Oliver Bearmans Saudi-Arabien-GP endete mit einem Ergebnis, von dem ein jeder 18-jähriger Nachwuchsfahrer nur träumen kann. Mit nur einem Training Vorbereitung schaffte er es im Qualifying fast in Q3, und holte im Rennen mit Platz sieben auf Anhieb Punkte. Ein besseres Bewerbungsschreiben für die Formel 1 kann es nicht geben. Doch selbst das muss nicht reichen.

Auf dem ersten Blick scheint es logisch, dass Bearman in Saudi-Arabien sein Ticket für ein 2025er-Cockpit gelöst hat. Schon davor galt er innerhalb der Ferrari Driver Academy schließlich als aktuell vielversprechendster Kandidat. In vier Jahren Formelsport holte er bereits zwei regionale F4-Titel, wurde Dritter in der Formel 3 und als 17-Jähriger in die Formel 2 befördert.

Im Vorjahr bekam er erste Formel-1-Tests mit Haas und Ferrari. Es folgten die ersten 2025er-Theorien: Dass Bearman mit einer anständigen zweiten Formel-2-Saison schon einen Haas-Sitz erobern würde. Unterstützt wurde das durch den starken Eindruck, den Bearman im Vorjahr bei seinen Trainings-Gastspielen bei den Amerikanern hinterließ.

Bearman bereits ein fertiges Formel-1-Produkt?

"Er hat nicht nur den Speed, sondern ist das komplette Paket", erklärt Haas-Teamchef Ayao Komatsu. Ein Beispiel: "In einer Session, zwischen Push-Runden und Cooldown-Runden, kann er die Information der vorherigen Runde verarbeiten und sich für die nächste Runde minimal anpassen. Das zeigt sofort die Reife. Als ob er es seit Jahren machen würde."

Bearman auf seinen ersten Runden in Saudi-Arabien, Foto: LAT Images
Bearman auf seinen ersten Runden in Saudi-Arabien, Foto: LAT Images

Diese Reife stellte Bearman bei seinem Renn-Debüt erneut unter Beweis. "Dass er so ein kurzes Wochenende ohne Fehler beendet, ist für mich unrealistisch", ist Ferrari-Teamchef Fred Vasseur beeindruckt. Bearmans schlimmster Fehltritt war ein kleiner Rutscher in Q2 auf dem zweiten Reifensatz, der ihm ein Top-10-Ergebnis verhagelte.

Ferrari-Tür zu & Haas-Tür noch nicht offen

Nachdem sich jetzt der Staub gelegt hat, hilft das alles Bearman erst einmal nichts. Bei Ferrari ist natürlich kein Platz. 2025 starten die eben erst unterzeichneten mehrjährigen Verträge von Charles Leclerc und Lewis Hamilton. Bearman als Hamilton-Nachfolger ins Spiel zu bringen ist noch viel zu früh für Vasseur.

Natürlich wäre es dann ideal, Bearman beim Kundenteam Haas zu parken, um Erfahrung zu sammeln. Als Teil von Ferraris Nachwuchs-Mannschaft ist es auch die einzige Option. Neben Haas verbleibt inzwischen nur Williams als unabhängiges Privatteam am Ende des Feldes. Dort ist man Mercedes-Kunde, also praktisch raus aus der Verlosung. Sauber fährt nur mehr ein Jahr mit Ferrari-Motoren und wird dann zu Audi. Einen Ferrari-Junior aufzunehmen ist fast ausgeschlossen.

Bleibt nur Haas. Dort ziert man sich. "Er verdient seine Chance nächstes Jahr", meint Teamchef Komatsu zwar, doch sieht er am Samstagabend in Jeddah aktuell keinen Grund, zuzugreifen. Denn Nico Hülkenberg war zum ersten Punkt gefahren, nachdem Kevin Magnussen zehn Runden lang die Konkurrenz für ihn aufgehalten hatte.

"Das ist eine sehr unfaire Frage heute", meint Komatsu nach dieser starken Teamleistung. "Gut, Kevin bekam Strafen, aber er war fantastisch. Und Nico hat heute auch abgeliefert." Bei aller Liebe ist Bearman so nicht von Interesse: "Basierend auf den heutigen Leistungen müssen es Nico und Kevin sein, oder?"

Wer will 2024 das Haas-Cockpit?

Nun gibt es jedoch weitere Faktoren zu beachten. Aktuell hat Haas für 2025 keinen Fahrer unter Vertrag. Zumindest bei Nico Hülkenberg ist überhaupt nicht sicher, ob er für das Team im nächsten Jahr noch verfügbar sein wird. Der 36-Jährige nähert sich dem Ende seiner Formel-1-Karriere, untermauerte mit seinem Comeback seine Qualitäten - und würde sich wohl gerne einmal noch an einem Team versuchen, dass mehr Potenzial hat als Haas, das kleinste im Feld.

Hülkenberg wird seit Monaten als Option für Audi, sprich Sauber, gehandelt. Geht er, wäre die Tür für Bearman bei Haas wirklich offen. Und natürlich gilt es auch Magnussens Leistung zu beobachten. Er wurde im Vorjahr zwar von Haas verlängert, aber der damalige Teamchef Günther Steiner sprach danach vor allem von Alternativlosigkeit. Die Leistung des Dänen war verglichen mit Hülkenberg mager.

Muss Bearman 2024 noch mehr liefern?

Das alles geht davon aus, dass Bearmans F1-Würdigkeit nach Saudi-Arabien nicht mehr zur Diskussion steht. "Er hat ein Event gefahren", bremst Fred Vasseur. Ein langes Jahr Formel 2 steht für Bearman jetzt an: "Wir helfen ihm am besten, indem wir heute keine Schlussfolgerungen treffen. Wir müssen es langsam angehen."

Vasseur will erst einmal sehen, wie sich Bearmans Formel-2-Saison weiter entwickelt. Die war nach einer Nullnummer in Bahrain mit einer Pole in Jeddah endlich angelaufen. Dann holte ihn das Formel-1-Team. Nach vier Rennen liegt Bearman daher noch immer mit null Punkten auf dem letzten Platz.

Außerdem stehen Freie Trainings für Bearman auf dem Programm. Sechs für Haas sind bereits fixiert, auch für Ferrari soll er dieses Jahr im Cockpit sitzen. "Wir wissen alle, dass wir in sechs Monaten nicht mehr von Jeddah sprechen werden, wir werden von Brasilien oder Mexiko sprechen, wenn er abliefert", meint Vasseur.