Hockenheim, 19. September 1993: Nachdem sich Nicola Larini bereits Wochen zuvor im Alfa Romeo 155 den DTM-Titel souverän gesichert hat, sind es weniger die beiden Siege seines Alfa-Teamkollegen Alessandro Nannini an jenem Spätsommertag als vielmehr ein seit dem Saisonbeginn verschobenes Debüt, das die DTM-Welt in Atem hält: Bei den beiden finalen Rennen der Saison 1993 debütiert das Team Joest und leitet mit der Einführung des sehnsüchtig erwarteten Calibra für Opel eine neue Ära des Rüsselsheimer DTM-Engagements ein.

Zehn Monate später überquert erstmals ein vom Joest-Team eingesetzter Calibra mit Manuel Reuter am Steuer als erstes Fahrzeug die Ziellinie; 1996 gelingt Joest gemeinsam mit Manuel Reuter im technisch mittlerweile höchst komplexen Calibra der Gewinn des ITC-Titels. Kurz bevor Opel und Alfa Romeo mit ihrem Ausstieg das Ende der "alten" DTM/ITC beschließen, hat sich Joest als Top-Team der ITC etabliert.

Hockenheim, 18. April 2004: Sowohl der nahezu aus dem Straßenbild entschwundene Opel Calibra als auch das einstige DTM-Engagement des Joest-Teams sind fast in Vergessenheit geraten; die DTM-Welt richtet ihre Aufmerksamkeit auf das werksseitige Comeback Audis. Doch nicht nur das Renndebüt des A4 DTM wird mit Spannung erwartet; auch das Comeback des Joest-Teams schürt, umso mehr in Folge der zahlreichen Le-Mans-Erfolge des Teams mit dem Audi R8, Erwartungen. Nach langjähriger DTM-Abstinenz steuert Joest zwei A4 DTM zur runderneuerten Audi-Flotte bei. Die beiden Joest-Piloten Emanuele Pirro sowie Frank Biela, seines Zeichens DTM-Meister 1991 auf einem Audi V8, nehmen sich auf fahrerischer Seite der neuen Herausforderung an.

Das Debütrennen verläuft durchaus zufrieden stellend. Zwar gelangt keiner der beiden Joest-Piloten in die Super Pole, doch bringt Emanuele Pirro angesichts eines siebten Platzes im Rennen bereits einen Achtungserfolg zu Stande. Während der Italiener bei drei weiteren Rennen Punkte einfährt und in Brünn in Form eines fünften Platzes für das Saisonhighlight bei Joest sorgt, vermag Frank Biela sein nicht nur in früheren DTM-Jahren hinreichend unter Beweis gestelltes Potenzial nicht auszuschöpfen und bleibt während der gesamten Saison außerhalb der Punkteränge.

Das Heck eines Joest-A4 - 2004 für die Gegner kein alltägliches Bild, Foto: Sutton
Das Heck eines Joest-A4 - 2004 für die Gegner kein alltägliches Bild, Foto: Sutton

Insbesondere im Qualifying macht sich die Unerfahrenheit der Joest-Truppe beim Umgang mit einem DTM-Boliden bemerkbar; ein passendes Set-up wird somit unvermeidlicherweise oft vergeblich gesucht. Lediglich jeweils einmal gelingt es Pirro und Biela, ihren silbernen Dienstwagen in der Super Pole zu platzieren. Da Joest am Saisonende schließlich nur elf Punkte zu den 168 Audi-Punkten beisteuert, bestehen durchaus Zweifel daran, dass das bereits 1978 gegründete Team nach jener Eingewöhnungssaison zu seinem internen Maßstab, dem Team Abt, aufschließen kann.

Hockenheim, 17. April 2005: Joest nimmt seine zweite Saison in der "neuen" DTM in Angriff. Doch bereits ein Vergleich der Garagen der Audi-Teams Abt und Joest verheißt zunächst nichts Gutes: Nachdem noch im Winter über die Möglichkeit Audis, die beiden Teams mit jeweils zwei aktuellen Fahrzeugen und zwei Vorjahreswagen auszustatten, spekuliert worden war, offenbart sich dem Betrachter ein anderes Bild: Während in den Abt-Boxen vier auch äußerlich stark überarbeitete und mit dem neuen Singleframe-Grill ausgestattete A4 DTM des Jahrgangs 2005 geparkt sind, sind in den Joest-Boxen vier der siegreichen, optisch dezenteren DTM-Limousinen des Vorjahres zu finden. Das Team Joest präsentiert sich - scheinbar - zum B-Team degradiert - und belehrt die DTM-Welt sogleich eines Besseren.

Nicht nur auf Grund einer nahezu tadellosen Leistung Christian Abts, neben Pierre Kaffer, Frank Stippler und Rinaldo Capello der fahrerische Neuzugang bei Joest, gelingt Joest eine Sensation: Mit Platz vier erweist sich der von Abt pilotierte Vorjahres-A4 als erfolgreichster Audi und verweist das Nachfolgemodell mit dem amtierenden DTM-Meister Mattias Ektröm am Steuer aus eigener Kraft auf Platz fünf.

Vor allem Christian Abt trägt zu den Highlights bei Joest bei, Foto: Sutton
Vor allem Christian Abt trägt zu den Highlights bei Joest bei, Foto: Sutton

Obgleich die Kräfteverhältnisse der beiden A4 im Folgenden wieder gerade gerückt werden, präsentiert sich Joest weiterhin überzeugend: Auf dem Eurospeedway gelingen den DTM-Debütanten Pierre Kaffer und Frank Stippler die Plätze fünf und sechs; die Nullrunde von Spa resultiert eher aus einem kleinen, jedoch folgenschweren fahrerischen Missgeschick der Konkurrenz als aus einer schlechten Teamleistung. Den Audi-Doppelsieg in Brünn runden Abt und Stippler in Form der Ränge sechs und acht ab. In Oschersleben scheitert Frank Stippler nur äußerst knapp im Kampf gegen Opel-Pilot Marcel Fässler am Erreichen der Punkteränge.

Auch die im Vorjahr noch allzu offensichtliche Qualifying-Schwäche des Teams ist kuriert; längst hat sich die DTM-Welt an den Anblick eines Vorjahres-A4 in den Top Ten der Startaufstellung gewöhnt. Die Joest-Truppe scheint den 2004er-A4 verstanden zu haben und ist in der Lage, gemeinsam mit den Fahrern auf allen Strecken ein passendes Set-up zu finden; ein steiler Auswärtstrend ist unverkennbar. Immer häufiger lässt das Joest-Team das in der erfolgreichen Rennhistorie des Teams unter Beweis gestellte Potenzial auch in der DTM aufblitzen.

Und so sollte es nicht überraschen, wenn der aufmerksame DTM-Beobachter beim Saisonstart 2006 in Hockenheim vergeblich nach Unterschieden zwischen den Abt- und Joest-Audis suchen sollte…