Die Formel-1-Weltmeisterschaft ist ein schnelllebiges Geschäft. Wer nicht die gewünschte Leistung bringt, wird kurzerhand wieder aussortiert, spätestens am Saisonende. Schon mancher Fahrer musste sich eher nach einem neuen Job umsehen, als es ihm lieb war. Eine beliebte Alternative zur Königsklasse scheint der amerikanische Rennsport zu sein: Allein in der IndyCar Serie gehen mit Justin Wilson, Takuma Sato und Sebastien Bourdais drei Fahrer an den Start, die noch vor nicht all zu langer Zeit in der Formel 1 unterwegs waren.

Sato hätte im letzten Rennen vor dem Saisonhighlight in Indianapolis sogar beinahe seinen ersten Sieg geschafft. Im brasilianischen Sao Paulo zeigte er im Regen sein Können und fuhr bis an die Spitze, einen möglichen Triumph verpasste der Japaner nur aufgrund einer falschen Strategie. Den Auswanderern scheint es abseits des hermetisch abgeriegelten Formel-1-Paddocks also nicht so schlecht zu ergehen...

Insbesondere Bourdais hat aus seiner ChampCar-Zeit noch viele Anhänger in den USA, auf offener Straße würde man ihn wohl selbst mit Schnauzer und großer Sonnenbrille erkennen. "Es ist wirklich toll, wieder hier zu sein. Hier kennt mich jeder Fan, nun muss ich nur noch die Resultate bringen", berichtet der Franzose. In Amerika hat er schon vier Meistertitel geholt, bis zum fünften ist es aber noch ein weiter Weg: "Dale Coyne Racing ist ein kleines Team, da ist es schwer, das Niveau von Penske oder Ganassi zu erreichen."

Auch Wilson, der in den letzten zwei Jahren immerhin schon zwei Siege erzielen konnte, kämpft bei Dreyer & Reinbold Racing noch mit Startschwierigkeiten. "Leider waren wir bisher immer wieder in Zwischenfälle verwickelt. Ich hoffte, eigentlich um Rennsiege kämpfen zu können, aber davon sind wir momentan noch weit entfernt." Immerhin: In den Staaten hat Wilson, der die Formel 3000 ein Jahr vor Bourdais gewann, sich schon einen Namen verschafft.

Selbst wenn es mal nicht zu Top-Platzierungen reicht, haben Wilson und Bourdais in der IndyCar Serie sehr viel Spaß. "In der Formel 1 dreht sich viel um das Business. Bei den IndyCars steht der Sport im Vordergrund, außerdem ist das Fahrerlager viel offener", sagt Wilson, der sich immer wieder an seine Zeit in der Formel Ford oder Formel 3 erinnert fühlt. "Hier ist der Zuschauer viel näher dran."

Stressiger wird es für die Fahrer deswegen aber nicht. Die Fans sind zurückhaltend und ruhig, während der Autogrammstunden stehen sie diszipliniert in der Schlange und freuen sich, irgendwann eine Unterschrift zu bekommen und sich ihre Fragen beantworten zu lassen. Auch die Fahrer verstehen sich untereinander, nur "wenn wir auf die Strecke gehen, sind wir keine Freunde mehr."

Aus sportlicher Sicht ist die IndyCar Serie vielleicht sogar anspruchsvoller als die Formel 1. Immerhin fährt man nicht nur auf normalen Rennstrecken, sondern auch auf Stadtkursen, Flugplätzen und Ovalen. "Wenn jeder mit dem gleichen Auto unterwegs ist, gibt es auch immer enge Rennen, das hat sich seit zehn Jahren nicht verändert. In der Formel 1 wird dagegen viel entwickelt, dabei wird kaum Rücksicht auf den Fahrer genommen", denkt Bourdais an seine Zeit bei Toro Rosso zurück.

Sein britischer Kollege kann sich da eigentlich nur anschließen: "Hier fahren 27 Autos mit dem gleichen Chassis, man ist nicht automatisch eine Sekunde langsamer, nur weil man in einem kleinen Team ist." Eine Rückkehr nach Europa kann sich wohl keiner der drei Auswanderer vorstellen.

"Ich bin hier sehr zufrieden. IndyCar ist das, was ich den Rest meiner Karriere machen will", ist Wilson überzeugt. "Die Formel 1 war so intensiv, ich konnte das Fahren kaum genießen, es war richtig harte Arbeit." Kontakte zu seinem alten Team hat er kaum noch, auch die Grand Prix verfolgt er selten. "Wegen der Zeitverschiebung ist es oft gar nicht möglich. Und ehrlich gesagt, weiß ich auch gar nicht, wer momentan wo liegt."

Sebastien Bourdais hat aufgrund seiner Renneinsätze im Peugeot-Prototyp dagegen sehr gute Verbindungen nach Europa, das Indy 500 und einige weitere Rennen lässt er sogar aus, um das 24-Stunden-Rennen in Le Mans zu bestreiten. Langfristig sieht der 32-Jährige seine Zukunft aber in den USA. "Wenn ich die Möglichkeit bekomme, hier eine ganze Saison zu bestreiten, dann sage ich sicher nicht nein. Ich hatte in den USA die besten Jahre meiner Karriere."

Besonders interessant wird es für das internationale Trio in der kommenden Saison, wenn das neue Dallara-Chassis zum Einsatz kommt und alle Teams wieder bei Null beginnen werden. "Das Auto wird dann weder mehr auf Rundkurse ausgelegt sein, das wird wirklich toll. Ich freue mich schon jetzt auf die kommende Saison, wenn ich die Chance auf ein gutes Cockpit bekomme", so Bourdais.

Wilson, der mit einer Größe von fast zwei Metern ja nicht der Kleinste ist, verbindet mit dem neuen Boliden ganz andere Hoffnungen: "Obwohl das aktuelle IndyCar schon sehr groß ist, ist es für mich noch immer sehr eng. Man hat mir aber schon gesagt, dass das neue Dallara-Chassis etwas mehr Platz bieten soll. Ich bin jedenfalls gespannt." Dann fühlt sich der Formel-1-Auswanderer vielleicht nicht nur in der Indycar-Welt pudelwohl, sondern auch an seinem engen Arbeitsplatz im Cockpit.

Der Artikel "Die Auswanderer" stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Reportagen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: