Der Druck auf dich und das Team während der Saison 2006 muss enorm gewesen sein. Hast du je daran gezweifelt, dass ihr siegen würdet?
Fernando Alonso: Der wahre Charakter einer Person und eines Teams zeigt sich erst unter Druck. Die Einstellung bei Renault und Michelin während der Saison 2006 lässt sich einfach zusammenfassen: immer alles geben, und zwar auf sportlich faire Weise. Für mich bedeutete die Situation eine wichtige Erfahrung – nicht nur im Hinblick auf meine Karriere, sondern auch für mein Leben. Wir passten den Renault R26 nach dem Verbot der Massedämpfer den neuen Bedingungen an. Michelin arbeitete hart an der stetigen Verbesserungen der Reifen. Und in unserem Motorenworkshop in Viry-Châtillon wurden Nachtschichten gefahren, um den RS26-V8 weiterzuentwickeln. Es herrschte eine unglaubliche Entschlossenheit bei allen Beteiligten. Nach dem Grand Prix von Italien in Monza wussten wir, dass wir wieder über ein siegfähiges Auto verfügten. Dies konnten wir beim China-Grand Prix bestätigen, als uns der Sieg wegen anderer Gründe aus den Fingern glitt. In diesem Moment zweifelte ich kurz. Gleichzeitig wusste ich, dass noch ein langer Weg vor uns lag und alles noch möglich war.

Für den neuen Lebensabschnitt wünsch Fernando Alonso Michael Schumacher alles Gute, Foto: Sutton
Für den neuen Lebensabschnitt wünsch Fernando Alonso Michael Schumacher alles Gute, Foto: Sutton

Der Druck, der auf dir lastete, entstand unter anderem auch dadurch, dass du dir mit Michael Schumacher, einer der schillerndsten Persönlichkeiten in der Geschichte der Formel 1, einen packenden Zweikampf liefertest. Wie war das für dich?
Fernando Alonso: Ich empfand es als großes Privileg, gegen Michael zu kämpfen zu dürfen. Es war fantastisch. Bereits während der Saison 2005 habe ich betont, wie wichtig es mir war, noch während Michaels aktiver Zeit Weltmeister zu werden. Die Beobachter der Formel 1 messen einem solchen Titel eine viel höhere Bedeutung zu. Allerdings sagten damals viele, dass ich 2005 ja gar nicht unmittelbar gegen Michael gekämpft hätte. Das war in der zurückliegenden Saison anders. In den Geschichtsbüchern der Formel 1 wird auf ewig stehen, dass die letzten beiden Weltmeisterschaften, an denen Michael Schumacher teilnahm, von Fernando Alonso gewonnen wurden. Darauf bin ich sehr stolz. Für seinen neuen Lebensabschnitt mit seiner Familie wünsche ich ihm alles Gute. Es hat mir viel Spaß gemacht, gegen zu fahren.

Es scheint, als ließe sich die Saison 2006 in verschiedene Phasen einteilen. In der ersten Hälfte war Renault F1 das dominierende Team...
Fernando Alonso: Wir erlebten ohne Zweifel einen sehr guten Start. Wir hatten uns sehr gut vorbereitet. Der Renault R26 war ebenso ausgereift wie der Motor. Das Team in Viry-Châtillon hatte einen fantastischen Job erledigt. Wir gewannen die ersten drei Saisonläufe, weil unser Paket bereits rund 95 Prozent seines Potenzials erreicht hatte. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass ich Michael in Bahrain deshalb schlug, weil ich nach meinem letzten Boxenstopp nur wenige Meter vor ihm wieder auf die Strecke kam. Er gewann dann in Imola und auf dem Nürburgring. Ferrari war von Beginn an nah an uns dran. Und auch sie fanden noch Verbesserungspotenzial bei ihrem Paket. Ungefähr zur Mitte der Saison meinten viele Experten bereits, dass die WM 2006 eine einfache Angelegenheit für Renault F1 sei. Innerhalb des Teams teilte niemand diese Ansicht. Wir wussten, dass unsere Konkurrenten stark waren und dass der Vorteil jederzeit wechseln konnte. Wir mussten weiter hart arbeiten und durften nichts als selbstverständlich ansehen.

Der Große Preis der USA in Indianapolis erschien wie ein Wendepunkt, an dem das Pendel plötzlich zugunsten von Ferrari ausschlug...
Fernando Alonso: Das Indianapolis-Wochenende war schwierig für mich. Im Sommer stand das gesamte Team unter großem Druck. Die Bridgestone-Reifen der Konkurrenz funktionierten unter den heißen Bedingungen in Magny-Cours und Hockenheim. Hinzu kam das Problem mit unserem Massedämpfer. Das Verbot war die erste Entscheidung, die uns unter Druck setzte. Es folgte die Bestrafung im Qualifying des Grand Prix von Ungarn, bei dem wir durch einen Fehler den möglichen Sieg verschenkten. Auch in Monza wurde ich bestraft. Zudem erlitt ich dort einen Motorschaden. Mein Vorsprung auf Michael war damit praktisch aufgebraucht. Als er beim China-Grand Prix in der Gesamtwertung mit mir gleichzog, dachten alle, dass damit die Entscheidung zu Gunsten von Ferrari gefallen sei...

Aber dann kam der Große Preis von Japan, den du nach Schumachers Ausfall für dich entscheiden konntest...
Fernando Alonso: Ich wusste, dass Ferrari schnell war, war mir aber auch sicher, dass gleiches auch für uns galt. Meine Überzeugung lautete, dass die Zeit jedem seinen verdienten Platz in der WM zuweisen würde. Wir verloren unseren Vorteil aufgrund eines Problems in Monza. Ferrari gab ihn uns ebenfalls aufgrund eines Problems in Suzuka zurück. Es glich sich also alles aus. Das ist Teil des Sports, es gehört zur Formel 1 dazu. Ich werde immer daran glauben, dass wir diese Weltmeisterschaft verdient haben. Und dass wir gewinnen mussten – um zu beweisen, dass sich letztendlich immer der Sport durchsetzt.

Der Motorschaden in Monza kostete den Vorteil, Foto: Sutton
Der Motorschaden in Monza kostete den Vorteil, Foto: Sutton

Du bist der jüngste zweifache Weltmeister in der Geschichte der Formel 1. Da muss ein einmaliges Gefühl für dich sein, oder?
Fernando Alonso: Es ist unglaublich. Wie im vergangenen Jahr nach meinem ersten Titelgewinn war ich auch diesmal zunächst wie taub. Ich konnte überhaupt nicht richtig begreifen, was geschehen ist. Aber mit jedem Tag wächst mein Stolz über das, was ich gemeinsam mit Renault F1 erreicht habe. Und ich glaube, je mehr Jahre vergehen, desto größer wird dieses Gefühl. Die Weltmeisterschaft zu gewinnen, ist das Größte, was du in der Formel 1 erreichen kannst. Es ist ein fantastisches Gefühl.

Wie hast du deinen Erfolg gefeiert?
Fernando Alonso: Es gab viele verschiedene Veranstaltungen. Besonders wichtig waren mir die Feiern mit dem Rennteam unmittelbar nach dem Grand Prix von Brasilien, mit den Angestellte in Enstone und Viry-Châtillon sowie in meiner Heimatstadt Oviedo. Es bedeutete mir viel, mich persönlich bei den Teammitgliedern in beiden Renault F1 Workshops zu bedanken. Die Erfolge auf der Strecke waren nur dank ihrer harten Arbeit möglich. Außerdem lehrten sie mich einige wichtige Dinge über Fairplay und Sportsgeist. Diese Lektionen werde ich mein ganzes Leben lang behalten. Über meine spanischen Fans kann ich nur sagen: Es sind die besten in der ganzen Welt. Ich musste mich einfach unmittelbar bei ihnen bedanken und nicht nur über die Presse.

Es muss ein komisches Gefühl für dich gewesen sein, in deiner Heimatstadt von Tausenden Fans auf den Straßen gefeiert zu werden, über die du noch vor wenigen Tagen völlig unbehelligt spazieren konntest...
Fernando Alonso: Das stimmt, es ist eigenartig. Vor allem, weil ich nicht glaube, dass ich mich als Person verändert habe seitdem. Aber die Unterstützung meiner Landsleute in diesem Jahr war wirklich unglaublich, nicht nur in Barcelona, sondern überall in Spanien. Sie feierten mit mir während meines starken Saisonauftakts. Und als ich im Sommer mehr und mehr meinen Vorteil einbüßte, standen sie sogar noch begeisterter hinter mir. Als ich in Oviedo war, sah ich kleine Kinder mit Alonso-Kappen und ältere Menschen, die ebenfalls in Gelb und Blau gekleidet waren. Die Unterstützung, die Begeisterung dieser Leute – das ist es, was für mich wirklich zählt. Jeder in Spanien ist ein Doppel-Weltmeister.

Mit dem Ende der Saison 2006 beginnt ein neuer Abschnitt in deiner Karriere. Was überwiegt? Die Traurigkeit über den Abschied? Oder die Vorfreude auf die Zukunft?
Fernando Alonso: Beides ist gleich groß. Meine Zeit mit dem Renault F1 Team war einfach fantastisch. Es fühlt sich an wie meine Familie und wird immer in meinem Herzen bleiben. An die gemeinsamen Jahre habe ich einzigartige Erinnerungen bis hin zu den Siegesfeiern nach den Rennen. Auch der Ausstieg von Michelin hat für mich eine besondere Bedeutung, da ich seit meinem Formel 1-Debüt 2001 ausschließlich mit ihren Reifen gefahren bin. Obwohl sie schwere Zeiten auf und außerhalb der Strecke durchmachen mussten, gaben sie niemals auf. Auch in ihrer Abschiedssaison bewiesen sie ihren Sportsgeist und ihre Begeisterung für die Formel 1. Sie schlugen eindrucksvoll zurück und garantierten uns den Vorteil, den wir zum Erfolg brauchten. Ich muss mich bei Renault und Michelin bedanken. Ich freue mich, dass wir uns würdig voneinander verabschieden: als Champions. Jetzt beginnt für mich eine neue Herausforderung.

Für Fernando Alonso beginnt eine neue Herausforderung, Foto: Sutton
Für Fernando Alonso beginnt eine neue Herausforderung, Foto: Sutton

Du wirst in der kommenden Saison der einzige noch aktive Weltmeister in der Formel 1 sein...
Fernando Alonso: Ich glaube nicht, dass sich dadurch etwas für mich oder an meiner Herangehensweise ändert. Ich habe immer daran geglaubt, dass es auf die richtige Kombination aus Auto und Fahrer ankommt, um Weltmeister zu werden. Ohne einen guten Rennwagen kannst du keinen Erfolg haben. Und ich fuhr in den vergangenen Jahren einen. Als ich noch im Minardi saß, habe ich immer alles gegeben, um nicht Letzter zu werden. Auch wenn die Ziele jetzt natürlich andere sind: In puncto Einstellung und Einsatz hat sich seitdem nicht viel geändert.

Bist du mit McLaren 2007 siegfähig?
Fernando Alonso: McLaren ist ein starkes Team mit großen Ressourcen. Sie hatten kein gutes Jahr 2006. Aber wir werden hart arbeiten, sodass wir im kommenden Jahr wieder 100 Prozent geben können. Wie bei jedem Wechsel zu einem neuen Team wird es zunächst eine Eingewöhnungsphase geben. Ich werde wie immer mein Bestes geben und versuchen zu gewinnen.