In einem vor allem in der Schlussphase an Spannung und Dramatik kaum zu überbietenden Thriller hat das Ferrari-Trio Come Ledogar (Frankreich), Nicklas Nielsen (Dänemark) und der Italiener Alessandro Pier Guidi mit dem vom Team Iron-Lynx eingesetzten 488 GT3 das 24h-Rennen in Spa-Francorchamps gewonnen. Das Trio entschied den über viele Stunden andauernden Zweikampf mit dem besten Audi der belgischen WRT-Lokalmatadoren Dries Vanthoor und Charles Weerts, die in einem werksunterstützen R8 LMS GT3 noch vom aktuellen DTM-Spitzenreiter Kelvn van der Linde (Südafrika) unterstützt wurden, für sich.
"Im Moment bin ich ein bisschen enttäuscht. Wenn man so lange um den Sieg kämpft und bis zehn Minuten vor Schluss führt, ist das ärgerlich", sagte van der Linde zu Motorsport-Magazin.com. "Die Boxenstopps und die Strategie haben gepasst. Das Team (WRT, d. Red.) hat alles zusammengebracht. Wir können zufrieden sein, aus der drittletzten Startreihe noch auf Platz zwei nach vorne gefahren zu sein. Wir sollten das Ergebnis einfach genießen."
Das entscheidende Überholmanöver im bestbesetzten GT3-Rennen der Saison setzte Ferrari-Routinier Pier Guidi, der bei strömendem Regen rund zehn Minuten vor dem Fallen der Zielflagge van der Linde in einem atemberaubenden Manöver in der schnellen Blanchimont-Kurve außen (!) überrumpelte. Ein wahres Meisterstück des 37 Jahre alten Italieners gegen einen der weltbesten GT3-Piloten.
Wenige Sekunden entscheiden über Rennausgang
"Wir haben das Rennen die meiste Zeit angeführt. In der letzten Stunde, als plötzlich der Regen kam, hat es dann so ausgesehen, als seien wir die Verlierer", sagte Ferrari-Werksfahrer Pier Guidi, dessen sensationeller Husarenstreich in der Box euphorisch gefeiert wurde. "Nach dem Restart habe ich entschieden, alle möglichen Risiken zu nehmen, denn ich hatte keine andere Wahl. Vielleicht war es nicht das leichteste Überholmanöver. Er (Kelvin, d. Red.) hat ausgangs Stavelot einen kleinen Fehler gemacht und ich konnte neben ihn fahren. Ich weiß nicht warum, aber ich fühlte, ich muss diese Chance nutzen - und es hat geklappt. Es ist ein unglaubliches Gefühl und es wird einige Zeit dauern, bis wir verstehen, was wir geschafft haben."
Nach 556 Runden (3.894,224 km) lag das Ferrari-Trio lediglich 3.978 Sekunden vor dem von Rang 54 gestarteten Audi des belgischen WRT-Teams, das den dritten Gesamtsieg nach 2011 und 2014 nach einer beeindruckenden Aufholjagd knapp verpasste. In der GT3-Ära seit 2010 sind nur die Gewinner von 2013, Maximilian Buhk, Maximilian Götz und DTM-Rekordchampion Bernd Schneider, eine längere Distanz gefahren. Sie drehten damals acht Runden mehr.
"Das war genialer Motorsport mit einem absoluten Herzschlagfinale", meinte Chris Reinke, Leiter Audi Sport customer racing. "Unsere Fahrer haben zusammen mit dem Audi Sport Team WRT tollen Sport geboten. Nach 4,6 Sekunden Rückstand vor einem Jahr war der Abstand in diesem Jahr sogar noch kleiner." Hinter dem Sieger gelang Audi in einem Teilnehmerfeld mit sieben Herstellern insgesamt eine geschlossene Mannschaftsleistung, die durch vier R8 LMS in den Top 10 bestätigt wird.
Ferrari beendete passend zum 100. Geburtstag der berühmten Rennstrecke in den belgischen Ardennen die mehr als ein Jahrzehnt andauernde Siegerserie deutscher Hersteller: Audi mit vier Siegen (2011/2012/2014/2017), BMW (2015/2016/2018) und Porsche (2010/2019/2020) mit je drei sowie Mercedes (2013) mit einem Erfolg gaben seit 2010 mit ihren GT3-Sportwagen den Ton bei dem Langstreckenklassiker an. Die Ferrari-Boys, die erstmals in Spa triumphierten, verhinderten zudem noch einen möglichen "Hattrick" von Porsche.
Bei aller Freude muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass eine kurzfristige Änderung der Balance of Performance (BoP) vor dem Rennen sicher kein Nachteil war. Der Ferrari 488 GT3 durfte zehn Kilogramm ausladen! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...
Thiim fährt schnellste Rennrunde
Der beste GT3-Sportwagen der Stuttgarter mit den Belgiern Maxime Martin und Laurens Vanthoor sowie dem Briten Nick Tandy beendete das Rennen zweimal rund um die Uhr nur 10,284 Sekunden hinter dem zweiten WRT-Audi von Robin Frijns (Niederlande), Dennis Lind (Dänemark) und Nico Müller (Schweiz) auf Rang fünf.
Kurios: Ausgerechnet Lokalmatador Vanthoor musste nach einem "Unfall" (!) im Fahrerlager vorzeitig aufgeben. Der Belgier war auf einem E-Roller mit einem Quad kollidiert, was einen unfreiwilligen Besuch im Krankenhaus zur Folge hat. Danach stand fest, dass der Belgier seinem Team aufgrund der leichten Verletzungen nicht mehr zur Verfügung stand und deshalb Frijns und Lind den Rest des Rennens zu zweit absolvierten.
Als Dritte (1:20.979 Minuten zurück) sorgten die Dänen Marco Sorensen und Nicki Thiim sowie der Brite Ross Gunn in einem Aston Martin Vantage GT3 dafür, dass Fahrer von drei verschiedenen Marken auf dem Siegerpodium standen.
"Das Rennen war sehr interessant, und bis zum Schluss großes Kino", sagte Thiim, der mit 2:18.654 Minuten die schnellste Rennrunde gefahren ist. "Wir waren da, um den Sieg zu holen. Aber wir mussten einen längeren Servicestopp unter grün einlegen, weil wir ein Problem mit einem Radlager hatten. Das hat uns ein bisschen zurückgeworfen. Danach hingen wir eine Minute hinterher. Unser Paket war sehr, sehr gut. Es war toll auf dem Podium zu sein, auch wenn man immer mehr haben will."
Der dritte Platz ist das beste Resultat für Aston Martin in der GT3-Zeit seit 2010. Den einzigen Triumph hatte der britische Autobauer 1948 mit einem DB1 erzielt.
BMW und Mercedes vorzeitig aus dem Rennen um den Gesamtsieg
Beste deutsche Teilnehmer in einem der insgesamt 58 gestarteten GT3-Sportwagen waren der zweimalige Gesamtsieger Markus Winkelhock (2014/2017) sowie Teamkollege Christopher Haase, Gewinner mit "Winki" 2017, in einem weiteren Audi des Sainteloc Racing Teams (Gesamtsieger ebenfalls 2017) auf Rang sechs (zwei Runden zurück).
Dagegen lässt der zweite, lange ersehnte Gesamtsieg von Mercedes-AMG nach 2013, weiter auf sich warten. Dabei gab es mit der dritten Pole-Position in Folge eine gute Ausgangsposition für die Performance- und Sportwagenmarke aus Affalterbach. Doch wie in den beiden vergangenen Jahren sollte diese unbelohnt bleiben.
Wegen technischer Probleme (gebrochener Dämpfer) am GT3 des Teams AKKA ASP war nach rund 13 Stunden bereits vorzeitig Feierabend. Am Sonntagmorgen kam auch das Aus für den auf Top-Ten-Kurs liegenden Mercedes-AMG des HRT-Teams, weil laut einer Pressemitteilung die Wettbewerbsfähigkeit nach mehreren kleineren Schäden nicht mehr gewährleistet war. Als bester Mercedes-AMG platzierte sich im Gesamtklassement der zweite AKKA-ASP-GT3, der u. a. von DTM-Pilot Lucas Auer auf Rang zehn pilotiert wurde.
Noch schlechter erging es Rekordsieger BMW, deren zwei Speerspitzen beim Kampf um den 25. Gesamtsieg letztendlich keine Rolle spielten. Die gute Performance des 2018 siegreichen Walkenhorst-Teams, das in der Anfangsphase die Podiumsplätze fest im Auge hatte, blieb unbelohnt. In der Nacht schieden die beiden M6 GT3 durch eine unverschuldete Kollision von Martin Tomczyk sowie ein technisches Problem (fehlender Vortrieb) am Schwesterauto vorzeitig aus.
"Es ist natürlich eine sehr herbe Enttäuschung. Wir konnten mit beiden Autos um das Podium kämpfen. Die Fahrer und das gesamte Team waren bis in die Haarspitzen motiviert, und wir haben gesehen, dass wir die Pace im Rennen haben", meinte Walkenhorst-Teammanager Niclas Königbauer. "Das wir nun nach zwei unglücklichen Situationen kein Auto ins Ziel bringen, ist für uns sehr traurig - gerade im Abschiedsrennen des BMW M6 GT3 hier in Spa-Francorchamps."
Mehrere schwere Unfälle
Das Rennen wurde zu Beginn und am Ende bei wechselhaften Witterungsbedingungen mit teilweise Starkregen von schweren Unfällen überschattet. Dabei musste Ferrari-Pilot Davide Rigon (Italien) und der britische Lamborghini-Fahrer Jack Aitken nach einer spektakulären Kollision in ein Krankenhaus eingeliefert werden.
Nach offiziellen Angaben des Veranstalters erlitten beide Fahrer aber keine lebensgefährlichen Verletzungen. Merkwürdig nur, dass die Verantwortlichen entschieden haben, TV-Bilder von dem spektakulären Unfall im Weltbild nicht zu zeigen. Weitere Piloten wurden im Medical Center an der Rennstrecke untersucht und versorgt.
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