Die Sensation ist kurz davor einzutreten. Red Bull steht heute in Singapur vor der ersten Niederlage der Formel-1-Saison 2023. Wirklich. Max Verstappen ist nur siebter Fahrer auf der Liste der Siegkandidaten für das Rennen. Zwei Ferrari, zwei Mercedes, ein McLaren und ein Aston Martin haben bessere Chancen. Alle Stimmen zum Formel-1-Rennen heute in Singapur gibt es im Live-Ticker.

Das versichert zumindest Verstappen. Die Konkurrenz windet sich, will Red Bull noch nicht abschreiben. Man denke an Aufholjagden wie Saudi-Arabien (P15-P2). Also muss das Team, das 2023 noch kein Rennen verloren hat, doch in die Favoritenliste? Verstappen winkt ab: "Generell ist unser Verschleiß besser, aber das bringt in Singapur nichts, weil es so schwer zu überholen ist. Du brauchst eineinhalb, zwei, drei Sekunden Vorteil. Den haben wir ganz klar nicht."

Schon das Vorjahr ist Beweis. Verstappen startete damals nur von Platz acht, im Rennen biss er sich an Lando Norris die Zähne aus. Und das war mit einem gut aussortierten Auto. Heute hat er diesen Luxus nicht, der RB19 liegt weit hinter den Erwartungen zurück. Von FP3 zum Qualifying hatte man noch einmal das Setup umgebaut, dabei übel danebengegriffen.

Zumindest am Freitag war der Red Bull noch schnellstes Auto im Renn-Trimm, aber nicht einmal zwei Zehntel vor Mercedes. Schon das reicht nicht, um in Singapur zu überholen. Und ist von dem Vorteil nach dem Umbau überhaupt noch etwas übrig? Das Heck liegt schlecht, das Auto sitzt ständig auf, die Fahrzeughöhe ist zu gering. "Es wird ein langer, harter Nachmittag", kündigt Verstappen an. "Wir wollen gewinnen, aber wenn es nicht geht, dann musst du das akzeptieren."

George Russell stellt Mercedes-Vorteil im Rennen in den Raum

Es geht also um Carlos Sainz, George Russell, Charles Leclerc, Lando Norris, Lewis Hamilton und Fernando Alonso. Sie alle waren am Freitag nah genug an den besten Red-Bull-Zeiten dran, um heute im Rennen schwere bis unüberwindbare Hindernisse zu werden. Besonders Mercedes. Sainz hat die Pole, der zweitplatzierte Russell das schnellere Rennauto.

Singapur wird (sofern kein hier immer möglicher plötzlicher Regenschauer eintrifft) vom Reifenverschleiß gezeichnet sein, mit hohen Temperaturen und stark überhitzenden Hinterreifen. Sainz weiß: "Es ist nicht unmöglich, dass wir selbst hier den ersten Platz halten, weil es so viel schwieriger ist zu überholen, aber unsere Rennpace sieht noch immer wie unser Schwachpunkt aus."

Mercedes hat obendrauf einen zweiten Satz Medium-Reifen gespart, hat jetzt zwei für das Rennen übrig. "Ich bin sehr entspannt, selbst wenn wir nach der ersten Kurve Zweite sind", gibt sich Russell cool. "Oder sogar P3. Wir sind das einzige Team, das zwei Stopps machen kann. Verschleiß sieht übel aus, und ich hoffe, wir können sie unter Druck setzen."

Wie groß ist Mercedes' Reifen-Vorteil wirklich?

Mercedes theorisiert seit Freitag, dass das Rennen kippen und einen zweiten Stopp erzwingen könnte. Eine Position, die sonst kaum jemand im Feld teilt. Pirelli sieht ein klares Einstopp-Rennen. Zwei Faktoren: Die Boxengasse ist zu lang, der Zeitverlust mit ungefähr 28 Sekunden gigantisch. Und auf der Strecke kann man eben nicht gut überholen.

Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton
Mercedes ist in Singapur stark, Foto: LAT Images

Selbst mit dem Umbau nicht. Zwei Schikanen sind weg, eine Gerade im dritten Sektor dadurch entstanden, und es wurde teils neu asphaltiert und der Grip verbessert. Durchbruch soll es keiner sein, erst recht weil keine vierte DRS-Zone ergänzt wurde. Pirelli prognostiziert 20 Runden Medium, dann Hard ins Ziel. Soft ist theoretisch möglich, aber unwahrscheinlich. Der Weg zur ersten Kurve ist nur 197 Meter kurz, der Traktionsvorteil des Soft also vernachlässigbar. Und danach müsste man zu viel Management betreiben.

In einem Einstopp-Szenario ist der zweite Medium-Satz von Mercedes wertlos. Was ihn aber zu schwarzem Gold machen kann ist ein Safety Car in den letzten 30 Runden. Und Safety Cars gibt es hier zuhauf, 23 Mal musste es schon ausrücken. Interessante Statistik am Rande: Die Runden 31 bis 38 sind mit bislang 7 Safety Cars die größte Gefahrenzone. Ein Wechsel auf Medium dort? Durchaus machbar.

So oder so ist Russell Ferraris größte Gefahr. Strategisch kann er sie auch bei einem Einstopp-Rennen mittels Undercut unter Druck setzen. Wenn ein Safety Car einen zweiten Stopp möglich macht, ist er im Vorteil. Denn so schwierig das Überholen auch ist - mit einem uralten Hard draußenzubleiben oder einen filigranen Soft für über 20 Runden aufzuziehen könnte zu viel sein für den Ferrari SF-23.

Wildcards Lando Norris & Fernando Alonso: Überraschungssieger?

So viel zu Ferrari und Mercedes. Zwei weitere Fahrer dürfen nicht ignoriert werden. Zum einen Lando Norris. Der freute sich über einen upgedateten McLaren MCL60, der seine Schwäche in langsamen Kurven abgelegt hat. Norris fuhr allerdings, anders als alle seine Gegner, am Freitag keine Longruns auf Medium. Auf Soft war der McLaren schnell. Was kann er im Rennen? Vorne mithalten auf jeden Fall, ein Podium ist von Startplatz vier aus sicher nicht ausgeschlossen.

Aston Martin war in den Longruns mit in der Spitzengruppe dabei, doch Fernando Alonsos Rennen wird von einer mageren Qualifying-Ausbeute erschwert. Nur Platz sieben, auch noch hinter einem Haas. Dessen Rennpace ist mehr als zweifelhaft, wohl die schlechteste im Feld. Aber für zehn Runden Störfeuer bis zum Reifen-Einbruch könnte es bei Kevin Magnussen trotzdem noch reichen. Und dann ist die Spitzengruppe, und damit die Podiums-Chance von Alonso, vielleicht schon weg.