Protest zurück, was zur Folge hatte, dass BMW sofort Einspruch einlegte. Das ONS-Berufungsgericht erklärte in seinem überraschenden Urteil, die Kurbelwelle im Audi von Biela sei doch nicht regelkonform und deshalb müsse der Audi-Werksfahrer disqualifiziert werden!

Im Rahmen des vierten DTM-Events eine Woche später auf der Berliner AVUS (10.05.1992) wurde kommuniziert, dass ein von der ONS in Auftrag gegebenes TÜV-Gutachten die Audi-Kurbelwelle - man lese und staune - doch für legal erklärte!

Damit war die unfassbare Posse um die angebliche "Wunder"-Welle von Audi aber immer noch nicht beendet, denn schon bei der darauffolgenden Veranstaltung in Hockenheim (24.05.1992), bei der Ellen Lohr in einem Werks-Mercedes 190E 2.5-16 Evo 2 den bis heute einzigen Triumph einer Frau in der DTM feierte, protestierte der Autobauer aus München, vertreten durch Motorsportdirektor Marc Surer, erneut gegen die speziell bearbeitete Audi-Kurbelwelle. Wohl auch wegen des TÜV-Gutachtens wiesen die ONS-Stewards den Protest zurück, was BMW nicht daran hinderte, erneut in Berufung zu gehen! Es müsse in dem Fall Klarheit bis ins Detail geben, hieß es seitens BMW.

Foto: Audi AG
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Audi lässt die DTM-Bombe platzen

Noch vor dem Heimspiel der Ingolstädter auf dem Nürnberger Norisring platzten gleich zwei Bomben: Das Berufungsgericht der ONS als Sporthoheit kam plötzlich und völlig unerwartet zu dem Urteil, die umstrittene Kurbelwelle sei illegal und verbannte damit den "Stufe-4"-Motor von Audi endgültig aus der DTM. Ein Sieg für BMW am grünen Tisch, der bis heute einen bitteren Beigeschmack hat.

Der Vorstand der Audi AG, allen voran Ferdinand Piech sowie Sportchef Dieter Basche, zog daraufhin unmissverständlich die Reißleine und beendete mit sofortiger Wirkung das Werks-Engagement mit den vier eingesetzten V8 quattro für Frank Biela, Hubert Haupt, Frank Jelinski und Hans-Joachim Stuck, und das ausgerechnet vor dem Heimspiel der Ingolstädter am letzten Juni-Wochenende 1992 - also vor exakt 30 Jahren. Damit war der bis heute größte DTM-Skandal endgültig perfekt.

Eine in den Regularien festgelegte Strafzahlung für das Nichtantreten bei den restlichen fünf Events mit insgesamt zehn Rennen, die nach Informationen von Motorsport-Magazin.com 4,8 Millionen D-Mark betrug, ist von Audi angeblich nie gezahlt worden...

Foto: Audi Communications Motorsport
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Audi-Motorenpapst Baretzky: "Da war nix illegal"

In einem Interview für die diesjährige Printausgabe #84 von Motorsport-Magazin.com hat der jahrzehntelange und erfolgreiche Motorenchef von Audi Motorsport, Ulrich Baretzky, ausführlich Stellung zu der umstrittenen Kurbelwelle bezogen. Nachfolgend ein Auszug seiner interessanten Aussagen, bei denen er klarstellt, dass auf Seiten Audis alles absolut sauber abgelaufen sei und "nix illegal war".

Baretzky: "Die DTM basierte damals auf Serienmotoren. Audi hatte den V8-Motor mit 3,6 Liter Hubraum und einer 90-Grad-Kurbelwelle. Im Reglement, das damals auf Französisch verfasst war, stand, dass die Kurbelwelle ein "piece d'origine' sein muss. Das kann sowohl ein Rohteil sein, oder auch ein Original-Serienteil. Die Sprache ist an der Stelle nicht präzise. Wir haben uns erkundigt und es hieß 'Rohteil'. An der Schmiede, wo die Rohteile hergestellt werden, haben wir uns angeschaut, wie diese Kurbelwelle überhaupt gefertigt wird."

Baretzky weiter: "Um aus der 90-Grad-Form diese 180-Grad-Rennversion zu machen, muss man den Stahl an einer Stelle 270 Grad drehen. Wir dachten zunächst alle, dass das reißen würde. Mit einem Gabelstapler von der Schmiede wurde das Teil dann gedreht und sah aus, als hätte man einer Schildkröte den Kragen umgedreht, da waren lauter Falten. Wir haben ein paar dieser Kurbelwellen anfertigen lassen und stellen später fest, dass sie keinerlei Risse oder Ähnliches hatten."

"Wir haben diese Kurbelwelle und entsprechende Nockenwellen eingebaut, weil die Zündfolge natürlich anders war. Dadurch hatten wir 30 oder 40 PS mehr, weil der Motor ja höher drehen konnte. Das Ding hörte sich natürlich ganz anders an." Der veränderte Motorsound des V8-Audi fiel wenig überraschend auch der Konkurrenz sofort auf...

Foto: Audi Communications Motorsport
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Baretzky: "Das werde ich nie vergessen"

Beim Saisonauftakt in Zolder fielen jedoch alle vier Werks-Audi mit einem Lagerschaden aus, weil sich laut Baretzky - "das werde ich nie vergessen!" - durch die neue Kurbelwelle auch die Pulsation im Motor verändert hat.

Man hätte sogar nach dem Freien Training in der Nacht in der Box die Ölwannen abgemacht, die Pleuellager geöffnet und die Lagerschalen ausgetauscht, weil sich die Experten nicht erklären konnten, warum diese so verschlissen waren. Später stellte sich heraus, dass aufgewirbelter Sand auf der belgischen Rennstrecke das Problem war, weil der von den Vorderrädern an die Spritzwand geschlagen ist...

"Wir haben bei der Dekra Analysen machen lassen und gezeigt, dass die Kurbelwelle aus einem Rohteil hergestellt wurde, einem 'piece d'origine' und sind dann damit gefahren", betont Baretzky. "Mein ehemaliger Chef bei BMW, Paul Rosche, hat gesagt, dass das nicht sein könne, dass man Stahl soweit dreht. Dann gab es den ersten Protest, der abgelehnt wurde. Es folgte ein zweiter Protest und wir haben wieder alle Unterlagen vorgelegt. Auch abgelehnt", erklärt Baretzky den Ablauf, der schließlich beim dritten BMW-Protest über die politische Schiene entschieden wurde.

Audi hätte - so die Alternative - auf die alten Motoren zurückwechseln müssen! Das war für den Autobauer aus Ingolstadt aber keine Option. Piech sei damals zweimal pro Woche ins Motorenwerk nach Neckarsulm gekommen, morgens um sieben Uhr stand er schon in der Werkstatt. Es fand sich aber keine Lösung und irgendwann sagte Piech: "Wenn die (BMW und Mercedes-Benz, d. Red.) uns nicht haben wollen, dann steigt Audi aus!"

Foto: Audi Communications Motorsport
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Die DTM und ihre politischen Machtspiele

So kam es dann auch - und sogar noch schlimmer: Auch BMW zog sich am Jahresende überraschend zurück, obwohl die Motorsportabteilung tatkräftig am neuen Reglement für 1993 mitgearbeitet hatte. Dank Mercedes-Benz mit Motorsportchef Norbert Haug sowie Neueinsteiger Alfa Romeo unter der Leitung von Sportchef Giorgio Pianta lebte die von den Medien voreilig totgesagte DTM dann doch weiter.

Baretzky abschließend: "Eigentlich schade, weil so viel Leistung hat die Kurbelwelle nicht gebracht. Das war eher ein Politikum, weil Rosche (Paul Rosche, damaliger BMW-Motorenchef; d. Red.) beleidigt war und sich überhaupt nicht vorstellen konnte, dass man so eine Kurbelwelle aus einem Schmiedeteil herstellen kann."

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der umstrittene Audi-Motor alles andere als zuverlässig war, was etliche Motorenwechsel zur Folge hatte. Als das Triebwerk von der ONS endgültig für nicht Reglement konform erklärt wurde, hatte Titelverteidiger Frank Biela als bestplatzierter Audi-Pilot bereits 88 Punkte Rückstand auf den späteren DTM-Champion Klaus Ludwig. Auf den Triumph mit dem Mercedes Evo 2 musste der Autobauer aus Stuttgart drei Jahre lang warten.