Es war nichts Geringeres als die Sensation der laufenden DTM-Saison 2022: Dev Gore fuhr beim Sonntagsrennen in Imola hinter Debütsieger Ricardo Feller (Abt-Audi) auf den zweiten Platz. Damit ging der Rosberg-Audi-Pilot nicht nur als erster US-Amerikaner auf dem Podest in die Geschichtsbücher der Traditionsrennserie ein, sondern feierte gleichzeitig seinen allerersten Punkteerfolg - im 19. DTM-Rennen. Ein zwölfter Platz auf dem Lausitzring 2021 war zuvor das Höchste der Gefühle gewesen, meist duellierte sich Gore um die letzten Plätze.

Nun ist es kein Geheimnis, dass der 24-Jährige in seinem erst dritten Jahr im GT-Sport und im fünften seiner Automobilkarriere nicht unbedingt zu den Sieg-, Podest- oder gar Punkte-Anwärtern zählt. Was Gore aber im Autodromo Nazionale Enzo e Dino Ferrari ablieferte, nachdem ihn glückliche Umstände bis ins Spitzenfeld gespült hatten, erntete den Respekt zahlreicher Fahrerkollegen.

Dev Gore: Mit zwei Boxenstopps aufs Podium

Gore hatte das Rennen nach einem erneut unbefriedigenden Qualifying vom 21. Platz aufgenommen. Und nach einem Reifenschaden schon in der ersten Runde sowie einem Rückfall bis auf den letzten Platz schien bereits alles gelaufen zu sein. Der Audi-Pilot musste einen ungeplanten Reifenwechsel an der Box einlegen und fuhr mit großem Rückstand hinterher.

Doch dann war Gore faktisch aus dem Nichts heraus zur richtigen Zeit am richtigen Ort! Als in Runde 3 der GRT-Lambo-Pilot Rolf Ineichen mit Thomas Preining kollidierte, schickte die Rennleitung zum zweiten Mal in dieser Saison das Safety Car auf die Strecke. Das Feld zuckelte eine Runde hinter dem Neutralisationsfahrzeug hinterher; dann schlug Gores Stunde - eher Sekunde - als sich hinter dem Safety Car pünktlich zur zehnten Rennminute das Boxenstoppfenster öffnete.

Erstmals seit dieser Saison werden Reifenwechsel während einer SC-Phase als Pflicht-Boxenstopp gewertet. Das Boxenstoppfenster dürfte maximal 10 Sekunden offen gewesen sein, als Gore in Runde 5 abbog und einen neuen Satz der Michelin-Reifen aufziehen ließ.

Maini sechs Sekunden zu früh beim Boxenstopp

Verrückt: Wenige Meter vor ihm steuerte auch Arjun Maini (HRT-Mercedes) die Box an. Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com war der Inder aber 6 (sechs!) Sekunden zu früh dran - sein Reifenwechsel zählte deshalb nicht als Pflicht-Stopp, er musste später noch einmal durch die Boxengasse.

Gore hingegen hatte den absolut perfekten Zeitpunkt erwischt, während der Rest des Feldes mit dem Beginn des Boxenstoppfensters schon am Boxeneingang vorbei war und eine weitere Runde um den 4,909 Kilometer langen Kurs fahren musste. Erst in Runde 6 kam ein Großteil der Fahrer unter dem Safety Car herein. Die Boxenstopps fast aller Fahrer erfolgten in den Runden 6 und 7, weil laut Reglement am Boxenplatz eines Teams pro Runde nur ein Auto abgefertigt werden darf, um Warteschlangen zu verhindern.

Erstes Podest und erste Punkte für Dev Gore, Foto: DTM
Erstes Podest und erste Punkte für Dev Gore, Foto: DTM

Rosberg-Teamchef: "Fühlt sich an wie Weihnachten"

"Der heutige Tag fühlt sich an wie Weihnachten", jubelte Rosberg-Teamchef Kimmo Liimatainen später völlig ausgelassen im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com und wirkte so beflügelt wie zu glorreichen Zeiten, als das Team aus Neustadt an der Weinstraße mit Rene Rast die DTM dominierte. Zwar hatte sich der Rennstall nach der enorm schwierigen Saison 2021 berappelt und durch Audi-Werksfahrer Nico Müller schon die ersten Erfolge eingefahren, doch mit Gore als deutlich unterlegenem Fahrer lief kaum etwas zusammen.

Dann das kleine Wunder von Imola: In der Boxenstopp-Phase wurde Gore innerhalb von zwei Runden von P23 zunächst automatisch auf den 17. und dann bis auf den 4. Platz nach vorne katapultiert! Nach dem Re-Start in engen Zweierreihen (Runde 10) setzte sich Gore gegen Nebenmann Maini durch, der beim nächsten Angriffsversuch eine weitere Position an Lucas Auer einbüßte. So lag Gore hinter Nick Cassidy (AF-Corse-Ferrari) und Dennis Olsen (SSR-Porsche) auf dem dritten Platz - die beiden hatten jedoch als einzige Autos noch nicht ihre Pflicht-Boxenstopp absolviert.

Feller-Attacke: Flug über die Kerbs

Damit führte Gore das Rennen virtuell sogar an, bis der Hintermann und spätere Rennsieger Ricardo Feller mit viel Mut an Bord seinen Audi-Markenkollegen in Runde 14 kassierte. "Ich war sehr spät auf der Bremse und habe beim Anbremsen auf Turn 1 viel ABS bekommen", erklärte Abt-Pilot Feller gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Ich bin regelrecht über beide Kerbs geflogen. Aber es ist zum Glück alles gut ausgegangen."

Fellers Attacke gegen Gore dürfte rennentscheidend gewesen sein, denn in den folgenden 18 Runden bis zum Zieleinlauf in Runde 32 sollte es auf den ersten beiden Plätzen keine Verschiebungen mehr geben. Feller baute sich schnell einen Sicherheitsabstand auf, während sich hinter Gore der Mercedes-Verfolger Auer gegen die heranstürmende BMW-Meute wehren musste.

Foto: DTM
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Auer von Gore überrascht

Dass Gore hier um einen Podestplatz kämpfte, überraschte übrigens nicht nur Fans und Experten, sondern auch Auer. "Ich dachte, der Gore muss noch mal an die Box!", sagte der Österreicher zu Motorsport-Magazin.com. "Dann haben sie mir am Funk gesagt, dass wir um Positionen kämpfen! Ich hatte dabei an Feller gedacht, aber es ging tatsächlich um Gore. Erst da habe ich verstanden, dass er schon seinen Pflicht-Stopp absolviert hatte."

Gore schilderte diese Phase später so: "Ich hatte einen harten Fight mit Ricardo, mit dem besseren Ende für ihn. Lucas hat uns dann einen Gefallen getan und die anderen Autos hinter sich gehalten." Erst in der letzten Runde musste sich der Winward-Mercedes-Pilot den beherzten Angriffen von Marco Wittmann beugen und den dritten Platz hergeben. "Ein scheiß Fehler, vor allem in der letzten Runde", ärgerte sich Auer. "Marco hat das eiskalt ausgenutzt."

Foto: DTM
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Liimatainen: "Wenn du vorne bist, ist es einfach

Ähnlich eiskalt spulte Gore sein Rennen ab. Sicherlich hatte der eine oder andere Beobachter mit einem Fahrfehler oder abbauender Pace gerechnet, doch der US-Amerikaner hielt sich trotz der druckvollen Situation mit zahlreichen Motorsport-Größen a la Auer, Wittmann oder Sheldon van der Linde im Heck durchweg schadlos. Das Muster in der DTM blieb erhalten: Auf den vorderen Plätzen passiert nicht viel, sofern kein Fahrer patzt.

"Ich habe es schon vor dem Rennen gesagt: Wenn du vorne bist, ist es einfach", bestätigte Gores Teamchef Liimatainen. "Devs Rennpace war nie schlecht. Das Problem ist das Qualifying und das ist das A und O. Wenn du als 15. startest, bist du arm dran! Wenn du als Zweiter oder Dritter startest, ist das Leben so viel einfacher. Devs Stärke war schon immer das Rennen, am Qualifying muss er noch arbeiten. Er ist da auch sehr selbstkritisch."

Liimatainen räumte eine Portion Glück bei Gores Husarenritt durchaus ein, hob aber auch dessen Abgeklärtheit im 2. Stint hervor: "Er hat es gut gemanagt. Er hatte immer ein Auge auf die Verfolger, da muss man schon cool bleiben."

Für den bisher in der DTM äußerst unauffälligen Gore muss sich das Sonntagsrennen in Imola ähnlich wie für seinen Teamchef als ein Feiertag angefühlt haben. Erleichtert sagte er später auf der Podiums-Pressekonferenz: "Wenn ich nicht geglaubt hätte, dass ich es schaffen kann, dann wäre ich nicht hier."