Rene Rast wird sich noch sehr gut an sein Renndebüt in der DTM erinnern können. 2016 beim Wochenende in Zandvoort kam der Audi-Pilot unverhofft zu seiner Premiere, nachdem sich Adrien Tambay am Samstag verletzt hatte. Am späten Samstagabend klingelte bei Rast das Telefon, als er gerade den Geburtstag seiner Freundin feierte. Von Audi-Sportchef Dieter Gass erhielt er allerdings ein Angebot, dass er nicht ablehnen konnte. Um 03:00 Uhr morgens kam Rast nach einer Nachtfahrt in Zandvoort an - wenige Stunden später saß er schon als Tambay-Ersatz im DTM-Auto.

Wäre es beim Lauf in den Niederlanden dumm gelaufen, wäre Audi nach Tambays Ausfall mit nur sieben Autos an den Start gegangen. Ein Szenario, das eigentlich nicht vorkommen darf in solch einer professionellen Umgebung. Doch die Ingolstädter haben ein Problem: Sie haben keinen Ersatzfahrer.

Gass sagt: Kein Geld

Ein Umstand, der auch dem Chef selbst nicht schmeckt. Warum Audi auf einen Ersatzmann verzichtet, der im Notfall - verlässlich - einspringen könnte, erklärt Dieter Gass: "Kein Geld. Wir leisten uns im Moment noch keinen Ersatzfahrer. So einfach ist das. Wenn ich Ersatzfahrer hier hinbringe (zu den Rennwochenenden;d.Red.), muss ich ihn auch zahlen. Das Geld habe ich im Moment nicht so richtig. Wenn ich auch zugeben muss, dass mir das nicht gefällt."

Verständlich: Bei zwei Rennen pro Wochenende kann es durchaus vorkommen, dass sich ein Fahrer bei einer Kollision verletzt. Beim Saisonauftakt in Hockenheim hätte es sogar beinahe Rene Rast erwischt. Am Sonntag nach dem Rennen wurde er mit einer Halskrause im Fahrerlager gesichtet, nachdem er sich beim unsanften Überfahren eines Kerbs leicht verletzt hatte. So ging die Angelegenheit glimpflich aus. Was aber, wenn sich der Zwischenfall im Samstagsrennen ereignet hätte?

Rene Rast mit einem Unfall am Hockenheimring (00:53 Min.)

Was würde in Moskau passieren?

"Wir hätten alles daran gesetzt, einen sechsten Fahrer zu bringen", sagte Gass zwar. Aber: Was wäre, wenn sich ein solches Szenario etwa in Moskau ereignen würde, wo ein Fahrer aus dem Audi-Werkskader nicht mal eben rekrutiert werden kann?

Gass zum fehlenden Ersatzmann in den Audi-Reihen: "Bei dem Rennformat, das wir momentan haben, kann es auch bei einem kleinen Unfall mal passieren, dass ein Rennfahrer am Sonntag vielleicht nicht mehr fahren kann. Das haben wir in Zandvoort gesehen. Da hatten wir noch ein bisschen Glück, dass wir Rene überhaupt an die Strecke bekommen haben."

Marquardt über Audi: Sammelbox oder Crowdfunding?

Gass meinte, sich die aktuelle Ersatzfahrer-Konstellation vielleicht noch einmal anschauen zu wollen - offenbar benötigt er dazu aber das entsprechende Budget. Bei BMW-Motorsportdirektor Jens Marquardt stießen Gass' Aussagen derweil auf Verwunderung. "Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass es daran scheitert", sagte er und fügte mit einem Augenzwinkern an: "Da muss der Herr Gass vielleicht vor der Audi-Hospitality mal so eine Box hinstellen oder Crowdfunding machen."

Sicherlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Audi-Fahrer verletzt und kein Ersatzmann kurzfristig herbeigerufen werden könnte, relativ gering. Laut DTM-Reglement müssen die Hersteller vor einem Rennwochenende keinen Ersatzfahrer benennen, er könnte spontan einspringen. Doch Zandvoort hat gezeigt, dass es unter Umständen sehr eng werden kann. Und wenn ein Auto weniger an den Start gehen würde, müssten die laufenden Kosten am Wochenende trotzdem bezahlt werden.

Bei 2 Rennen pro Wochenende steigt die Verletzungs-Gefahr, Foto: Audi
Bei 2 Rennen pro Wochenende steigt die Verletzungs-Gefahr, Foto: Audi

Sonst wird es aufwendig

BMW-Chef Marquardt dazu: "Wir schauen schon, dass wir immer auf so eine Situation vorbereitet sind. Das ist wie mit einer Versicherung. Das gebe ich gern aus, auch, wenn ich hoffe, dass wir die nie in Anspruch nehmen müssen. Aber wenn der Fall kommen sollte, dann ist sie da. Ich helfe mir nicht, wenn ich sage: Ach, das kommt alles nicht. Denn wenn was passiert, wird es aufwendig."

So wie im Fall Rast in Zandvoort, wo die Ausnahmesituation ein gutes Ende nahm. Zumindest müsste sich Audi um die Qualität eines möglichen Ersatzfahrers keine Sorgen machen, der Kader ist gespickt mit talentierten, auch jungen Piloten. Fahrer wie Christopher Mies, Robin Frijns oder Kelvin van der Linde und selbst arrivierte Piloten wie Markus Winkelhock oder Rahel Frey stünden parat - sie müssten allerdings verlässlich verfügbar sein an den DTM-Wochenenden. Und genau das ist der Knackpunkt.

Audi-Power: Um einen adäquaten Ersatzmann müsste sich Audi keine Sorgen machen, Foto: Audi
Audi-Power: Um einen adäquaten Ersatzmann müsste sich Audi keine Sorgen machen, Foto: Audi

Optionen bei BMW

BMW hat zwar keinen offiziellen DTM-Ersatzfahrer in der Öffentlichkeit kommuniziert, könnte bei Bedarf aber immer auf einen Fahrer zurückgreifen. "Wir haben schon ein paar Optionen, wenn da was passieren sollte", versicherte Marquardt. Zuletzt beim Motorsport-Festival am Lausitzring wäre vermutlich Ricky Collard oder ADAC GT Masters-Teamkollege Philipp Eng eingesprungen. Auch Jens Klingmann bietet sich als Option an, wenn es keine Überschneidungen mit der IMSA-Serie in den USA gibt.

Und dann ist da noch Joel Eriksson, der 2016 bereits Taxifahrten mit dem BMW M4 DTM absolviert hat. Der Schwede und aktuelle Meisterschaftsführende der Formel-3-EM gilt ohnehin als Mann der Zukunft, sofern er sich für den Sprung in den GT-Sport entscheidet.

Marquardt: "Was für ein Riesen-Potenzial Joel hat, hat er schon bewiesen. Wenn er Formelsport weiter probieren möchte, werden wir ihn nicht davon abhalten, sondern genauso unterstützen. Wenn er in die GT-Richtung geht, dann schauen wir, wo wir ihn entsprechend einsetzen können." Der junge Schwede würde bei einem DTM-Angebot garantiert nicht absagen, allein schon aus finanziellen Gründen.

Joel Eriksson (Mitte) kann sich Chancen auf ein DTM-Cockpit ausrechnen, Foto: FIA F3
Joel Eriksson (Mitte) kann sich Chancen auf ein DTM-Cockpit ausrechnen, Foto: FIA F3

Mercedes doppelt bestückt

Während Audi komplett auf einen fixen Ersatzfahrer verzichtet, leistet sich Mercedes gleich zwei Piloten. Nachwuchstalent Maximilian Günther wurde zum Saisonbeginn zum Test- und Ersatzfahrer befördert und steuerte in Hockenheim schon das Renntaxi der Stuttgarter. Da sich der 19-Jährige dieses Jahr aber vor allem auf die Meisterschaft in der Formel 3 Europameisterschaft konzentrieren soll, hat Mercedes vor einigen Wochen Daniel Juncadella zurückgeholt, der von 2013 bis 2016 für den Hersteller in der DTM startete.

"Wir haben in den vergangenen DTM-Saisons gesehen, wie wichtig es ist, auf einen erfahrenen und schnellen Ersatzfahrer zurückgreifen zu können, sollte einer der Einsatzpiloten krank oder verhindert sein", sagte Mercedes-Chef Fritz. "Mit unseren beiden Ersatzfahrern Max und Daniel sind wir in dieser Hinsicht bestens aufgestellt. Da einige DTM-Rennwochenenden gleichzeitig mit der Formel-3-Europameisterschaft ausgetragen werden, soll sich Maximilian an diesen voll auf seine Rennen in der Formel 3 konzentrieren können."

Max Günther gelang zuletzt ein Doppelsieg beim F3-Wochenende in Pau, Foto: FIA F3
Max Günther gelang zuletzt ein Doppelsieg beim F3-Wochenende in Pau, Foto: FIA F3