Der Artikel wurde in der 77. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 18. März 2021 veröffentlicht.

Männer auf der Rennstrecke. Männer in der Box. Männer am Kommandostand. Der Motorradrennsport trieft regelrecht vor Testosteron. Härte, Mut und Tapferkeit sind Werte, die hier über Sieg oder Niederlage entscheiden. Werte, die man traditionell der männlichen Seite unserer Gesellschaft zuschreibt. Völlig unabhängig davon, ob das tatsächlich in allen Lebenslagen der Wahrheit entspricht. Ein Weltbild, welches immer dort verstärkt auftritt, wo Männer unter sich sind. Das weibliche Geschlecht kommt im Motorradsport dementsprechend selten über den Status des schmucken Beiwerks hinaus. Das ist ein Fakt.

Auf dem Bike kämpfen Ausnahmekönnerinnen wie Ana Carrasco gegen eine Übermacht an Männern, in den Boxengassen der Motorrad-WM sind Persönlichkeiten wie Forward-Racing-Teammanagerin Milena Körner erfreuliche Ausnahmen. Davon abgesehen: Flaute. Wieso aber ist dieser Sport in einer Zeit, in der Frauen Staaten regieren oder Konzerne leiten, eine scheinbar immer noch uneinnehmbare Festung? Wieso stehen in den drei Weltmeisterschaftsklassen MotoGP, Moto2 und Moto3 80 Männer aus 19 Ländern auf sechs Kontinenten im Alter von 16 bis 42 Jahren in der Startaufstellung, aber keine einzige Dame? Eine Frage, auf die seit einigen Wochen wieder besonders fieberhaft eine Antwort gesucht wird.

Der Auslöser dafür: Am 24. Januar dieses Jahres postet die Australierin Sharni Pinfold auf ihren Social-Media-Kanälen ein Statement, in dem sie ihren Rücktritt vom aktiven Rennsport bekanntgibt. Im Alter von nur 25 Jahren. Eigentlich hätte sie 2021 in der Supersport-300-Klasse der IDM für das Team RT Motorsports by SKM auf einer Kawasaki an den Start gehen sollen. Der Deal wurde bereits Anfang Januar offiziell gemacht. Auf dieses Engagement hat sie aber keine Lust mehr. Wiederholte Fälle von Sexismus hätten sie durch ihre noch vergleichsweise kurze Karriere begleitet, schreibt Pinfold, die bereits im Jugendalter alleine den Sprung ins weit entfernte Europa wagte, um sich ihren Traum vom professionellen Motorsport zu erfüllen. Nun sei es genug. Die Vorwürfe der jungen Australierin sorgen für Aufsehen in der Motorradwelt.

Die 'Umbrella-Girls' sind in der MotoGP allgegenwärtig, Foto: Tobias Linke
Die 'Umbrella-Girls' sind in der MotoGP allgegenwärtig, Foto: Tobias Linke

Dass es im Jahr 2021 immer noch zu derartigen Vorfällen kommt, hat eine Mischung aus Wut, Unverständnis und Fassungslosigkeit zur Folge. Der Motorradweltverband FIM reagiert gut zwei Wochen nach dem Posting mit einer offiziellen Stellungnahme mittels Presseaussendung, in der man Pinfold volle Unterstützung zusichert und klarstellt, dass für Sexismus im Zweiradsport kein Platz ist. "Die FIM beobachtet die Situation rund um das Statement von Sharni Pinfold, welches für große Emotionen in der Motorrad-Community gesorgt hat, genau.

Gleichberechtigung ist ein zentraler Wert für die FIM, die ständig um das Wohlbefinden der Fahrer und Teilhaber bemüht ist. Die FIM ist enttäuscht, diese Neuigkeiten zu erfahren und nimmt das Statement von Frau Pinfold sehr ernst. Die FIM und der Australische Motorradverband stehen in engem Kontakt, um die genauen Details zu erörtern, die Sharni derart entmutigt haben. Sie kann auf die uneingeschränkte Unterstützung der FIM zählen", war da zu lesen. Die Botschaft von Gleichberechtigung in ihrem Sport will die FIM bereits seit Jahren vermitteln. 2006 installierte man die 'Commission for Women in Motorcycling', kurz CFM, die sich um derartige Anliegen kümmern soll. Seither werden jährliche Frauenkonferenzen abgehalten und man bemüht sich, interessierten Damen den Einstieg in die Szene zu ermöglichen. Motorsport-Magazin.com bat Nita Korhonen, Gründungsmitglied und Vorsitzende der CFM, zum Gespräch über die Rolle von Frauen in der Zweiradwelt:

MSM: Nita, du bist selbst Motorradrennen gefahren und arbeitest seit fast zwei Jahrzehnten unter anderem als Journalistin und PR-Verantwortliche in unserem Sport. Musstest du in dieser Zeit jemals Sexismus am eigenen Leib erleben?

NITA KORHONEN: Nein, das ist mir glücklicherweise immer erspart geblieben und so sollte es ja natürlich auch sein. Das kann aber an meinem familiären Hintergrund liegen und der Tatsache, dass meine Eltern schon lange in diesem Sport involviert waren [Nitas Vater Pentti war 1975 Gesamtdritter der 350ccm-Weltmeisterschaft, ihre Mutter Marja-Leena kümmerte sich um sein Management, d. Red.]. Wenn ich von außen in diese Szene gekommen wäre, hätte es vielleicht ganz anders ausgesehen. Generell glaube ich aber, dass Fälle von Sexismus in unserem Sport sehr selten sind. Es gibt lediglich ein paar Idioten, die es noch immer nicht verstanden haben, dass Frauen auch im Motorradsport dazugehören. Dagegen müssen wir ankämpfen und sicherstellen, dass es so etwas in Zukunft nicht mehr gibt. Es gibt leider immer noch viel zu tun, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Frauen sind jetzt schon ein viel größerer und normaler Teil unserer Branche.

Deine Agenda hat durch den Skandal rund um Sharni Pinfold eine Menge Aufmerksamkeit erhalten. Ihr Statement war relativ vage formuliert und sie hat keine konkreten Vorwürfe geäußert. Du befindest dich seither in engem Kontakt mit ihr. Kannst du uns etwas mehr über ihre Beweggründe verraten?

Die Informationen, die sie mir weitergegeben hat, sind vertraulich. Was ich aber sagen kann, ist, dass es sich nicht um einen einzelnen, sondern eine Fülle an Vorfällen gehandelt hat, die sie zu dieser Entscheidung bewegt haben. Irgendwann war es einfach zu viel für sie. Es ist leider manchmal so, dass Männer Dinge sagen, die sie für einen harmlosen Witz halten. Wenn man die betroffene Person nicht kennt, weiß man aber nicht, wie sie darauf reagiert. Noch einmal: Ich glaube, dass die Situation im Motorradsport grundsätzlich gut ist und Frauen willkommen sind. Es finden sich aber eben diese schwarzen Schafe und denen gelingt es leider immer wieder, die Karrieren von Menschen zu zerstören. Ich hoffe, dass Sharni und alle anderen Leute, die so etwas erlebt haben, daraus stärker hervorgehen und beweisen, dass ihre Träume wahrwerden können.

Ana Carrasco feierte ihren WM-Titel unter dem Slogan 'Ride Like a Girl', Foto: LAT Images
Ana Carrasco feierte ihren WM-Titel unter dem Slogan 'Ride Like a Girl', Foto: LAT Images

Wie kann man die Akzeptanz gegenüber Frauen in unserem Umfeld weiter verbessern?

Ich sage immer: "Wir brauchen Frauen nicht nur wegen ihrer Brüste." Es geht in jedem Umfeld darum, talentierte Leute zu finden, egal welches Geschlecht sie haben - auch im Motorradsport. Ich glaube, dass wir uns von dieser Feminismusschiene entfernen und den Leuten stattdessen die Vorteile von Diversität vermitteln müssen. Im Endeffekt ist es nämlich für jedes Unternehmen oder jede Organisation nützlich, Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund oder unterschiedlicher Herkunft zu haben. Wenn wir unsere Fahrer oder Fans ansehen, dann ist das schließlich auch in mehrerlei Hinsicht eine extrem vielfältige Gruppe. Da können doch die führenden Köpfe in unserem Sport nicht alle gleich sein. Wir stehen diesbezüglich auch in ständigem Austausch mit den Promotern wie Dorna und arbeiten eng mit ihnen zusammen. Auch sie haben ein Interesse daran, Frauen für unseren Sport zu begeistern.

Du sagst, dass Frauen im Motorradsport grundsätzlich sehr positiv aufgenommen werden. Dennoch ist die Szene immer noch eine extreme Männerdomäne. Woran liegt das? Fehlt es einfach am Interesse von Seiten der Frauen?

Abseits von den angesprochenen Einzelfällen liegt es tatsächlich weniger an den Männern als an den Frauen selbst. Vielen von ihnen ist nicht klar, wie cool diese Motorradwelt sein kann. Das beginnt schon im Kindheitsalter. Wenn Mädchen zu Barbies erzogen werden, dann werden sie sich wahrscheinlich auch nur für Puppen, Kleidung und Make-Up interessieren. Ich sage nicht, dass Eltern ihre Töchter jetzt zum Motorradsport oder ihre Söhne zum Ballett drängen sollen. Auf keinen Fall! Sie sollten ihnen aber schon die Möglichkeit geben, die Hobbies zu wählen, die ihnen am besten gefallen. So können sie später ihrer wirklichen Leidenschaft folgen.

Gibt es auch zu wenig weibliche Vorbilder in unserem Sport?

Mit Sicherheit - noch. Ich glaube, dass sich das aufgrund von Fahrerinnen wie Ana Carrasco [Supersport-300-Weltmeisterin 2018] oder Laia Sanz [Gesamtneunte bei der Dakar Rally 2015] bald ändern wird. Junge Mädchen sehen ihre Erfolge und denken: "Wow, das könnte eines Tages auch ich sein!" Was wir seit 2006 mit unserer 'Commission for Women in Motorcycling' geschafft haben, ist eine Menge, aber was Ana in dieser einen Saison gelungen ist, war noch viel wertvoller. Wenn eine Frau so eine Meisterschaft gewinnt, dann sorgt das natürlich weltweit für Schlagzeilen. Diese Aufmerksamkeit ist genau das, was wir brauchen. Natürlich gibt es aber auch Berufe im Motorradsport, die weniger sichtbar sind als der der Rennfahrerin. Da liegt es an uns, den Kindern zu vermitteln, dass sie viele Rollen einnehmen können - beispielsweise als Mechanikerin oder Ingenieurin.

Maria Herrera galt als große Zukunftshoffnung. In der MotoE konnte sie bislang aber kaum überzeugen., Foto: Angel Nieto Team
Maria Herrera galt als große Zukunftshoffnung. In der MotoE konnte sie bislang aber kaum überzeugen., Foto: Angel Nieto Team

Gerade in diesen Positionen scheint es im Automobilsport schon viel mehr Frauen zu geben als im Motorradbereich. Warum ist das so?

Darauf haben wir leider keine klare Antwort. Solche Dinge sind aber oft historisch bedingt. Da gibt es eine Initialzündung und dann entwickelt sich das immer weiter. Im Automobilsport etwa gab es in der Vergangenheit tolle Athletinnen wie Michelle Mouton [die Französin gewann im Audi Quattro vier WM-Rallyes und wurde 1982 Vizeweltmeisterin hinter Walter Röhrl, d. Red.]. Die hatten wir auch im Motorradsport, etwa mit Taru Rinne, aber auf vier Rädern sind Frauen wohl schon länger sichtbar.

Wenn man an Frauen im Motorradsport denkt haben viele Menschen wohl zuallererst leichtbekleidete Grid Girls im Kopf. In der Formel 1 gibt es diese seit einigen Jahren nicht mehr. Hältst du es für eine gute Idee, dass wir sie in der MotoGP weiterhin sehen?

Das ist eine ganz schwierige Frage. Ich möchte eines klarstellen: Sexismus und Diskriminierung, wie sie etwa Sharni erfahren musste, haben in unserem Sport nichts verloren. Grid Girls sind aber ein anderes Thema. Sie bilden seit langer Zeit einen Teil dieser Szene und die Frauen wollen diesen Job ja auch machen, außerdem ermöglichen sie den Sponsoren gute Sichtbarkeit. Ich sehe die Sache relativ neutral und kann beide Seiten verstehen. Wir müssen aber den Leuten da draußen auf jeden Fall klar vermitteln, dass das nicht die einzige Rolle von Frauen im Motorradsport ist. Sollte es jemals ein Verbot von Grid Girls geben, dann wird das von der FIM generell und nicht aus unserer Kommission kommen. Auch wenn das Thema extrem polarisiert: Es ist nicht unsere Aufgabe, darüber zu entscheiden.

Was ist eure Aufgabe?

In speziellen Fällen wie dem von Sharni Pinfold unterstützen wir natürlich einzelne Personen. Hier wollen wir schon zeigen, dass das der FIM ein Anliegen ist. Ansonsten agieren wir aber eher im Hintergrund: Wir arbeiten zusammen mit den nationalen Verbänden daran, mehr Frauen den Einstieg in den Motorradsport zu ermöglichen. Das beginnt bei den Freiwilligen und reicht hoch bis zu den Verbandsspitzen. Dann versuchen wir natürlich, möglichst gute Frauenmeisterschaften zu haben oder sicherzustellen, dass gemischte Meisterschaften auch für Frauen zugänglich sind.

Kannst du erklären, wieso es beispielsweise im Motocross eine eigene Frauen-WM gibt, im Rundstreckenrennsport aber nicht?

Im Offroad-Bereich - egal ob Motocross, Enduro oder Trial - ist das unserer Meinung nach unumgänglich. Hier ist es tendenziell besser, relativ groß und stark zu sein. Da wäre es nicht fair, wenn Mädels gegen Jungs fahren müssen. Dafür sind die körperbaulichen Unterschiede zu groß. Auf der Rundstrecke sieht es etwas anders aus. Hier sind ja auch viele der Männer eher klein und leicht, auch wenn du natürlich gleichzeitig sehr stark und fit sein musst.

Laia Sanz ist seit Jahren eine feste Größe der Rallye Dakar. 2021 startete sie als GasGas-Werkspilotin., Foto: Red Bull
Laia Sanz ist seit Jahren eine feste Größe der Rallye Dakar. 2021 startete sie als GasGas-Werkspilotin., Foto: Red Bull

Es wird also auch in Zukunft keine Frauen-MotoGP geben?

Wir wollen Serien wie die Superbike-WM oder die MotoGP für Frauen offenhalten. Eigene Serien machen beim Rundstreckensport eher im Nachwuchsbereich Sinn, um Mädchen zu zeigen, dass sie das Zeug für diesen Sport haben und gut genug sind, um in die offenen Klassen zu wechseln. Wir haben hier mit dem "Women's European Cup" auch bereits so eine Serie.

Ehrliche Antwort: Werden wir je eine MotoGP-Weltmeisterin sehen?

Warum nicht? Wenn wir daran denken, was Laia oder Ana erreicht haben - das hätte vor einigen Jahren niemand für möglich gehalten. Natürlich ist es in der MotoGP noch einmal schwieriger, weil uns aktuell einfach noch die Masse an talentierten Frauen fehlt. Nur über die Masse kannst du Champions finden. Aber: Sag niemals nie. Alles ist möglich.

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