2014 war die LMP2-Klasse mit meist nur vier Startern ein Nebenkriegsschauplatz. Dieses Jahr hingegen könnte die kleine Prototypenklasse der großen sportlich die Show stehlen. Zehn Fahrzeuge, sechs Teams (Oak und G-Drive Racing zusammengenommen, sonst sieben), fünf verschiedene Fabrikate, drei Motoren, zwei Reifenhersteller - diese Zahlen machen mittlerweile dem veranstaltenden ACO Sorge, schließlich sollte eigentlich die LMP1 die große Show liefern. Die Notbremse ist schon gezogen. So mischt sich in das große Fest auch etwas Wehmut, denn 2017 wird es mit dieser Vielfalt vorbei sein, wenn das neue Reglement kommt.

Bevor das eintritt, dürfen sich Fans, die mit den Hightech-Hybriden aus der LMP1 nichts anfangen können, auf einen spannenden Kampf in der P2-Kategorie freuen. Das Lineup ist das stärkste der WEC-Geschichte. Dass die amtierenden Meister SMP Racing nicht mehr mit von der Partie sind, fällt kaum ins Auge. Eine ganze Reihe von Teams kämpft hier 2015 um den Titel - nicht wenige davon mit LMP1-Ambitionen. Eingesessene Teams treffen auf ELMS-Aufsteiger und USCC-Umsteiger. Eine Mischung, die Spaß verspricht. Dass es sich eigentlich um eine Klasse handelt, die sich an Amateure richtet, ist angesichts einiger Fahrerpaarungen kaum zu glauben. Auch das ist ein Grund, warum der ACO 2017 die Klasse massiv beschneidet.

Den im Vorjahr knapp verpassten Titel muss G-Drive Racing unter erschwerten Bedingungen nachholen, Foto: Adrenal Media
Den im Vorjahr knapp verpassten Titel muss G-Drive Racing unter erschwerten Bedingungen nachholen, Foto: Adrenal Media

Die Eingesessenen: Offene Rechnung bei G-Drive

Die Favoritenrolle wird 2015 G-Drive Racing zufallen. Roman Rusinov, Julien Canal und Olivier Pla scheiterten 2014 nur wegen des Punktesystems und eines Bremsdefekts bei Saisonfinale am P2-Titel. Zwar ist Pla zu Nissan abgewandert, doch mit Sam Bird hat das von Oak Racing betreute Team einen adäquaten Ersatz gefunden. Im zweiten Fahrzeug wird USCC-Rekrut Gustavo Yacaman die Pace vorgeben, ihm stehen Luis Felipe "Pipo" Derani und der LMP2-Champion von 2013, Ricardo Gonzales, zur Seite.

Die größte Konkurrenz wird der russisch-französischen Seilschaft aus Hong Kong drohen. KCMG hat sich mittlerweile fest etabliert und ist sogar Erstkunde des Oreca 05. Das neue Coupe hat bei den Testfahrten einen bärenstarken Eindruck hinterlassen. Matt Howson und Richard Bradley genießen inzwischen einen guten Ruf und werden mit Nick Tandy einen Vollprofi an die Seite gesetzt bekommen. Aber Tandy fährt doch in Spa und Le Mans für Porsche? Kein Problem, dann kommt halt Nicolas Lapierre. Professionalität ohne Grenzen. Und Paul Ip setzt auf Expansion: Die KC Motorsport Group hat gerade erst einen zweiten Oreca 05 bestellt.

Altes Eisen: Den HPD ARX-03b wird ESM nach Lage der Dinge nur in Silverstone einsetzen, Foto: Adrenal Media
Altes Eisen: Den HPD ARX-03b wird ESM nach Lage der Dinge nur in Silverstone einsetzen, Foto: Adrenal Media

Umstieg und Verspätung

Mit viel Spannung waren Extreme Speed Motorsports und das neue HPD-Coupe erwartet worden, doch der Plan ging in die Hose: Der ARX-04b hat sich in Daytona als lahme Ente entpuppt und HPD hat die Notbremse gezogen. In Silverstone wird ESM nun mit dem bewährten ARX-03b antreten, befürchtet aber Performanceeinbußen. Ab Spa sollen neue Ligiers das Problem lösen. Inwiefern diese suboptimale Saisonvorbereitung die Performance von Scott Sharp, Ryan Dalziel (sprich: "Di-El") und David Heinemeier Hansson beeinflussen wird, muss die Saison zeigen. Vom reinen Speed her sind sie allemal in der Lage, ganz vorn mitzufahren. Auch die Teamkollegen Ed Brown, Johannes van Overbeek und Jon Fogarty müssen sich mit der Notlösung anfreunden. Der 04er soll nun erst 2016 debütieren.

Mit solchen Verzögerungen kennt sich Strakka Racing aus. Der Dome S103 hat beim Prolog mit einjähriger Verspätung endlich debütiert. Nick Leventis, Jonny Kane und Danny Watts schüttelten den Rost erfolgreich ab und können das erste Rennen mit dem neuen Fahrzeug kaum abwarten. In der LMP2 sind sie so etwas wie das unbeschriebene Blatt - wozu der Dome in der Lage ist, muss sich erst noch zeigen. Beim Test konnte er gut mithalten.

Signatech Alpine beeindruckte beim Prolog mit der drittbesten Zeit, Foto: Speedpictures
Signatech Alpine beeindruckte beim Prolog mit der drittbesten Zeit, Foto: Speedpictures

Aufsteiger mit großen Ambitionen

Zwei Teams wagten über den Winter den Aufstieg aus der ELMS: Signatech Alpine bringt mit einem in Alpine A450B umgebrandeten Oreca 03R ein erfahrenes Team an den Start: Nelson Panciatici, Paul-Loup Chatin und Vincent Capillaire - nie gehört? Vermutlich werden sie sich den Fans schnell einen Namen machen. Panciatici verhalf Signatech Alpine 2013 zum ELMS-Titel, Chatin gewann mit diesem Team 2014 ein ELMS-Rennen, Capillaire tat es ihm gleich - allerdings in Diensten von Sebastien Loeb Racing. Alle drei Fahrer verfügen über viel LMP2-Erfahrung und zeigten bereits beim Prolog mit einer 1:47er-Zeit, dass mit ihnen zu rechnen sein wird.

Mit mindestens genauso großen Ambitionen steigt Morand Racing aus der ELMS auf. Benoit Morand hat Großes vor, hier soll die LMP2 bloß eine Zwischenstation sein - in den nächsten Jahren soll es direkt in die LMP1 gehen. Zu diesem Zweck spannt er mit einem ukrainischen Großunternehmen und mit dem japanischen Team und Entwickler Sigma Advanced Racing Development (SARD) zusammen. Zuvor gilt es aber noch etwas zu erledigen: In einer teameigenen Reality-Show wird aus 24 Kandidaten ein dritter Fahrer für Le Mans ausgewählt.

Dabei sein ist alles: Oak Racing schickt eine Rentnertruppe ins Rennen, Foto: Adrenal Media
Dabei sein ist alles: Oak Racing schickt eine Rentnertruppe ins Rennen, Foto: Adrenal Media

Mit Christian Klien, Koki Saga und Zoel Amberg teilt sich eine ausgewogene Mischung aus Erfahrung und jugendlichem Draufgängertum den ersten Morgan Evo. Mit Pierre Ragues und Oliver Webb sitzen im zweiten Fahrzeug zwei ehemalige Signatech-Piloten, die gegen ihr früheres Team fahren werden. Bei den restlichen Läufen abseits von Le Mans wird Ex-IndyCar-Pilot Tristan Vautier mit am Lenkrad drehen, der Platin-Ranking besitzt. Das Feld wird komplettiert von der wohl einzigen Truppe, die den eigentlichen vom ACO vorgesehen LMP2-Geist lebt: Jacques Nicolet, Jean-Marc Merlin und Erik Maris werden wohl nicht für Siege in Frage kommen, aber sicher viel Spaß haben.

Wie in der GTE Am hängt das Ergebnis in der LMP2 vor allem davon ab, wie gut sich die Amateurfahrer schlagen. Sie geben den Ausschlag über Sieg und Niederlage. Auch die Taktik spielt eine Rolle: Den Amateurfahrer früh einsetzen und auf ein späteres Safety Car hoffen? Oder den Amateur erst spät ins Cockpit setzen, wenn sich das Feld auseinandergezogen und gelichtet hat? Die spannendste Saison in der LMP2 steht unmittelbar bevor, doch der Beigeschmack, dass mit dieser Vielfalt in zwei Jahren Schluss sein wird, wird immer im Hintergrund präsent sein.