Das Fahrerlager des Circuito de Jerez platzt an einem MotoGP-Rennwochenende aus allen Nähten. Denn zu den rund 3000 Menschen, die im Paddock arbeiten, gesellen sich Unmengen an Gästen, die von den Teams der drei Klassen eingeladen wurden. Für viele von ihnen ist das Geschehen auf der Strecke eher zweitrangig, sehen und gesehen werden steht im Vordergrund. Manch anderer nutzt hingegen die Chance, einmal ganz nah an einem Rennstall dran zu sein, um sich einen Traum zu erfüllen.

Einer von ihnen ist Horst Graef: 46 Jahre alt, wohnhaft in Reutlingen, Sportversicherer im eigenen Unternehmen 'Sportvers' und seit 18 Jahren Motorrad-Instruktor bei 'Speer Racing'. Graef war 2016 in Jerez über einen gemeinsamen Bekannten erstmals beim SIC Racing Team von Johan Stigefelt zu Gast. Ein Jahr und einige Grands Prix später wurde Graef vom Besucher zu einem Teil des Rennstalls.

Teamchef Stigefelt bat Graef, im Wissen um dessen Talent und Erfahrung als Motorradpilot, sich in FP1 des diesjährigen Spanien-GPs auf die Service Road zu begeben und seine Fahrer Ayumu Sasaki und Adam Norrodin zu beobachten und ihm dann einen kleinen Report abzuliefern. "Da hab ich ihn etwas getestet", gesteht Stigefelt, der selbst sieben Jahre in den Klassen bis 250ccm und 500ccm in der WM fuhr. Graef kehrte mit zwei vollgeschriebenen A4-Zetteln zurück ins Paddock. "Stiggy war erstaunt. So viel Feedback hatte er noch nie von einem Riding-Coach bekommen", erinnert sich Graef an seinen ersten Einsatz.

Die Aufzeichnungen deckten sich mit Beobachtungen Stigefelts und auch mit den Daten, die seine Ingenieure ihm lieferten. Nach ein paar weiteren Trainings an der Strecke kam der Teamchef schließlich auf Graef zu und bot ihm den Posten des Riding-Coachs an. Die Zusage ließ nicht lange auf sich warten. "Jetzt trinkt und isst er endlich nicht mehr nur auf meine Kosten, sondern tut auch mal was für mich", lacht Stigefelt.

Wie sieht der Job des neuen Riding-Coachs aber genau aus? "Ich versuche so viele Rennen zu besuchen, wie es die Arbeit in meiner eigenen Firma zulässt. Das werden etwa sechs GPs pro Saison sein. Viel mehr macht auch gar keinen Sinn, weil man etliche Dinge nicht sofort an einem Rennwochenende umsetzen kann. Gewisse Umstellungen machen den Fahrer zunächst nämlich eher langsamer", erklärt Graef. Er gibt dabei sein Feedback größtenteils an Stigefelt weiter, der es dann mit den Piloten bespricht.

Mit Sasaki und Norrodin setzt das SIC Racing Team auf eine junge Fahrerpaarung, Foto: Tobias Linke
Mit Sasaki und Norrodin setzt das SIC Racing Team auf eine junge Fahrerpaarung, Foto: Tobias Linke

Während einer Session beim Grand Prix von Aragon, die Graef zusammen mit Motorsport-Magazin.com auf der Service Road verfolgt, gibt er Einblicke in seine Beobachtungen: "Ich achte vor allem auf Dinge wie Fahrtechnik, Linienwahl oder Körperhaltung. Aber auch die Körpersprache und das Verhalten in einer Gruppe sind für mich und das Team interessant."

Die Tatsache, dass er selbst zwar guter Motorradfahrer ist, aber nie auf WM-Niveau unterwegs war, sieht Graef dabei nicht als Hindernis. "Wichtig ist, was man auf der Strecke sieht. Da hilft mir meine Erfahrung als Instruktor und auch als Ausbilder anderer Instruktoren sehr. Im Fußball ist es ja beispielsweise auch so, dass ein schlechter Spieler ein sehr guter Trainer oder umgekehrt ein hervorragender Spieler ein schlechter Trainer sein kann. Natürlich sind WM-Fahrer ein anderes Kaliber, aber so weit vom Mensch sein, sind sie auch nicht entfernt", lacht er.