Zwergenaufstand in der Formel 1! Oder besser gesagt Bullenaufstand. Denn als Zwerg lässt sich Red Bull Racing in Monaco beim besten Willen nicht bezeichnen. Im Gegenteil: Riesig ist die Performance des Teams, speziell Daniel Ricciardos, in Monte Carlo. Im Qualifying machte der Australier seine erste F1-Pole überhaupt klar, während es für Red Bull Startplatz eins immerhin seit dem Brasilien GP 2013 nicht mehr gegeben hatte.

Schon in den Freien Trainings am Donnerstag sah Ricciardos Rennstall in Monaco extrem stark aus. Bei den Longruns mischte Red Bull fast auf Augenhöhe mit Mercedes mit. Doch ist das in Monte Carlo nicht der entscheidende Faktor. "Die Renn-Pace wird besser aussehen, aber das ist nicht wirklich relevant", sagt selbst Nico Rosberg. Im Klartext: Im Fürstentum gilt die Pole Position nicht als halbe, eher als ganze Miete für den Sieg.

Entsprechend sind für diesen Favoriten-Check ganz andere Maßstäbe heranzuziehen als üblich. Doch das ist in diesem Jahr nicht die Pole allein. Motorsport-Magazin.com beleuchtet die drei wesentlichen Faktoren - und wie stark sie diesmal nicht für Mercedes, sondern für Red Bull und Daniel Ricciardo sprechen.

Red Bulls Monaco-Siegfaktor 1: Pole Position & Track Position

Allen voran bleibt die Pole Position nach wie vor das Nonplusultra der Siegfaktoren in Monaco. Durch den engen Leitplanken-Dschungel sind Überholmanöver extrem schwierig. Oft reicht es dem Führenden, schlicht in der Mitte des Kurses zu fahren, um eine Attacke des Verfolgers unmöglich zu machen. "Sie müssen einfach ihr Auto so breit wie möglich machen und uns hinter sich halten", sagt Lewis Hamilton. "Dann wird es ein sehr leichtes Rennen für sie."

Nicht umsonst hatte sich Mercedes also nach den starken Zeiten Red Bulls am Donnerstag über den zusätzlichen freien Tag am Freitag gefreut, um die doch ziemlich große Lücke durch genaues Datenstudium zu schließen. Denn bei solch einem Rückstand würde der übliche Mercedes-Trick im Qualifying nicht reichen, warnte Nico Rosberg. "Wir können noch immer den Motor aufdrehen, aber es sind nicht sechs Zehntel, die wir dadurch rausholen können", sagte der WM-Spitzenreiter. "Sie sind eine sehr große Bedrohung", bestätigte Lewis Hamilton.

Mercedes muss damit rechnen, den Red Bull 78 Runden nur von hinten zu sehen, Foto: Sutton
Mercedes muss damit rechnen, den Red Bull 78 Runden nur von hinten zu sehen, Foto: Sutton

Der Weltmeister sollte recht behalten. Im Qualifying war Red Bull noch immer eine Nummer zu groß, legte gegenüber dem Donnerstag mehr nach als Mercedes. Bei den Silberpfeilen versagte beim verzweifelten Aufdrehen des Motors sogar der Benzindruck. "Wir haben im FP3, Q1 und Q2 noch nicht alles gezeigt", sagte Motorsportberater Helmut Marko schelmisch. Dank einer fantastischen Runde, die ihm beinahe den Streckenrekord gebracht hätte, lag Ricciardo am Ende eineinhalb Zehntel vor dem ersten Silberpfeil. Da muss selbst Mercedes-Teamchef Toto Wolff anerkennen: "Er war heute der Schnellste, der Red Bull das beste Auto, also verdienen sie die Pole."

Von dieser Pole sind es in Monaco 111 Meter bis zur ersten Kurve. "Es ist nur ein kurzer Weg bis Turn eins ...", sagt Hamilton. Das Risiko für Ricciardo, auf dieser kurzen Distanz geschnappt zu werden, hält sich also in engen Grenzen. Dennoch bleibt der Start für Mercedes die mit Abstand größte - und fast schon einzige - Hoffnung. "Ricciardo ist hier auf Sieg eingestellt - vorausgesetzt, er kommt am Start gut weg", sagt Niki Lauda. Rosberg gibt sich kämpferisch: "Der Start wird wichtig, vielleicht kann ich ihn überholen. Der Weg zu Kurve eins ist sehr kurz, aber ich werde es probieren."

Ricciardo selbst weiß genau um seinen Vorteil, ist vollgepumpt mit Selbstvertrauen. "Nach Barcelona habe ich das Gefühl gehabt, gut gefahren zu sein, aber nicht die optimale Belohnung bekommen zu haben. Aber jetzt bin ich in der Position, zurückzuschlagen!" bejubelt der 'Honeybadger' die wichtigste Pole des Jahres.

Weil Ricciardo im Q2 seine Bestzeit mit dem Supersoft setzte darf er als einiger Top-Pilot auf der härteren Mischung starten, Foto: Sutton
Weil Ricciardo im Q2 seine Bestzeit mit dem Supersoft setzte darf er als einiger Top-Pilot auf der härteren Mischung starten, Foto: Sutton

Red Bulls Monaco-Siegfaktor 2: Reifenwahl & Strategie

Die Pole ist also Vorteil eins für Ricciardo im Duell mit Mercedes. Doch sogleich folgt der zweite. "Was ich noch viel toller finde, ist, dass wir die schnellste Zeit in Q2 mit dem härteren Reifen gefahren sind", deutet Helmut Marko vielsagend an. Genau diese Leistung erlaubt es Ricciardo, als einziger Pilot der Spitzengruppe am Start nicht den Ultrasoft, sondern den Supersoft aufzuziehen. Das eröffnet Red Bull jede Menge Chancen.

"Es gibt uns strategische Möglichkeiten, weil wir uns in Ruhe anschauen können, was die anderen machen", sagt Marko. Er wundere sich doch sehr, dass es niemand sonst versucht habe. "Wir sind da viel flexibler, was mögliche Safety Cars und die Einteilung der Boxenstopps angeht", schildert der Motorsportberater. "Jetzt haben wir einige Optionen mehr im Rennen. Morgen werden wir sehen, ob es funktioniert", sagt auch Ricciardo. Angemessen ist eine solche Strategie in Monaco jedenfalls absolut: In den vergangenen fünf Jahren betrug die Wahrscheinlichkeit für ein Safety Car 100 Prozent.

Der Konkurrenz jedenfalls ist die Gefahr bewusst. "Ich mache mir Sorgen, dass Ricciardo im Rennen die besten Karten hat. Im ersten Stint hat er den etwas härteren Reifen als alle anderen, weil er damit seine beste Zeit im Q2 gefahren ist. Das bringt ihm einen Vorteil und daher bin ich beunruhigt", hadert Niki Lauda. Toto Wolff versucht den Nachteil kleinzureden. "Ich weiß nicht, ob es die bessere Strategie ist, sie waren die Einzigen. Also ist es entweder ultraclever oder nicht", sagt der Mercedes-Teamchef.

Lewis Hamilton unterdessen erachtet den Vorteil als gering. "Ich denke nicht, dass es einen großen Unterschied macht. Es ist noch immer ein Stopp. Der einzige Unterschied ist, dass sie vielleicht länger fahren können als wir", sagt Hamilton. Genau das könnte sich jedoch wegen der von Marko ins Feld geführten größeren Flexibilität durchaus als Vorteil erweisen. Übertreiben sollte es Red Bull jedoch nicht.

"Er kann länger fahren, aber wenn wir reinkommen und schnellere Zeiten mit den frischen Reifen fahren, bringt es ihm ja nichts und er muss auch reinkommen", erklärt Rosberg. Allerdings würde Mercedes in diesem Szenario auf den Supersoft wechseln - die gleiche Mischung wie Ricciardo fährt. Fraglich, ob der Gummi am Reifen schonenden Red Bull auf dem Reifen schonenden Kurs in Monaco bis dahin überhaupt schon nennenswert abbaut. Falls nicht, würde auch die letzte Chance' Mercedes verpuffen.

Angst machen muss den Silberpfeilen hier ein Statement Helmut Markos. "Ricciardo ist mehrere tolle Runden gefahren, vor allem mit dem härteren Reifen, das war die eigentliche Sensation", so Red Bulls Motorsportberater. Der Supersoft scheint am Red Bull also tatsächlich nicht gerade anfällig für schnellen Verschleiß. Das bestätigt auch Ricciardo: "Ich denke nicht, dass der Unterschied allzu groß ist, was reine Performance angeht, aber der Reifen sollte länger leben." Toto Wolff hält dagegen: "Der Ultrasoft war im Longrun sehr robust." So schnell sollte Mercedes also auch wieder nicht stoppen müssen.

Und etwas völlig antizyklisches wie zwei Stopps? Völlig ausgeschlossen. Da sind sich alle einig.

Reifennachteil für Ricciardo am Start?

Bleibt aus Ricciardo-Sicht das Restrisiko der härteren Mischung am Start, Stichwort Traktion. "Ich glaube nicht, dass es ihr Plan war, mit Supersoft loszufahren. Er hat mich beim Start in China überholt, weil er einen weicheren Reifen als ich hatte, vielleicht ist es diesmal umgekehrt", hofft Rosberg. "Aber vielleicht vertue ich mich auch ..."

Genau das scheint der Fall zu sein. Zum Einen wegen des schon genannten Mini-Sprints zu Kurve eins, zum Anderen, weil sonst so gut wie niemand einen großen Unterschied zwischen den Mischungen erwartet. "Ich denke nicht, dass die Reifen beim Start sehr unterschiedlich sein werden", sagt Wolff. "Ehrlich gesagt denke ich, dass es identisch ist. Vom Soft ist es manchmal ein großer Schritt. Aber hier ist es enger zusammen. Ich denke nicht, dass es ein Vorteil ist", bestätigt Hamilton. Bleibt unter dem Strich also auch hier: Vorteil Red Bull.

Über der Côte d'Azur braucht sich etwas zusammen, Foto: Sutton
Über der Côte d'Azur braucht sich etwas zusammen, Foto: Sutton

Red Bulls Monaco Siegfaktor 3: Wetter

Das vielleicht größte Rätsel gibt uns jedoch das Wetter auf. Schon am Samstagabend zogen Wolken über der Côte d'Azur auf, für den Rennstart rechnen die Meteorologen mit einer Regenwahrscheinlichkeit von satten 70 Prozent. "Das kann einen Unterschied machen", sagt Toto Wolff. Normalerweise sollte dieser Unsicherheitsfaktor eher dem Polesitter eine schlaflose Nacht bereiten und die Verfolger hoffen lassen. Allerdings funktioniert der Red Bull bei Regen traditionell brillant. Schon im Vorjahr war der Rennstall bei solchen Bedingungen beim US GP eine Klasse für sich.

Auch hier geht die Tendenz also Richtung Ricciardo. Macht in der Summe fast schon einen Top-Favoriten. Und das mit zwei Mercedes im Nacken. Und was ist überhaupt mit Ferrari? Die sind mit Sebastian Vettel auf P4 und Kimi Räikkönen wegen einer Getriebestrafe auf P11 im Grunde schon ganz raus aus dem Kreis der Siegkandidaten - zumal das gesamte Wochenende weit weniger reibungslos und konstant verlief als bei Red Bull und Mercedes.