Mr. Le Mans. Das ist der höchst passende Spitzname von Rekordsieger Tom Kristensen. Der 54-Jährige gewann mit Audi insgesamt neun Mal den französischen Ausdauer-Klassiker. In einer Pressekonferenz vor der 90. Ausgabe der 24Stunden von Le Mans schwelgte der Däne in Erinnerungen seiner außergewöhnlichen Prototypen-Karriere über drei Jahrzehnte. Außerdem sprach Kristensen über die Antriebstechnologien der Zukunft.

"Ich habe diese Liebe-, Angst-, Hass-Beziehung mit Le Mans. Es ist ein fantastisches Event, das dir alles abverlangt. Es ist eine Liebesaffäre mit einer Menge Respekt", beschrieb Kristensen seine besondere Verbindung mit dem 24-Stunden-Klassiker.

Die Karriere zum Rennfahrer wurde Kristensen in die Wiege gelegt. Schon sein Vater, Carl Erik Kristensen, bestritt erfolgreich Rallycross-Rennen. Der Traum von Le Mans setzte sich bei dem Dänen aus Hobro während eines Kartrennens 1990 fest. An den Moment, als Landsmann John Nielsen in Le Mans über die Ziellinie fuhr, kann sich der Däne bis heute erinnern: "Wir haben extra das Rennen angehalten, um zu sehen, wie er über die Ziellinie fährt."

Kristensen absolvierte alle nötigen Nachwuchsstationen erfolgreich und gewann 1991 die deutsche Formel 3 Meisterschaft. Sechs Jahre später, 1997, startete Kristensen dann zum ersten Mal bei den 24h Le Mans. Auf einem TWR-Porsche WSC-95 von Joest Racing gewann der spätere Rekordsieger zusammen mit Michele Alboreto und Stefan Johannsson sein Debüt-Rennen.

Kristensens letzter Lauf 2014 im Audi R18 e-tron quattro., Foto: Sutton
Kristensens letzter Lauf 2014 im Audi R18 e-tron quattro., Foto: Sutton

Inovations-Schmiede Le Mans: Von der Servolenkung zum Hybrid-Antrieb

Seit Kristensens erstem Start hat sich der Stand der Technik in Le Mans stetig weiterentwickelt. Zu seinem 25-jährigen Jubiläum erinnerte sich der Neunfach-Sieger an einige technische Revolutionen, die es dank Le Mans in die Serienproduktion geschafft haben: "Die Vergangenheit hat gezeigt, Dinge wie: Bremsscheiben, Scheibenwischer, Anschnallgurte und vieles mehr wurden von einem Ingenieur, der in Le Mans war, erfunden."

Vom ersten bis zum 18. und letzten Start 2014 hat der Däne selbst einige Meilensteine miterlebt: "Die Lichter der Autos waren nicht sonderlich gut, als ich erstmals gestartet bin. […] Aber die Lichter, welche die Autos heute haben, sind um Meilen besser. Mit Audi hatte ich die Laser-Lichter, das war ein massiver Schritt." Doch nicht nur die Autos haben sich verbessert: "Auch die Strecke hat sich verbessert: Flutlichter, neuer Asphalt und eine breitere Fahrbahn. Da stellt sich mir die Frage, ob das sein muss, vielleicht nicht. Ich mag es, wenn eine Strecke eine Geschichte und Charisma hat."

Neben den sicherheitsrelevanten Teilen wie Licht und Bremsen haben sich natürlich auch die Rundenzeiten um einiges verbessert. In den Jahren 1998 und 1999 war Kristensen noch - das werden einige Fans schon vergessen haben - mit schreienden BMW-V12-Boliden mit H-Schaltung und ohne Servolenkung unterwegs. Später wurden sequentielle Getriebe und kleinere Motoren eingesetzt.

Audi war lange Zeit Vorreiter, was die Innovation der Rennwagen anging. Technische Finessen wie Schaltwippen oder das Kupplungspedal am Lenkrad, um die Rundenzeiten weiter zu verbessern, lieferten in Le Mans erstmals die Ingolstädter. "Vom großen V12-Sauger bei BMW zum V8-Biturbo bei Audi, später sogar ein V6-Diesel mit nur einem Turbolader, aber zusätzlich mit Hybrid-Antrieb. Darum geht es in Le Mans: Vier Kategorien mit verscheiden Antriebskonzepten, welche es auf die Straße schaffen sollen. Am Ende des Tages geht es darum, mit was die Fans nach Hause fahren und was die ganze Welt fährt. Das hängt alles mit der Entwicklungsarbeit in Le Mans zusammen", so Kristensen.

Audi Sport Team Joest 2002. Wie wird die Zukunft aussehen?, Foto: LAT Images
Audi Sport Team Joest 2002. Wie wird die Zukunft aussehen?, Foto: LAT Images

24h Le Mans: Zukunft elektrisch?

Die Entwicklung neuer Antriebstechnologien wird in der Automobilindustrie viele Jahre im Voraus geplant. Der langjährige Audi-Werksfahrer gab einen Ausblick auf die Zukunft in Le Mans: "In Zukunft wird es eine Kombination aus Hybrid-Autos, welche ich selbst gefahren bin, und Wasserstoff. Allein bei den Hybrid-Autos konnten wir in meiner Ära die Effizienz um 50 Prozent erhöhen. Neben Elektro und Wasserstoff wird aber auch an anderen Dingen gearbeitet. Le Mans ist der Ort, an dem das passiert und der Ort, an dem jeder Durchbruch passieren wird. Wenn etwas Le Mans erobern kann, kann es überall hin."

Eine mögliche Elektrifizierung des 24h-Klassikers sieht der Däne sehr entspannt. Wo sich andere über fehlenden Motorensound beschweren, sieht Kristensen die Vorteile der neuen Technologien und verweist auf ähnliche Sorgen der Vergangenheit: "Elektroautos produzieren ein Geräusch und man könnte auch ein völlig anderes hinein programmieren. Schon als wir auf die Diesel-Autos umgestiegen sind, gab es einen Aufschrei, dass es keinen Sound mehr gäbe. Aber auch da gab es noch Sound, auch wenn es kein schreiender V10 war. Selbst die Königsklasse des Motorsports, die Formel 1, ist leiser als die Formel 2 oder der Porsche Cup. Es geht nicht nur um den Sound, sondern auch um die Geschwindigkeit und die Rundenzeiten."

Tom Kristensens Zukunft: Adrenalin auch neben der Strecke

Obwohl der Rekordsieger die letzten acht Starts ausließ, bleibt er Le Mans 2022 nicht fern. Kristensen wird am Wochenende als TV-Experte für Eurosport an den Start gehen. "Es ist sehr cool und das gibt mir einen Adrenalin-Kick, es ist harte Arbeit. Du musst stets korrekte Aussagen treffen und dabei fair zu Teams und Fahrern sein, die immer das beste geben", sagte der Däne zu seinem neuen Job.

2023 wird Kristensen außerdem eine besondere Ehre zuteil. Zum 100-jährigen Jubiläum der 24h von Le Mans wird der erfolgreichste Fahrer der Geschichte als Botschafter die verschiedenen Motorsport-Events der Welt besuchen. Dort präsentiert Kristensen eine spezielle von 'Monnaie de Paris' entworfene Jubiläums-Trophäe.