"Finster war's, der Mond schien helle,
schneebedeckt die grüne Flur,
als ein Wagen blitzeschnelle
langsam um die Ecke fuhr.
Drinnen saßen stehend Leute
schweigend ins Gespräch vertieft
..."

Nein, Sie haben sich nicht auf eine Webseite für Literaturbegeisterte verirrt. Aber: In der technikdominierten DTM-Welt zeigt der Anfang jenes aus dem 19. Jahrhundert stammenden Scherzgedichts eines unbekannten Verfassers, das auch immer wieder gern als literarischer Surrealismus bezeichnet wird, erstaunliche Parallelen zum langen Prozess des Opel-Ausstiegs.

"Finster war's, der Mond schien helle..."

Ende 2004 ereilte Fans und Verantwortliche der DTM die traurige Nachricht: Opel wird ab 2006 nicht mehr in der DTM vertreten sein. Ausgerechnet die Adam Opel AG, die in den späten 90er-Jahren gemeinsam mit Mercedes an einem Comeback der DTM gearbeitet und bereits auf der Essener Motorshow 1998 eine DTM-Studie auf Basis des Astra präsentiert hatte, kehrt der DTM den Rücken und bringt somit die ITR für die Zukunft in durchaus ernste Probleme.

Wie kaum ein anderer engagierte sich Opel für das DTM-Comeback, Foto: Sutton
Wie kaum ein anderer engagierte sich Opel für das DTM-Comeback, Foto: Sutton

Während demnach 2005 die Nacht über das DTM-Engagement der Rüsselsheimer hereinbrach, stand man in diesem Jahr umso mehr im Mond- bzw. Rampenlicht: Ein letztes Mal wollte man bei Opel das Potenzial der DTM-Abteilung beweisen und zumindest hin und wieder einen Sieg einfahren. Nach einem - leider fast schon gewohnt - schwachen Saisonstart standen die Chancen dafür gar nicht mal so schlecht...

"...als ein Wagen, blitzeschnelle..."

Und plötzlich fuhr der Opel-Wagen blitzeschnelle: Der Opel Vectra GTS V8 der zweiten Saisonhälfte hatte mit dem des Saisonstarts kaum noch etwas gemein - abgesehen vom Mindestgewicht von 1.030 Kilogramm, das den Kampf gegen die Meisterschaftskontrahenten Audi und Mercedes durchaus etwas erleichterte. Der "neue" Vectra GTS nickte nicht mehr beim Abbremsen von Kurven mit dem Vorderwagen, er brachte die Dunlop-Reifen nicht mehr zu langsam auf Temperatur, er reagierte auf Set-up-Änderungen nicht mehr unlogisch bis gar nicht...

Letzte Achtungserfolge gab es am Saisonende, Foto: Sutton
Letzte Achtungserfolge gab es am Saisonende, Foto: Sutton

Der "neue" Vectra GTS präsentierte sich auf einer Augenhöhe mit seinen Konkurrenten Audi A4 DTM und Mercedes C-Klasse: Er fuhr mit Marcel Fässler und Heinz-Harald Frentzen am Steuer die Startplätze zwei und drei in Zandvoort ein und bescherte einem überzeugenden Frentzen tags darauf einen dritten Platz - einer misslungenen Boxenstoppstrategie zum Trotz. Der "neue" Vectra offenbarte auch beim folgenden Rennen auf dem EuroSpeedway Lausitz sein ganzes Potenzial, als er von Seiten Frentzens und Manuel Reuters erneut auf den Startplätzen zwei und drei platziert wurde, am Sonntag in den Genuss etlicher Führungsrunden kam, auf Grund einer noch misslungeneren Boxenstopptaktik allerdings auf einen weitere Podestplätze verzichten musste. Erst in Istanbul und Hockenheim fiel der "neue" Vectra wieder etwas zurück - was allerdings weniger an der eigenen Schwäche als vielmehr als einer brillanten Mercedes C-Klasse lag, die auch den Audi A4 weit hinter sich ließ. All das kam allerdings zu spät...

"...langsam um die Ecke fuhr."

Obgleich die Ankündigung des Opel-Ausstiegs Ende 2004 allen vorherigen Spekulationen zum Trotz sehr plötzlich erfolgte und man sich im vergangenen Jahr manchmal als "blitzeschnelle" präsentierte: Der Rüsselsheimer Wagen war bereits lange von der Erfolgsspur der DTM abgekommen, und fuhr langsam, aber sicher um die Ecke - auf das Abstellgleis. 40 sieglose Rennen waren beim Zeitpunkt der Ankündigung vergangen: Nach zwei Siegen beim Finale der Saison 2000, während derer man sich zeitweise gar im Kampf um die Meisterschaft gegen Mercedes ins Gespräch brachte, konnte das Ziel für 2001 nur der DTM-Titel sein - und man war zuversichtlich.

2001 hagelte es Pleiten, Pech und Pannen, Foto: Sutton
2001 hagelte es Pleiten, Pech und Pannen, Foto: Sutton

Stattdessen scheiterte man jedoch auf ganzer Linie: Während die 2000 noch belächelten TT-R von Abt-Audi erste Erfolge einfuhren, gelang Opel noch nicht einmal ein einziger Podestplatz - drei vierte Plätze stellten die zweifelhaften Saisonhighlights dar. Es sollte der Anfang einer jahrelangen Misere sein: 2002 gebot man Besserung, die zwar auch erfolgte, die mit einem dritten Platz Alain Menus auf dem Sachsenring allerdings mehr als unscheinbar ausfiel. Im folgenden Jahr schien der lang ersehnte Sieg mit Timo Scheider in Zandvoort endlich zu gelingen - bis einem Mechaniker beim Boxenstopp die Nerven versagten und Scheider am Ende der Boxengasse mit gelöstem rechten Vorderrad ausrollte.

2004 sollte wieder einmal alles anders werden: Infolge einer Reglementänderung kam erstmals ein DTM-Bolide mit der Silhouette des neuen Vectra GTS zum Einsatz - trotz eher enttäuschender Verkaufszahlen in der Serie Synonym für die erheblichen Qualitätsfortschritte im Hause Opel. Wesentliche Fortschritte beim Speed wurden mit der DTM-Version der kantigen Fließhecklimousine allerdings nicht erzielt: Es blieb beim alljährlichen, einen und einzigen Podestplatz.

Volker Strycek brachte Opel nach 2000 nicht mehr auf die Erfolgsspur, Foto: Sutton
Volker Strycek brachte Opel nach 2000 nicht mehr auf die Erfolgsspur, Foto: Sutton

So verfehlte das DTM-Engagement den gewünschten Effekt: Während man sich nach den für Opel rabenschwarzen 90er-Jahren, während derer man sich mit erheblichen Qualitätsproblemen in eine Finanz- und Imagekrise manövriert hatte, getreu nach dem Motto "Frisches Denken für bessere Autos" mit zunehmendem Erfolg ein neues Image als dynamische Qualitätsmarke mit gutem Preis-/Leistungsverhältnis aufbaute, fuhr man in der DTM gegen die etablierten Premiummarken Audi und Mercedes Niederlage um Niederlage ein - womit gewiss kein größerer Imagegewinn erzielt werden könnte. Demnach ist der Ausstieg, auch angesichts der weiterhin angespannten Finanzlage im GM-Konzern, zwar nicht überraschend, wirft aber die Frage auf, warum man den Misserfolgen nicht aktiver gegensteuerte - beispielsweise mit dem Auswechseln des Spitzenpersonals in der DTM-Abteilung.

"Schweigend ins Gespräch vertieft..."

Seit einigen Monaten waren Spekulationen um einen Privateinsatz der diesjährigen Opel Vectra GTS V8 aufgekommen, der in einem Übergangsjahr 2006 pro forma das Vorhandensein dreier Marken hätte garantieren können. Die letzte Hoffnung der breiten und nicht nur der Legende nach treuen Opel-Fangemeinde war in aller Munde. Monatelang wurden hinter den Kulissen Gespräche mit den Verantwortlichen von Opel und General Motors Europe geführt - nicht nur von Seiten der ITR. Selbst der Vorstandsvorsitzende der Audi AG, Dr. Martin Winterkorn, appellierte brieflich an seinen GM-Europe-Kollegen Fritz Henderson, den privaten Einsatz der Vectra GTS zu erlauben. Gegenüber Fans und Presse zeigte man sich verschwiegen, intern wurde mit Hochdruck für den Opel-Privateinsatz gekämpft.

Nächstes Jahr bleibt der Opel-Kommandostand leer, Foto: adrivo Sportpresse
Nächstes Jahr bleibt der Opel-Kommandostand leer, Foto: adrivo Sportpresse

Erst seit dieser Woche ist es amtlich: Es hat nicht sollen sein. Die Anstrengungen der ITR-, Audi- und Mercedes-Verantwortlichen haben sich nicht ausgezahlt. In Rüsselsheim und Zürich, dem Sitz der GM-Europe-Konzernzentrale, war man hart geblieben: Trotz vorhandenen Interesses von Privatteams, so z.B. vom Team Keke Rosbergs, untersagte man den privaten Einsatzes der Vorjahresfahrzeuge - offiziell aus Angst vor mangelnder Konkurrenzfähigkeit der "alten" Vectra, die durch das 2006er-Reglement, das die Entwicklung im aerodynamischen Bereich weit gehend einschränkt, durchaus möglich gewesen wäre.

Nach einem letzten Rennen mit werksseitiger Präsenz in Hockenheim kam es somit in dieser Woche zu einem durchaus bitteren Abschied von der Rüsselsheimer Traditionsmarke. So bleibt zu hoffen, dass man sich in nicht allzu ferner Zukunft in Rüsselsheim, Zürich und Detroit wieder auf das motorsportliche Metier der Marke Opel zurückbesinnt:
"Und der Wagen fuhr im Trabe,
rückwärts einen Berg hinauf..."