Der Artikel wurde in der 79. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 01. Juli 2021 veröffentlicht.

Der 30. Mai 2021 wird der MotoGP-Familie für immer in Erinnerung bleiben. An diesem tragischen Tag verlor der 19-jährige Schweizer Jason Dupasquier nicht einmal 24 Stunden nach einem folgenschweren Sturz im Qualifying der Moto3 zum Grand Prix von Italien sein Leben. Dieser Tag wird auf alle Zeit mit dem Gedenken an die Nachwuchshoffnung aus der Schweiz verbunden bleiben, so wie es der 20. April mit Daijiro Kato ist, der 5. September mit Shoya Tomizawa, der 23. Oktober mit Marco Simoncelli oder der 3. Juni mit Luis Salom. All diese Leben auf der Rennstrecke endeten viel zu früh, im Fall von Jason Dupasquier allerdings noch bevor die Karriere in der Weltmeisterschaft so richtig Fahrt aufnehmen konnte. "Jason war die Zukunft des Schweizer Töffsports", erklärt Marco Felder, MotoGP-Kommentator im Schweizer Fernsehen (SRF), im Gespräch mit dem Motorsport-Magazin. "Die Schweiz war zuletzt nicht gerade gesegnet mit Talenten und aufgrund des Rundstreckenverbots gibt es auch keine ausreichenden Trainingsmöglichkeiten. Daher gibt es bei uns nur noch ganz selten Talente wie Jason, die den Sprung in die Weltmeisterschaft schaffen." Tatsächlich war Dupasquier bei seinem WM-Einstieg der erste Debütant aus der Schweiz seit Robin Mulhauser bei dessen ersten Rennen im Jahr 2013, bei dem Jason selbst gerade einmal zwölf Jahre alt war. "Er war ein sehr bodenständiger und freundlicher Mensch", erinnert sich Felder zurück. "Gemeinsam mit seiner Familie ist er seine Karriere sehr strukturiert angegangen und hat nie etwas überstürzt. Er konnte sich immer die Zeit nehmen, die er brauchte."

Der Motorradsport wurde dem kleinen Jason bereits in die Wiege gelegt. Vater Philippe holte in der Schweiz mehrere nationale Meistertitel im Motocross sowie im Supermoto und versuchte sich einst sogar in der Motocross-Weltmeisterschaft. Im Alter von sechs Jahren saß Jason selbst zum ersten Mal auf seinem eigenen MX-Motorrad. Im folgenden Jahrzehnt feierte er seine ersten Erfolge mit Gesamtsiegen in den Schweizer Nachwuchsklassen. 2015 folgte im Alter von 14 Jahren der Umstieg in den Straßenrennsport, wo er aufgrund des Rundstreckenverbots in der Schweiz wie die meisten Landsleute nach Deutschland ging. 2016 feierte er dort im Northern Europe Cup des ADAC seinen ersten großen Triumph. "Mein Traum ist es, eines Tages in der MotoGP zu fahren", sagte Dupasquier am 3. Oktober 2016 unmittelbar nach dem Titelgewinn. Im darauffolgenden Jahr wechselte er in die Moto3-Junioren-WM nach Spanien, wo er gegen Fahrer wie die VR46-Academy-Rider Dennis Foggia und Celestino Vietti oder die spanische Armada rund um Jaume Masia antrat. Im ersten Jahr war er dort chancenlos, punktete nur in zwei Rennen und schloss die Gesamtwertung als 30. ab. Gegen Ende des Jahres überzeugte er allerdings bei der Sichtung zum Red Bull Rookies Cup, in dem er 2018 seine erste Saison bestreiten sollte. Doch eine Woche vor Saisonstart brach er sich bei einem Rennen zur Junioren-WM in Valencia den Oberschenkel und konnte nicht am Rookies Cup teilnehmen. Es war der erste herbe Dämpfer der jungen Karriere. Erst gegen Ende des Jahres war er wieder einsatzfähig, bekam aber für 2019 seine zweite Chance, die er nutzte. Obwohl Dupasquier kein Podestplatz vergönnt war, so konnte er durch Konstanz überzeugen. Mit nur einer Ausnahme landete er in jedem Rennen in den Top-10 und schloss das Jahr als Achter der Gesamtwertung ab. Das war genug, um Florian Prüstel von der Verpflichtung für die Moto3-Saison 2020 zu überzeugen. Ein Deal, der von zwei der großen Player im Schweizer Motorradsport eingefädelt wurde. Denn Moto2-Ass Tom Lüthi und sein langjähriger Manager und früherer Teamchef Daniel Epp hatten sich der Belange von Jason Dupasquier angenommen und sorgten für die notwendigen Impulse für den WM-Einstieg.

Die Schweiz verlor ihr größtes Motorrad-Talent, Foto: LAT Images
Die Schweiz verlor ihr größtes Motorrad-Talent, Foto: LAT Images

Florian Prüstel erinnert sich im Gespräch mit dem Motorsport-Magazin zurück: "Über Intact GP habe ich im August 2019 Tom und Daniel kennengelernt, die zu diesem Zeitpunkt jemand Neuen aus der Schweiz für die Weltmeisterschaft aufbauen wollten. Das war Jason, den ich - um ganz ehrlich zu sein - bis zu unserem damaligen Gespräch nicht auf meiner Rechnung hatte. In Spielberg hatten wir wenige Tage später einen Test, den eigentlich unser damaliger Fahrer Filip Salac bestreiten sollte. Da sich dieser wenige Tage zuvor aber verletzt hatte, sah ich sofort eine Gelegenheit für Jason und meinte zu Tom: Setzen wir ihn doch sofort auf das Bike und bestreiten diesen Test gemeinsam, dann können wir seine Leistung direkt vergleichen. Ich kann mich noch ganz genau an diesen Tag erinnern, denn Jason musste sich damals eine viel zu große Lederkombi von Jakub Kornfeil leihen, da er seine aus dem Rookies Cup nicht außerhalb deren Events verwenden durfte. Nach dem ersten Tag habe ich mich mit Jasons Vater und Tom unterhalten. Wir haben damals beschlossen, dass das ein interessantes Projekt werden könnte." Sportlich war Jason Dupasquier damals zwar noch ein Stück von voller Konkurrenzfähigkeit auf WM-Niveau entfernt, doch seine ruhige Art und vor allem die Unterstützung durch das erfahrene Duo Lüthi/Epp verhalfen schließlich zu einem Engagement durch Prüstel GP. Am 16. September, rund einen Monat nach dem Test in Spielberg, wurde der Deal offiziell verkündet und die Schweiz hatte nach langen Jahren des Wartens endlich wieder einen neuen Fahrer in die Weltmeisterschaft gebracht. Tom Lüthi trat damals zwar nicht öffentlich als der große Macher hinter Dupasquiers WM-Einstieg auf, doch im Hintergrund lief längst eine intensive Kooperation, wie Marco Felder erklärt: "Tom hat mit dieser Zusammenarbeit begonnen, während Daniel Epp im Hintergrund unterstützend tätig war. Zwischen Tom und Jason ist rasch eine gute Beziehung, eine kleine Freundschaft entstanden - trotz des großen Altersunterschiedes von 15 Jahren. Sie haben oft zusammen trainiert und Jason hat stets zu Tom aufgeschaut." Am 8. März 2020 bestreiten die beiden Kumpel ihren ersten gemeinsamen Grand Prix - den Saisonauftakt in Katar. Während Lüthi dort den 10. Platz im Moto2-Rennen holt, geht Dupasquier bei seinem WM-Debüt in der Moto3 leer aus. Als 25. verpasst er die Punkteränge um satte 24 Sekunden, schlägt aber immerhin seinen Teamkollegen Dirk Geiger.

In der Moto3 fasste Dupasquier im Vorjahr Fuß, Foto: LAT Images
In der Moto3 fasste Dupasquier im Vorjahr Fuß, Foto: LAT Images

Doch dann nimmt die Corona-Pandemie ihren Lauf und nach nur einem Start muss der WM-Rookie in den Standby-Modus wechseln, während Teamchef Prüstel seinen kleinen Rennstall irgendwie über die Runden bringen muss. Monatelang ist nicht klar, ob und wann es mit der Motorrad-Weltmeisterschaft im Jahr 2020 überhaupt weitergehen kann. Erst im Juli startet die Saison so richtig durch und bringt für alle Beteiligten ein Mammutprogramm mit 14 Rennen binnen 20 Wochen unter Extrembedingungen. Das Prüstel-Team treffen diese Umstände mit voller Wucht: Als Team mit Sitz in Sachsen mit Fahrern aus Belgien und der Schweiz ist es aufgrund wöchentlich wechselnder Reisebestimmungen und des prall gefüllten Rennkalenders nicht möglich, die für Rookies so wichtigen Testfahrten zu organisieren. Jason Dupasquier und sein Teamkollege Barry Baltus werden wie ihr Team von den Folgen der Corona-Pandemie vollkommen aufgerieben. Am Ende der erlabenden Saison stehen alle Beteiligten mit null Punkten da. "Wir hatten vor allem in Barry Baltus große Hoffnungen gesteckt und damit spekuliert, dass er Jason womöglich mitziehen könnte. Leider ist davon aber nichts eingetreten. Daher gab es am Ende der Saison eine klare Aussprache mit der Familie Dupasquier und Überlegungen, ob ein zweites Jahr in der WM überhaupt Sinn macht und Jason sich noch entsprechend entwickeln kann", gesteht Florian Prüstel. Nach der schweren Verletzung des Jahres 2018 stand die Karriere des jungen Schweizers somit zum zweiten Mal an einer entscheidenden Weggabelung. Doch auch diesmal sollte er seine zweite Chance erhalten. "Irgendwann sind wir mit Jason, seinem Vater und unserem Cheftechniker zusammengesessen und haben gesagt: Es muss sich etwas tun, du musst im Winter extrem hart arbeiten, damit du im kommenden Jahr deine Chance nutzen kannst. Das hat er sich zu Herzen genommen und in der Pause zwischen den beiden Saisons härter trainiert als je zuvor." Die Beziehung zwischen den Dupasquiers und dem sächsischen Rennstall entwickelte sich trotz der sportlichen Krise aber exzellent. Die Kritik wird gut aufgenommen, beide Seiten bringen Verständnis füreinander auf. In der Weihnachtszeit gibt es sogar ein gemeinsames Raclette-Essen in der Schweiz. "Mit dieser starken Familie, die immer hinter ihm stand, und seiner eigenen positiven Ausstrahlung hat Jason einfach perfekt zu unserem Team gepasst. Er hat immer gute Stimmung in die Box gebracht, auch wenn es einmal nicht so lief", erinnert sich Prüstel zurück.

Die Karriere von Jason Dupasquier hob eben erst ab, Foto: LAT Images
Die Karriere von Jason Dupasquier hob eben erst ab, Foto: LAT Images

Nach den Feiertagen zog die Familie Dupasquier sogar für mehrere Monate in die Nähe von Barcelona, um dort dem mitteleuropäischen Winter zu entfliehen und ideale Trainingsbedingungen vorzufinden. Zudem trennte sich Jason von seinem Riding Coach, um nicht neben seinem Crewchief noch eine weitere Stimme zu haben, die unter dem Helm des Rookies womöglich mehr Verwirrung stiftet als Nutzen. Eine Entscheidung, die bei Prüstel GP zwar kritisch beäugt, aber akzeptiert wurde. Die harte Arbeit sollte sich lohnen: Bereits beim Saisonauftakt 2021 in Katar fährt Jason Dupasquier als Zehnter zum ersten Mal in die Punkteränge. Aus einem Rückstand von 26 Sekunden beim Debüt im Vorjahr werden plötzlich nur noch 2,2 Sekunden Abstand auf die Siegerzeit. Und es geht in dieser Tonart weiter: Platz 11 beim zweiten Lauf in Katar, Rang 12 in Portimao. In Jerez folgt schließlich das Highlight: Als Siebenter liegt Jason über die vollen 22 Runden in der Spitzengruppe, kommt nur 1,043 Sekunden hinter Sieger Pedro Acosta ins Ziel und schrammt an seinem ersten Podestplatz nur um eine halbe Sekunde vorbei. Die Freude im Team und in der Familie sind riesig, der Knoten war endgültig geplatzt. "Die Trennung von seinem Riding Coach im Winter hat ihn regelrecht befreit und er konnte sich endlich voll und ganz auf seinen Cheftechniker konzentrieren. Er konnte endlich einfach frei fahren", analysiert Florian Prüstel. "Jason war ein relativ ruhiges Gemüt, bei dem man ab und zu das Gefühl hatte, ihn als Team pushen zu müssen. In diesem Alter entwickeln sich die Fahrer aber erst, daher geht das schon in Ordnung. Er hat mit uns alles mitgemacht und hat verstanden, was es benötigt, um sich in dieser WM seinen festen Platz zu erkämpfen. In der Box war das Arbeiten mit ihm stets schön und er hat immer positive Stimmung verbreitet." Den Schweizer Fans wurde die Nummer #50 durch die steigenden Leistungen allmählich ein Begriff. "Man wusste bereits, dass es dieses vielversprechende Talent gibt, aber aufgrund der guten Leistungen hätten wir im SRF wohl bald damit angefangen, auch die Moto3-Rennen wieder live zu zeigen", ist sich Kommentator Felder sicher. Dem starken Rennen in Jerez folgt ein weiteres Punkteergebnis in Le Mans. 27 Punkte aus fünf Rennen, dank konstanter Ergebnisse Zehnter in der Gesamtwertung der Moto3. Jason war sportlich klar im Aufwind, doch sein 21. Grand-Prix-Wochenende sollte er in Mugello nicht überleben. Am 30. Mai 2021 informierten die MotoGP-Offiziellen um 12:06 Uhr über das Ableben des 19-jährigen Schweizers.

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