Herr Stuck, wir könnten vor einem sehr spannenden Rennen in Le Mans stehen, bei dem vielleicht drei Hersteller um den Gesamtsieg fahren. Wie schätzen Sie die Ausgangslage ein?
Hans-Joachim Stuck: Die Ausgangssituation ist megaspannend. Beim WEC-Saisonauftakt in Silverstone hatte jeder Hersteller ein Problem und in Spa ist zum Beispiel Toyota in Führung liegend der Motor hoch gegangen. Das beweist, wie sehr alle drei LMP1-Hersteller am Limit operieren. Am Donnerstag konnte man auch beobachten, wie Toyota plötzlich im Regen irrsinnig schnell war. Wenn das Wetter so wechselhaft bleibt, haben wir Hochspannung pur. Auch weil Audi und Porsche jeweils ein Auto weniger als noch im Vorjahr haben. Mit drei Autos kannst du taktisch völlig anders agieren als mit zwei. Das Rennen wird eine spannende Kiste.

Muss man als Team mit nur zwei Autos die Taktik für das Rennen aggressiver ansetzen?
Hans-Joachim Stuck: Ein Auto voll gehen lassen und das andere zurückhalten, das kann man sich bei diesem hohen Niveau der Competition ohnehin nicht erlauben. Die Boliden haben einen verdammt hohen technischen Standard, auch was die Haltbarkeit angeht. Da macht es keinen Sinn, ein Auto eher gemütlich fahren zu lassen. Es gibt ohnehin schon genug Parameter, auf die man schauen muss. Bei den Hybridautos zum Beispiel der Verbrauch, wie ich die Energie einsetze oder auch das Wetter.

Könnten wir im Regen ein anderes Kräfteverhältnis sehen als auf trockener Strecke? Sprich: Wird das Wetter Einfluss auf den möglichen Sieger haben?
Hans-Joachim Stuck: Ja klar. Hierbei ist die Hauptfrage, wer den meisten Abtrieb fährt. Ich denke, da ist Toyota sehr weit vorne. Ich habe mich gestern bei den Fahrern von Audi und Porsche erkundigt, wie denn die Autos im Regen zu fahren sind mit dieser extrem stark einsetzenden Leistung. Es waren alle sehr angetan, wie gut die Autos um die Ecke ziehen. In diesem Bereich ist scheinbar sehr gut gearbeitet worden.

In der GTE-Pro-Klasse gab es wieder Aufregung um die Balance of Performance und letztlich eine neuerliche Anpassung zwischen Qualifying und Rennen. Wieso gibt es hier solche Probleme?
Hans-Joachim Stuck: In dem gesamten GT-Bereich haben wir etwas in der Hand, was es noch nie in der Historie des Motorsports gab, denn theoretisch können 14 Hersteller nach dem aktuellen Reglement Autos in das Rennen schicken. Allerdings muss man aufpassen, dass die Szene nicht zu sehr diversifiziert wird. Denn es gibt sehr viele verschiedene Serien, die alle eine eigene Balance of Performance haben. Es ist mir persönlich ein Anliegen, dieses GT-Thema unter einen Hut zu bringen und diesbezüglich werde ich mich auch engagieren.

Le Mans ist neben dem Indy 500 und dem Grand Prix von Monaco eines der drei wichtigsten Rennen der Welt und hat einen hohen Stellenwert für alle Hersteller. Die Balance of Performance ist aber immer ein schwieriges Thema. Die Amerikaner machen das aktuell am besten und wer Daytona gesehen hat: Dort war es richtig fair. Die haben aber auch die Möglichkeiten es strikt zu kontrollieren und daran müssen wir auch hier arbeiten.

Inwiefern müsste in Europa besser kontrolliert werden?
Hans-Joachim Stuck: Das ist leider nicht so einfach. Hinter der IMSA steht die NASCAR und die haben dort alle Möglichkeiten. Aber wir haben jetzt die fantastische Möglichkeit, so viele Hersteller gegeneinander fahren zu lassen. Da müssen wir auch ein System finden, um das entsprechend auszubalancieren und zu kontrollieren. Vor allem müssen wir schnell reagieren können.

Wir hatten in diesem Jahr schon unglaubliche GT-Rennen auf der Langstrecke, wenn man sich zum Beispiel den Zieleinlauf in Daytona oder die letzte Runde auf der Nordschleife vor Augen führt. Dürfen wir am Sonntag in Le Mans Ähnliches erwarten?
Hans-Joachim Stuck: Ich glaube schon. Der Kampf vorne könnte sehr eng werden. Und in einem 24-Stunden-Rennen mit der aktuellen Wettervorhersage - da kann wirklich alles passieren.