Das Qualifying zum Großen Preis von Großbritannien war eine Überraschung. An der Spitze nicht, Mercedes setzte sich wie erwartet durch und vor allem ab. Dahinter war die Verwunderung allerdings groß: Williams vor Ferrari. Und wo war plötzlich Toro Rosso? Dreht sich im Rennen die Reihenfolge wieder? Motorsport-Magazin.com macht vor dem Klassiker in Silverstone den Favoritencheck fürs Rennen.

Die spannendste Frage lautet einmal mehr, ob Lewis Hamilton oder Nico Rosberg das Rennen gewinnen wird. Lewis Hamilton steht auf Pole Position, Nico Rosberg auf Platz zwei. Die bessere Ausgangslage hat also der Brite bei seinem Heimrennen.

Bessere Ausgangslage für Rosberg?

Doch ist die Ausgangslage wirklich viel besser? Bei genauerem Betrachten wahrscheinlich nicht. Nur zwei der letzten zehn Rennen in Silverstone wurden von der Pole Position aus gewonnen. Nico Rosberg, der drei der letzten vier Rennen gewann, siegte nur in Barcelona von Startplatz eins.

Doch das ist reine Statistik. Statistik gewinnt keine Rennen. In der Tat sprechen aber einige Faktoren für Nico Rosberg. Der Deutsche hatte am Wochenende mehrere technische Probleme, ließ sich davon aber nicht aus der Bahn werfen und war meistens schneller als sein Teamkollege. Hamilton hingegen haderte - wie schon in Österreich - mit der Balance des Autos und machte erneut viele Fehler.

Ist der Start Hamiltons wunder Punkt?, Foto: Sutton
Ist der Start Hamiltons wunder Punkt?, Foto: Sutton

Nur im Qualifying hat Hamilton es besser hinbekommen als Rosberg - einmal mehr. Beim neunten Rennen der Saison startet er bereits zum achten Mal vom ersten Startplatz. Allerdings muss der WM-Führende den Start fürchten: In Österreich ging Nico Rosberg gleich auf den ersten Metern an seinem Titelkontrahenten vorbei.

Hamilton wechselte entgegen des Rates seines Teams auf die alte Kupplung zurück. Die Starts sind zwar nicht ganz so gut wie mit der neuen Kupplung, dafür konstanter. "Das ist nicht ideal für uns, also er hat nicht die letzte Spezifikation der Kupplung", meint Toto Wolff. Rosberg hat sich inzwischen an die neue Rückstellfeder gewöhnt und setzt auf die neue Spezifikation. Viel Gelegenheit zum Üben gab es nicht: Wie schon in Spielberg durften Startübungen nur nach den Trainingssitzungen auf der Start- und Zielgeraden durchgeführt werden.

Ein Mini-Vorteil könnten für Rosberg der Reifen am Start sein: Weil Hamilton im Q2 einen kleinen Fehler auf seiner schnellen Runde macht, musste er noch eine zweite Runde anhängen. Seine Medium-Reifen am Start haben also schon eine Runde mehr auf dem Buckel. Ob diese eine Runde das Kraut fett macht, sei allerdings dahingestellt. Im Normalfall wird der Großbritannien GP ein Einstopp-Rennen. Die Medium-Reifen müssen etwa bis Runde 23 halten.

Interessanter könnte da die generelle Longrun-Pace von Lewis Hamilton sein. Während der WM-Zweite Rosberg am Freitag einen ordentlichen Longrun hinlegte, kam Hamilton so gar nicht in Tritt. Der Brite fuhr nur wenige Runden am Stück - und die auch noch langsam. "Der Unterschied bei der Longrun-Pace war an diesem Wochenende mitunter am größten. Lewis hatte damit ziemliche Probleme, das könnte mir auch helfen", hofft Rosberg.

Allerdings weiß auch Rosberg, dass Hamilton nicht geschlafen hat: "Sein Setup hat sich seither ganz schön verändert." Hamilton sieht es gelassen: "Das zweite Freie Training war eine verschwendete Session, weil das Auto einfach das falsche Setup hatte. Wir haben Probleme erkannt, sie behoben und heute Morgen war es gut." Allerdings konnte der Weltmeister am Morgen keinen wirklichen Longrun fahren.

Interessant könnte unter Umständen auch die Strategie werden: Eigentlich sollte eine Einstopp-Strategie fix sein. Allerdings setzte Mercedes im vergangenen Jahr bei Hamilton auf zwei Stopps. Vermutlich jedoch nur, um teamintern keinen Zwist aufkommen zu lassen: Nachdem Nico Rosberg mit einem Getriebeschaden ausgeschieden war, konnte Hamilton machen, was er wollte. Wäre Rosberg das Rennen auf seiner Zweistopp-Strategie zu Ende gefahren, wäre Hamilton wahrscheinlich kein zweites Mal zum Stopp gekommen.

Durcheinander hinter Mercedes

Hinter Mercedes wird es nicht nur zwischen Teamkollegen spannend. Williams war die Überraschung des Qualifyings. Während der Traditionsrennstall positiv überraschte, enttäuschte Toro Rosso nach dem überragenden Freitag maßlos. Auch Ferrari blieb hinter Williams und damit hinter den Erwartungen zurück.

2. Freies TrainingQualifying
Luft max.24,224,5
Luft min.22,622,4
Strecke max.46,641,2
Strecke min.39,835,0

Viele befürchteten nach dem Freitag, dass sich mit den Temperaturen auch das Kräfteverhältnis ändern würde. Allerdings waren die Unterschiede nicht besonders groß: Die Lufttemperatur unterschied sich nur geringfügig und auch der Asphalt war während des Qualifyings nicht viel kühler als am Freitag.

Die Windrichtung änderte sich komplett, Foto: Motorsport-Magazin.com
Die Windrichtung änderte sich komplett, Foto: Motorsport-Magazin.com

Allerdings machte der Wind einen Strich durch die Rechnung: Zwar waren die Windgeschwindigkeiten während des Qualifyings geringer, allerdings änderte sich die Richtung komplett. Während er am Freitag noch Richtung Nordwest blies, ging es am Samstag Richtung Nordost. Somit kam der Wind in Copse Corner von hinten, was vielen Piloten Probleme bereitete.

Max Verstappen verstand die Welt nicht mehr. "Ich weiß nicht, was heute passiert ist", rang der 17-Jährige mit seiner Fassung. "Wir waren das ganze Wochenende so konkurrenzfähig und dann, als ich ins Q1 gegangen bin, habe ich Übersteuern bekommen und war überhaupt nicht mehr glücklich mit der Balance."

Williams' Auferstehung war aber nicht nur dem Wind geschuldet. Wie auch das Mercedes-Werksteam kann der Rennstall wenn es ernst wird noch ordentlich Extra-PS aus dem Triebwerk holen. Auch im Rennen wird Mercedes-Power wieder ein enormer Vorteil sein - Stichwort Benzinverbrauch.

Allerdings waren die Longruns der Toro-Rosso-Piloten richtig stark. Verstappen fuhr sogar schneller als Nico Rosberg. Ferrari lag etwas dahinter, Williams noch ein weiteres Stück. Die Startaufstellung umgekehrt also. Irgendwo dazwischen lagen auch Red Bull und Force India. Ferrari und Williams werden sich wohl hinter Mercedes spannende Kämpfe liefern. Dahinter wird es richtig eng: Toro Rosso wurde im Qualifying unter Wert geschlagen. Von den Jungbullen könnte im Rennen noch etwas kommen - vorausgesetzt der Wind steht günstig.