Der Trend war bereits abzusehen und bestätigte sich jetzt beim Gastspiel in Imola: Die DTM-Rennen 2022 glänzten nicht unbedingt durch Spannung. Man könnte auch von Langeweile sprechen, wenn man die bisherigen Rennverläufe in Portimao, am Lausitzring und jetzt auch am Samstag auf dem Autodromo Internazionale Enzo e Dino Ferrari betrachtet.

Die Fakten: In drei der bisherigen fünf Saisonläufe holte der Pole-Setter auch den Sieg. Und im Verlauf der letzten drei Rennen gelang es stets fünf Fahrern aus den Top-6 der Startaufstellung, auf den vorderen fünf Positionen auch die Ziellinie zu überqueren. Der Ausgang des Qualifyings - üblicherweise mit brutal engen Abständen - kommt schon fast einer Vorentscheidung über den Rennsieg gleich.

Bortolotti: Aufholjagd aus der Not geboren

Zweimal funkte Mirko Bortolotti mit Aufholjagden dazwischen - der neue 'Spannungs-Macher' der DTM im GRT-Lambo! In Imola stürmte der Lamborghini-Werksfahrer vom 16. bis auf den dritten Platz nach vorne und überquerte den Zielstrich hinter Sieger Rene Rast und Nico Müller in den starken Audis von Abt bzw. Rosberg.

Bortolottis und GRTs Strategie mit einem sehr späten Boxenstopp ging perfekt auf - war in Wahrheit aber aus der reinen Not heraus geboren. Nach einer 10-Platz-Strafe wegen falscher Reifen im 2. Training, musste der GT3-Star das Rennen vom 16. Platz aufnehmen. Der ursprüngliche Plan, den 1. Stint solange wie möglich auszudehnen, um mit einem kurzen 2. Stint frische Reifen für den Sonntag aufzusparen, wurde kurzerhand angepasst, als sich herausstellte, dass Bortolotti auch spät noch schnelle Rundenzeiten fahren konnte und auf freier Strecke virtuell zur Spitze aufholte.

"Wir mussten etwas Anderes machen als die anderen", sagte Bortolotti zu Motorsport-Magazin.com. "Wenn du das Gleiche machst, bleibst du dort. Wenn ich schon früh neue Reifen hätte aufziehen lassen, wäre ich 40 Minuten lang hinter dem Ferrari hinterhergefahren." Bortolotti sprach aus, was inzwischen ein großes Thema im Fahrerlager ist: Nach der ersten Boxenstopp-Phase sind die Rennen meist schon vorentschieden - und die ersten Reifenwechsel im Feld lassen im Normalfall nicht lange auf sich warten.

Selbst in der Hitze von Imola bei knapp 50 Grad Asphalttemperatur knickten die Michelin-Reifen nicht entscheidend ein. Spitzenreiter Rast bog schon in Runde 6 zu seinem Pflicht-Boxenstopp ab, sechs weitere Autos folgten. Verfolger Müller kam eine Runde später herein, aber nicht am langjährigen DTM-Rivalen vorbei. Mangels Safety-Car-Phase sollte es im Anschluss schlichtweg keine Überholmöglichkeit mehr geben, das Rennen um den Sieg war praktisch nach den frühen Reifenwechseln gelaufen.

Warum das Überholen so schwierig ist

Sicherlich gilt Imola nicht als Überhol-Mekka - doch das Thema ist weitaus größer in der DTM und auch anderen Rennserien, die GT3-Autos einsetzen. Kurz zusammengefasst: Autos auf einem ähnlichen Niveau dank Balance of Performance, Reifen ohne deutlichen Performance-Verlust, keine Probleme mit ungeheizten Reifen auf der Out-Lap und Profi-Rennfahrer ohne größere Fehler: mehr Überhol-Feindlichkeit geht kaum! In Imola galt, dass für ein sauberes Überholmanöver ein Auto 0,9 Sekunden schneller sein muss als der Vordermann - bei all der Gleichheit praktisch ausgeschlossen.

Und so liefen mit Ausnahme von Ricardo Feller (Reifenschaden) fünf der Fahrer, die aus den Top-6 gestartet waren, auf den vorderen sechs Positionen ins Ziel ein. Quasi eine Wiederholung der Vorkommnisse vom vorangegangenen Rennwochenende in der Lausitz, wo Sheldon van der Linde den BMW von Schubert Motorsport zu zwei Siegen führte und die Top-3 der Startaufstellung auch die Podestplätze belegten.

"Hier hast du die komplette Elite des GT-Sports am Start, da macht keiner Fehler", sagte Bortolotti. "Und deshalb sieht man wenig Action. Und wir haben keine Tools an Bord - zum Glück - weil ich meine, dass Motorsport nicht mit DRS oder Push-to-Pass entschieden werden sollte." Jene Überholhilfen kamen in den vergangenen DTM-Jahren zu Zeiten der Class-1-Prototypen zum Einsatz.

Spannungs-Macher der DTM: Mirko Bortolotti, Foto: LAT Images
Spannungs-Macher der DTM: Mirko Bortolotti, Foto: LAT Images

Rast: "Du kannst als Fahrer keinen Riesenunterschied mehr machen"

Langeweile-Alarm in den DTM-Rennen? Rast und Müller redeten am Samstag im Doppel-Interview mit Motorsport-Magazin.com gar nicht erst um den heißen Brei herum. So sagte der zweifache Vize-Meister Müller: "Von außen war nicht viel Action zu erkennen, wenn es um den Sieg geht. Das können wir beide bestätigen. Langweilig im Auto ist es definitiv nicht. Aber für die Show? Na ja... da sind DRS und Co. schon nicht schlecht."

Der dreifache DTM-Champion Rast ergänzte nach seinem ersten Sieg in der jungen GT3-Ära der Traditionsserie: "Du kannst als Fahrer keinen Riesenunterschied mehr machen. Du hast ABS und Traktionskontrolle, fährst damit immer am Limit. Auch das Überholen ist so schwer. Wenn du eine Sekunde schneller bist, kommst du vielleicht vorbei. Bei einer halben Sekunde nicht. Früher war es vielleicht ein bisschen unterhaltsamer, weil der Reifen irgendwann einging. Das hat man jetzt nicht mehr."

Für Rast und sein Team Abt Sportsline war die Strategie klar: Er musste bei normalem Rennverlauf vor Hintermann Müller den Pflicht-Boxenstopp absolvieren, um keinen Undercut des Schweizers zu riskieren. Also bog er bei der erstmöglichen Gelegenheit - laut Reglement 2022 nicht vor Ablauf der zehnten Minute - in die Boxengasse ab. Rast: "Den Michelin-Reifen kann man auch bei hohen Temperaturen theoretisch das ganze Rennen fahren. Da ist schon ein bisschen Drop bei der Rundenzeit, aber nicht so stark. Deshalb kannst du schon in Runde 6 stoppen."

Die Boxenstopp-Crews der DTM-Teams haben mittlerweile ein derart hohes Niveau erreicht, dass es auch während den Reifenwechseln nicht mehr allzu viele Positionsverschiebungen gibt. Und: Die zu früheren Zeiten gefürchtete Outlap mit ungeheizten Reifen ist kein Thema mehr. "In Portimao kam ein anderes Auto mit kalten Rädern aus der Box und ich kam nicht an ihm vorbei", sagte Mücke-Mercedes-Pilot Maxi Buhk zu Motorsport-Magazin.com. "Der Reifen ist in der Out-Lap ab dem zweiten Sektor im Fenster. Ich glaube, dass ich dieses Jahr nach der ersten Runde noch nicht ein anderes Auto überholt habe..."

Götz: "Vom Racing her noch nicht viel Positives erlebt"

Ähnliches berichtete der amtierende DTM-Champion Maximilian Götz auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com: "Selbst, wenn du denkst, dass du mit der Strategie was gutmachen kannst, habe ich maximal ein, zwei Autos überholt. Das ist das Problem mit den GT3-Autos: Wenn alle so perfekt fahren, dann ist einfach nicht mehr drin. Die Fahrer, die vorne gestartet sind, sind in 80 bis 90 Prozent der Fälle auch vorne angekommen. Ich habe dieses Jahr vom Racing her nicht so viel Positives erlebt."

Die Profi-Dichte in der DTM als Fluch und Segen zugleich! In anderen GT3-Rennserien mit Fahrerwechseln sind oftmals die Semi-Profis bzw. Amateur-Fahrer ein wichtiger Faktor. Das fällt in der DTM, in der knapp 20 Werks/Performance-Fahrer am Start sind, faktisch weg. Wobei GT3-Veteran Buhk anmerkte: "GT3-Autos sind zu einfach zu fahren. Da kommen Semi-Profis auf eine halbe Sekunde heran. Und dann wird's schwer, denn als Profi kommst du nicht mehr vorbei."

Scheider: "Müsste schauen, wie man mehr Würze reinbekommt"

Der zweifache DTM-Champion und ProSieben-Experte Timo Scheider hob die engen Zeitenabstände in den Qualifyings hervor, in denen oftmals die Top-20 innerhalb einer Sekunde liegen. Gleichzeitig sagte er zu Motorsport-Magazin.com: "Das hört sich spektakulär an. Wenn du aber nur drei, vier Zehntel schneller fährst, reicht das nicht zum Überholen. Die Fahrer haben kein DRS, keine Options-Reifen, keine großen Möglichkeiten mit der Strategie und keine Reifen, die großartig abbauen. Da ist mit Sicherheit Potenzial, um zu diskutieren, was man machen kann."

Scheider weiter: "Die DTM hat nach wie vor einen sensationellen Namen und eine Plattform, die in Europa so niemand bieten kann. Man müsste aber schauen, wie man mehr Würze reinbekommt. Für die Zuschauer und mich als TV-Experte wäre es auch schön, wenn mehr Überholmanöver stattfinden. Es ist aber nicht so, dass das schnell zu lösen ist."

Überholmanöver im GT3-Auto sind ein Kunststück, Foto: DTM
Überholmanöver im GT3-Auto sind ein Kunststück, Foto: DTM

Wenn die Brechstange ausgepackt wird...

Eine schnelle Abhilfe für das Überhol-Problem in den DTM-Rennen könnten tatsächlich Safety-Car-Phasen bilden. Neu in der Saison 2022: Pflicht-Boxenstopps dürfen erstmals während einer Neutralisationsphase absolviert werden. Der dabei entstehende Zeitenvorteil im eingebremsten Feld könnte die Rangordnung ordentlich durchmischen. In den bisherigen fünf Rennen musste das Safety Car allerdings erst ein einziges Mal ausrücken - durchaus eine Überraschung im Feld der knapp 30 Autos.

Audi-Werksfahrer Müller dazu: "Vielleicht wird im weiteren Verlauf der Saison mehr auf ein Safety Car spekuliert und danach der Boxenstopp ausgerichtet. Aber bis jetzt machen das wenige." Aktuell halten sich die Fahrer lieber aus risikoreichen Zweikämpfen heraus. Das schont Material und beugt möglichen Strafen vor.

Ob sich das ändert, wenn der Titelkampf in die heiße Phase geht und eher mal die Brechstange ausgepackt wird? Bortolotti: "Cassidy, Vanthoor und ich sind heute drei Runden lang Stoßstange an Stoßstange gefahren und wir haben uns kein einziges Mal berührt. Das spricht für die Qualität der Fahrer. Ich hoffe, das ändert sich nicht..."