Jari-Matti Latvala hatte am Samstag bei der Rallye Monte Carlo für großes Aufsehen gesorgt, als er bei einem Unfall einen Zuschauer anfuhr. Der Finne setzte seine Fahrt ohne Halt fort und erklärte im Nachhinein, den Zusammenprall durch schlechte Sicht nicht bemerkt zu haben. Die Stewards bewerteten den Fall anders und belegten Latvala und seinen Beifahrer Miikka Anttila mit einer Geldstrafe von 5000 Euro. Zudem fährt Latvala ab sofort auf Bewährung. Sollte er sich nochmals ein ähnliches Vergehen zu Schulden kommen lassen, wird er für eine Rallye gesperrt.

Der Vorfall ereignete sich auf WP11. Latvala war nach einer Rechtskurve mit dem Heck von der Strecke abgekommen, durch einen Graben geschliddert und schließlich auf einer Wiese mit zahlreichen Zuschauern zum Stehen gekommen. Der Finne gab wieder Gas und versuchte, auf die Strecke zurückzukehren. Dabei traf er einen Zuschauer, der sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Der Mann rollte über die Motorhaube, konnte aber - wie das Videomaterial zeigt - sofort wieder aufstehen. Laut Volkswagen erlitt der Mann keine Verletzungen.

Latvala selbst behauptete im Nachhinein, nicht bemerkt zu haben, dass er einen Zuschauer angefahren hatte. "Dichter Dampf vom Motor und hochspritzender Schlamm aus dem Graben nahmen mir für einen Moment die Sicht. Ich sah einen Zuschauer, der zur Seite sprang und bin langsam zurück auf die Strecke gefahren", erklärte er. Mehrfach betonte der Volkswagen-Pilot, wie sehr ihm dieser Zwischenfall leid tue.

Unterschiedliche Aussagen und Videomaterial sprechen gegen Latvala

Nach Auswertung des Onboard-Material fiel es den Stewards schwer zu glauben, dass Latvala und sein Beifahrer Miikka Anttila nicht bemerkt hatten, dass sie einen Zuschauer angefahren hatten, da "der Körper recht prominent auf der Motorhaube und der rechten Seite der Windschutzscheibe zu sehen war. Zu diesem Zeitpunkt war die Sicht durch die Windschutzscheibe nicht so schlecht und der Körper konnte klar erkannt werden", hieß es in dem Statement der Stewards. Auf diese Anschuldigungen rechtfertigte sich Latvala, dass sich in solchen Situationen der Kopf nach oben und unten bewegt und damit die Sicht nicht geradeaus gerichtet ist.

Ein weiterer Fakt ließ die Stewards daran zweifeln, dass Latvala den Zwischenfall mit dem Zuschauer nicht bemerkt hatte. Prüfungs-Reporter Julian Porter machte sich nach dem Ende der Prüfung auf dem Weg zum Volkswagen-Piloten, der gerade sein beschädigtes Auto zu reparieren versuchte. Dabei soll ihn der Vizeweltmeister gerufen und folgendes gesagt haben: "Sowohl der Fahrer als auch der Beifahrer des Polo mit der Startnummer 2 arbeiteten an der vorderen, rechten Radaufhängung, als Jari mich rief, um mir etwas zu erzählen", heißt es in einer schriftlichen Aussage von Porter. "Jari sagte mir: 'Als ich von der Strecke abkam, traf ich einen Zuschauer. Wir haben ihn nicht schlimm erwischt, aber könntest du bitte checken, ob er in Ordnung ist, oder mit jemandem Kontakt aufnehmen, der das tun kann?'"

Diese Aussage allerdings bestritt Latvala, als er am Samstagabend um 22:15 Uhr gemeinsam mit Volkswagen-Motorsportdirektor Jost Capito und Teammanager Sven Smeets zu den Stewards gerufen wurde. Laut Latvala bat er Porter, mit den Marshalls in Kontakt zu treten und bestätigen zu lassen, dass er keinen Zuschauer erwischt hatte.

Volkswagen erklärte am Samstagabend in einer Presseaussendung, dass das Team Latvala sofort nach Bekanntwerden des Zwischenfalls telefonisch über die Situation informierte. Als der 30-Jährige allerdings von den Stewards explizit gefragt wurde, wann und von wem er über den Zwischenfall informiert wurde, konnte er darauf keine präzise Antwort geben.

Latvalas Verhalten für die Stewards falsch

Nach Anhörung der Beteiligten und Auswertung aller Beweise kamen die Stewards zu einem klaren Urteil. "Es ist nicht plausibel für die Stewards, dass die Crew nicht einmal die Möglichkeit in Betracht gezogen hat, dass sie einen Zuschauer angefahren hat", heißt es in dem Statement. "Es muss hinzugefügt werden, dass auf dem Videomaterial klar zu sehen ist, dass viele Menschen eng in einer langen Reihe auf der linken Seite der Prüfung standen, wo er abgekommen war. Sogar als das Auto auf der Weg zurück auf die Strecke war, rannten die Menschen zur rechten und linken Seite weg."

Für die Stewards stand fest: Selbst wenn die Crew, wie Latvala behauptet, von dem Zwischenfall nichts bemerkt hatte, wäre es seine Pflicht gewesen, anzuhalten und zu checken, ob einer der Zuschauer betroffen war. Sie sahen einen Verstoß gegen Artikel 40.4 als erwiesen an. Dort heißt es: "Wenn eine Crew in einen Unfall verwickelt ist, in dem ein Zuschauer körperliche Verletzungen davonträgt, muss das Auto unvermittelt stoppen und es muss dem Prozedere Folge geleistet werden, wie es in Artikel 40.3.1 ausgeführt ist."

In diesem Artikel wiederum sind die Schritte ausgeführt, sollte nach einem Unfall dringend ärztliche Hilfe benötigt werden. So hätte Latvala stoppen müssen und den SOS-Knopf seines Autos betätigen müssen. Zudem hätte sofort das rote SOS-Zeichen für die folgenden Autos und den Helikopter angezeigt werden müssen. Als finaler Schritt hätte das Warndreieck von einem der Crew-Mitglieder mindestens 50 Meter vor dem Auto aufgestellt werden müssen, um die folgenden Autos zu warnen - selbst wenn das Auto abseits der Strecke steht.

Latvala akzeptiert die Strafe

Volkswagen hätte gegen die Entscheidung Berufung einlegen können. Das Team und das Fahrerduo entschied sich aber dagegen und akzeptierte die Strafe. "Mein Beifahrer Miikka Anttila und ich akzeptieren die Entscheidung der Stewards in vollem Umfang", sagte Latvala. "Die Sicherheit für Zuschauer und Teilnehmer einer Rallye hat absolute Priorität, das steht für mich und Miikka absolut außer Frage. Wir bedauern den Vorfall sehr und werden alles dafür tun, dass sich so etwas in Zukunft nicht wiederholen wird. Gleichzeitig sind wir froh, dass es in diesem Fall für den Zuschauer so glimpflich ausging und nichts Ernstes passiert ist."