Nico Hülkenberg darf seinen sensationellen zweiten Startplatz beim Kanada-GP 2023 nicht behalten. Mehr als drei Stunden nachdem sich der Haas-Pilot überraschend in der ersten Startreihe qualifiziert hatte, belegten ihn die Stewards mit einer Rückversetzung um drei Startplätze. Hülkenberg war bei Rot-Bedingungen zu schnell zurück in die Boxengasse gefahren.

Unmittelbar nachdem der Deutsche seine schnellste Q3-Runde beendet hatte, wurde die Session nach einem Unfall von Oscar Piastri mit Rot unterbrochen. Auf der Inlap kam es im Haas-Cockpit zu großer Verwirrung. Ein Piepton am Funk ließ Hülkenberg glauben, er fahre zu langsam. Tatsächlich war genau das Gegenteil der Fall.

Normalerweise dürfen Piloten auf Inlaps eine bestimmte Maximalzeit nicht überschreiten. Das soll verhindern, dass unnötig langsam gefahren wird und gefährliche Situationen entstehen. Unter Rot-Bedingungen allerdings dürfen die Piloten nicht zu schnell zurück an die Box fahren. Dafür gibt es komplizierte Delta-Zeiten, die von der Fahrzeugelektronik vorgegeben werden.

Damit die Piloten nicht ständig auf das Lenkrad blicken müssen, um zu sehen, ob sie zu schnell fahren, gibt es akustische Warnsignale. Hülkenberg verwechselte offenbar die Prozedere und dachte, er müsse schneller fahren. Die Konversation mit Renningenieur Gary Gannon brachte zu spät Licht ins Dunkel.

  • Renningenieur: "Rote Flagge, du musst bei der Delta-Zeit positiv sein."
  • Renningenieur: "Die Runde hat gezählt, sehr gute Runde, Platz zwei im Moment."
  • Renningenieur: "Gehe in 'Mode Slow', nur Aufladen an, Piastri ist am Ausgang von Kurve 7 gecrasht. Pass am Ausgang von Kurve 7 auf der linken Seite auf Piastri auf."
  • Hülkenberg: "Das Piepen macht mich verrückt. Muss ich negativ oder positiv sein?"
  • Renningenieur: "Du solltest positiv sein, plus. Fahr langsamer. Dort, wo Piastri steht, ist auch doppelt Gelb."
  • Hülkenberg: "Ich glaube, ich fahre zu langsam. Ich muss schneller fahren."
  • Renningenieur: "Ich überprüfe das."
  • Hülkenberg: "Du musst es mir sagen!"
  • Renningenieur: "Um aus diesem Modus rauszukommen, drücke ..."
  • Hülkenberg: "Bin ich zu schnell oder zu langsam? Sag schon!"
  • Renningenieur: "Du bist zu schnell, es ist Rot."
  • Renningenieur: "Komm an die Box Nico, komm an die Box."

Stewards: Hülkenberg sollte Regeln lernen

Die Stewards lassen bei ihrem Urteil noch Gnade walten. "Die normale Strafe dafür, bei Roter Flagge nicht entsprechend zu verlangsamen, ist eine Strafversetzung um zehn Positionen", heißt es im Urteil. Allerdings sehen die Stewards mildernde Umstände. Hülkenberg fuhr zu keinem Zeitpunkt gefährlich schnell. Außerdem hielt er sich für einen Großteil der Runde an die vorgegebene Delta-Zeit.

Allerdings verlangen die Regeln, dass die Piloten in jedem Mini-Sektor mindestens einmal über der vorgegebenen Zeit liegen. Die Delta-Zeit richtet sich nach einem Geschwindigkeitsprofil, das von der Einheitselektronik vorgegeben wird. "Wir merken an, dass sich der Fahrer mit den operativen Aspekten der Delta-Signale vertrauter machen sollte", heißt es von den Stewards in Richtung Hülkenberg, der nun von Platz fünf aus ins Rennen gehen muss.

Nico Hülkenberg im Regen von Kanada, Foto: LAT Images
Nico Hülkenberg im Regen von Kanada, Foto: LAT Images

Zuvor durfte sich der Haas-Pilot noch in der offiziellen Top-3-Pressekonferenz über die erste Startreihe freuen: "Es ist schön, so ein gutes Qualifying-Ergebnis zu haben. Es waren wechselnde Bedingungen und wir haben es mit guter Kommunikation permanent geschafft, die Situationen zu meistern. Dafür wurden wir mit diesem süßen Ergebnis belohnt."

Vor Quali-Sensation: Hülkenberg schon fast im Q1 raus

Dabei wäre Hülkenberg fast schon im Q1 ausgeschieden. Auf seiner bis dato schnellsten Runde wurde er in der Haarnadel von Yuki Tsunoda aufgehalten und konnte seine Zeit nicht mehr verbessern. Weil auch der letzte Versuch keine Verbesserung mehr brachte, musste er bis zum Ende zittern. Als 15. qualifizierte er sich für Q2 - 16 Tausendstel retteten Hülkenberg vor dem Ausscheiden.

Auch im Q2 war es eine knappe Angelegenheit. Gerade noch rechtzeitig wechselte Hülkenberg von Intermediates auf Soft-Reifen. Darauf fuhr er seine schnellste Runde, ehe sich die Bedingungen wieder verschlechterten.

Haas bringt Hülkenberg in Glücks-Position

Den Grundstein für das starke Q3 legte Haas dann schon vor dem Beginn des letzten Qualifikationssegments: Knapp zweieinhalb Minuten bevor die Ampel auf grün schaltete, schickte Haas Hülkenberg Richtung Boxenausgang.

Zwar kühlten Hülkenberg beim Warten die Intermediates etwas aus, dafür durfte er sich über Platz drei am Boxenausgang freuen. Nur Max Verstappen und Esteban Ocon gingen vor ihm auf die Reise. Das Timing sollte sich als goldrichtig erweisen, weil Hülkenberg dadurch als letzter Pilot seine zweite gezeitete Runde im Q3 zu Ende fahren konnte, ehe die Session unterbrochen wurde.

Die Freude über Startplatz zwei war zunächst groß bei Haas, Foto: LAT Images
Die Freude über Startplatz zwei war zunächst groß bei Haas, Foto: LAT Images

Oscar Piastris Abflug in Kurve sieben veranlasste die Rennleitung dazu, Q3 mit Rot zu unterbrechen. Zwischen Piastris Crash und dem Auslösen der Roten Flagge lagen gut 20 Sekunden. Hätte die Rennleitung auch nur wenige Sekunden schneller abgebrochen, hätte Hülkenbergs Runde nicht mehr gezählt.

Nach dem ersten Schlagabtausch hatte der Wahl-Monegasse noch auf Rang sieben gelegen. Fernando Alonso, der direkt hinter Hülkenberg fuhr, konnte seine Runde nicht mehr beenden. Die Zwischenzeiten des Aston-Martin-Piloten ließen erahnen, dass Alonso Hülkenberg von Platz zwei verdrängt hätte. Weiter hinten machte auch Carlos Sainz mit guten Zwischenzeiten auf sich aufmerksam, durfte seine Runde aber dann nicht mehr zu Ende fahren.

Strafe ändert Rennen für Hülkenberg nicht

Obwohl die Session mit 7:11 Minuten auf der Uhr noch einmal gestartet wurde, konnten sich die Piloten nicht mehr verbessern. Der Regen hatte in der Zwischenzeit wieder merklich zugenommen.

Die Strafe ist für Hülkenberg ärgerlich, aber nicht so schlimm, wie es zunächst scheint: "Das Ende ist nicht so gut wie es früher schien. Das ist schade, aber für das Rennen ändert es nicht wirklich etwas. Die Herangehensweise ist die gleich und es wird das Ergebnis nicht beeinträchtigen."

Hülkenberg verliert die Positionen an Fernando Alonso und die beiden Mercedes-Piloten - im Renntrimm wäre er gegen das Trio ohnehin chancenlos gewesen. Weil die Rennpace die Achillesferse des Haas ist, gab Hülkenberg selbst vom ursprünglichen zweiten Startplatz 'nur' die Punkteränge als Ziel an. Das ganze Rennen der Formel 1 heute in Kanada gibt es hier im Liveticker.

Formel 1 Kanada 2023: Der Zeitplan

Alle Infos zu den TV-Übertragungen der Formel 1 von Sky, ServusTV und Co. gibt es hier im kompletten TV-Zeitplan.