Mit Spannung wurde sie erwartet, die neue Klasse Moto2, von Machern und Organisatoren vor der Saison kräftig beworben und als Zukunft der Motorradweltmeisterschaft erklärt. Tatsächlich sorgte sie mit 40 Fahrern für ein großes Starterfeld, für spannende Rennen, beinharte Gruppenkämpfe, spektakuläre Überholmanöver und die Chance für jeden einzelnen Fahrer, sich zu beweisen, egal ob aus der 250cc, Aufsteiger aus der 125cc oder Umsteiger aus der Supersport und nationalen Meisterschaften. Zudem zeigten plötzlich auch Hersteller Interesse an der Moto2, die man schon lange nicht mehr in einer Weltmeisterschaft gesehen hatte, was das Feld zum vielfältigsten machte, trotz des kleinen Cup-Beigeschmack aufgrund der Einheits-Honda Motoren. Für Verwirrung sorgten nur die unzähligen Teamnamen-Variationen, da fast jeder Fahrer mit einem eigenen Titelsponsor ausgestattet wurde und demnach nicht einmal die Lackierung der Motorräder gleich war und die recht häufigen Fahrerwechsel während der Saison.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Nicht wenige Fahrer schimpften über die harte Gangart auf der Strecke, über kopfloses Fahren, überholen mit der Brechstange oder über die Leistungsunterschiede zwischen den Fahrern. Wer gibt sich schon gern geschlagen und wenn es nur um Platz 20 geht, bei einem Starterfeld von 40? Kaum einer, denn irgendwie waren ja alle Rookies und jeder einzelne will sich beweisen. Einige Top-Fahrer aus der ehemaligen 250cc sahen das nicht gern. Widerstand ja, aber den Platz halten um jeden Preis? Der Grat zwischen Genie und Wahnsinn war in der Moto2 sehr schmal.

Die erste Euphorie

Es galt das Unbekannte zu entdecken - die Moto2 machte erste Schritte, Foto: Milagro
Es galt das Unbekannte zu entdecken - die Moto2 machte erste Schritte, Foto: Milagro

Doch zum Auftakt am 9. April 2010 kribbelte es erst einmal mächtig bei Fahrern, Teammanagern, Chassis-Herstellern und den Fans - das erste offizielle Training der Saison 2010 und so viele Fragen galt es zu beantworten. Wer würde gewinnen, welche Maschine ist auch auf einer unbekannten Strecke schnell, welche hält und welche fällt auseinander? Siegt Routine, oder Frechheit? Namen wie Toni Elias, Gabor Talmacsi, Andrea Iannone, Alex de Angelis, Niccolo Canepa oder auch Tom Lüthi wurden benannt - doch am Ende war es Shoya Tomizawa, der den historischen ersten Sieg in der Moto2 holte. Hand aufs Herz, mit dem jungen Japaner hatte nun wirklich niemand gerechnet. Der 19-Jährige konnte aber überzeugen, setzte sich nach wenigen Runden ab und blieb fehlerfrei vor Alex Debon und Jules Cluzel, die sich einen Kampf mit Toni Elias und Roberto Rolfo lieferten. Die Parameter für die kommenden Rennen wurden festgelegt: Favoriten können erst nach dem Training bestimmt werden, 40 Fahrer passen nicht gleichzeitig durch die erste Kurve und Moto2-Rennen sind brutal, sowie unberechenbar. Leider blieb es im Verlauf der Saison nicht nur bei Schrecksekunden.

Nach dem Auftakt in Katar, kam jedoch auch die Moto2 erst einmal ins Stocken - wir erinnern uns Eyjafjallajökull spie Asche und legte Europa lahm. Das Rennen von Japan wurde zum Bedauern der Fans verschoben, doch einige Fahrer begrüßten die zusätzliche Pause, um Verletzungen auszukurieren. Einer davon war Toni Elias, der sich bei einem Sturz während der Testfahrten die Hand und den Fuß lädiert hatte. Der Spanier hatte schon vor der Saison als ein Titelkandidat fest gestanden, doch beim Start reichte es nur für Rang vier. Ab dem Europa-Auftakt sollte sich das ändern, Elias holte den ersten von insgesamt sieben Siegen und fuhr bis auf die letzten zwei Rennen immer in die Punkte. Damit war er bei weitem der beständigste Fahrer, denn auch wenn Iannone, Lüthi und Julian Simon starke Phasen hatten, so leisteten sie sich zu viele Stürze, Ausfälle, beziehungsweise im Fall von Iannone, Strafen.

Riskante Startphasen gab es mehr als einmal, Foto: Milagro
Riskante Startphasen gab es mehr als einmal, Foto: Milagro

Die Chaotentruppe der WM

Shoya Tomizawa wurde in Jerez Zweiter und behielt damit seine WM-Führung, doch schon in Frankreich musste er, wie Stefan Bradl zum Saisonstart und viele andere im Verlauf der Saison, lernen mit einem unverschuldeten Ausfall umzugehen. Zu wild waren einige Fahrer unterwegs, keinesfalls immer die gleichen, das variierte von Strecke zu Strecke. Genau so wie die Tops und Flops - war ein Moto2-Fahrer an einem Wochenende souverän, musste das am kommenden schon längst nicht mehr so sein. Alles musste passen, die Fahrer auf jeder Strecke versuchen das beste mit ihrer Maschine anzustellen, wem das am schnellsten gelang, der konnte sich auf ein gutes Wochenende freuen. Das Paradebeispiel dafür - Andrea Iannone. Entweder der Italiener enteilte der Konkurrenz mit Meilenstiefeln bei seinen Siegen in Mugello, Assen sowie Aragon und überzeugte mit Top-Platzierungen, oder er kassierte eine Strafe aus Unachtsamkeit, fabrizierte Stürze und musste sich mit wenigen Punkten zufrieden geben.

Anderen Fahrern ging es ähnlich. Julian Simon drehte vor allem in der zweiten Saisonhälfte auf, machte in entscheidenden Momenten aber Fehler und konnte Elias nicht mehr abfangen. Das Ergebnis - ein vor und zurück sowie auf und ab. Vor allem das Ab erwies sich als eine ungewollte Konstante. In fast jeden Rennen gab es einen Sturz mit mehreren Fahrern, wurden die Ellenbogen ausgefahren und Lack ausgetauscht. Mal erwischte es die Spitzengruppe, mal das Mittelfeld, mal die Hinteren, oft krachte es mehrmals im Rennen, besonders beliebt hierbei, die ersten Runden. Manchmal gab es nur einen Schubser und selten, ganz selten, nur einen einzelnen Fahrer, den es abwarf. In den meisten Fällen gingen die gefährlich aussehenden Massenstürze gut aus und die Fahrer kamen mit Blessuren oder dem fast obligatorischen Schlüsselbeinbruch davon. Glück gehabt. Doch auch das Glück macht mal Pause.

Die schwärzeste Stunde

Trauer um Shoya Tomizawa., Foto: Milagro
Trauer um Shoya Tomizawa., Foto: Milagro

Es war der 5.9.2010 der dem Glück in der Moto2 beim elften Rennen der Saison in San Marino ein Ende bereiten sollte. Um 14:20 Uhr wurde offiziell bestätigt, dass Shoya Tomizawa seinen schweren Verletzungen erlegen war. Bis zu diesem Sonntag herrschte eine fröhliche und ausgelassene Stimmung im Fahrerlager und bei den Fans. Es war der erste Todesfall im Motorradgrandprix seit Daijiro Kato 2003 und erinnerte an die dunkle Seite des Motorsports – an die Tatsache, dass er gefährlich ist.

Das Rennen hatte bereits turbulent begonnen, mit kessen Überholmanövern und einem Frühstart für Andrea Iannone. Spannende Duelle wurden geboten bis zum Sturz von Shoya Tomizawa in der zwölften Runde. Der Japaner war in dem fast Vollgas genommenem Rechtsknick mit dem Hinterrad von der Strecke abgekommen und weggerutscht, schlitterte auf dem Asphalt entlang, die nachfolgenden Redding und de Angelis hatten nicht den Hauch einer Chance und überfuhren Tomizawa. Beide stürzten in der Folge ebenfalls, kamen aber mit leichteren Verletzungen davon. De Angelis wollte ausweichen, hatte bei der hohen Geschwindigkeit an dieser Stelle aber keine Chance.

Einen Rennabbruch gab es nicht, obwohl der Zustand des 19-Jährigen bereits auf der Strecke kritisch war und man von Kopfverletzungen ausgehen musste. Die Rennleitung und das Personal vor Ort entschied Tomizawa von der Strecke zum wartenden Krankenwagen zu tragen, entgegen der erste Hilfe Grundregel - nicht Bewegen, erst stabilisieren. Das man dabei auch die Trage mit dem Japaner fallen ließ, davon sprechen Verantwortliche nicht gern, aber der Vorfall ist ein Grund mehr einzugestehen, dass ein Rennabbruch angebrachter gewesen wäre, als Fernsehstationen und Fans an der Strecke den Vorrang zu geben. Eine bittere Lehrstunde, aus der hoffentlich für die Zukunft gelernt wird, so sich die Organisationen jemals offen mit den Geschehnissen auseinandersetzen. Fest steht, ein Rennunfall ist nach wie vor, trotz aller Sicherheitsmaßnahmen, eine unbekannte Größe.

Die MotoGP verlor an diesem Tag einen der beliebtesten und freundlichsten Menschen im Motorsport, die Familie von Shoya Tomizawa einen geliebten Sohn, Bruder und Neffen. Das Leben aber nimmt wenig Rücksicht, es geht weiter. Ein schwieriger Spagat im Fahrerlager, vor allem auch für das Technomag Team, die Fahrerkollegen, die Fans. Wo es ging zollten die Fahrer dem verlorenen Kollegen Tribut und Respekt und sorgten dafür, dass er in der schnelllebigen Zeit des Motorsports nicht vergessen wird. Allen voran, der spätere Moto2-Weltmeister Toni Elias, der vorschlug die Michel-Metraux-Trophy Shoya Tomizawa posthum zu verleihen. Ein Vorschlag der einstimmig angenommen wurde und auch nach seinem Titelgewinn beim Rennen in Malaysia erinnerte der Spanier an seinen Wegbegleiter.

Fazit

Stefan Bradl holte seinen ersten Moto2-Sieg, Foto: Milagro
Stefan Bradl holte seinen ersten Moto2-Sieg, Foto: Milagro

Toni Elias konnte am 10.10.2010 der erste Weltmeister in der Moto2 werden, obwohl es insgesamt neun verschiedene Sieger gab und die Spitzengruppe sich fast von Strecke zu Strecke bunt durchmischte. Die Beständigkeit des 27-Jährigen über die Saison hinweg war letztlich der Schlüssel zum Erfolg. Der erst Ex-MotoGP und jetzt wieder MotoGP-Fahrer, hatte seine Chance nutzen können. Genau wie Roberto Rolfo oder Stefan Bradl, die nach einer langen Durststrecke endlich wieder Siegen konnten, oder Wildcardfahrer wie Damian Cudlin auf dem Sachsenring, der Schotte Kev Coghlan, der auf sich für 2011 aufmerksam machen konnte, das Mini-Team von MZ Racing, dank des beherzten Einsatzes von Anthony West, oder Kenan Sofuoglu, der es schaffte dem Technomag Team ein klein wenig einen versöhnlichen Saisonabschluss zu bescheren, indem er den etablierten Fahrern der Moto2 um die Ohren fuhr. Nur die abbauenden Reifen bewirkten am Ende, dass der Supersport-Weltmeister von 2010 nur Fünfter wurde, von einem lockeren Lenkerstummel hatte er sich nicht beeindrucken lassen. Sowie, zum Saisonfinale Karel Abraham, der nun doch als ein GP-Gewinner in die MotoGP aufsteigen kann.

Doch trotz des insgesamt erfolgreichen Debüt, muss auch in der Moto2 noch einiges geändert werden, wie 2010 aufzeigt. Während in der MotoGP die Testfahrten und Möglichkeiten stark eingeschränkt wurden, gab es in der Moto2 nicht nur offizielle Tests, sondern auch viele private von einzelnen Teams, andere gingen in den Windkanal. Natürlich, eine neue Klasse, unbekanntes Terrain, da braucht man schon ein paar mehr Testkilometer - allerdings zeigt sich mittlerweile, dass auch nach der Jungfernsaison fleißig weiter getestet wird, ist damit also das Ziel 'kostengünstig' noch gewährleistet und real? Für die kommende Saison sind im Vorfeld schon weniger Teams gemeldet, starten nun doch nur noch mit einem Fahrer, oder zogen sich ganz zurück - aus Kostengründen. Andere mussten schon während der Saison umstrukturieren, mal begründet weil der Fahrer die Erwartungen nicht erfüllte - Kiefer Racing, mal weil die Chemie zwischen den Eigentümern nicht stimmte - MZ Racing, mal weil man einen Fahrer schlicht los werden wollte - Mattia Pasini, Arne Tode. Daher heißt es auch in Sachen Moto2-Bilanz nicht nur das Positive herausstreichen, sondern die Schwachstellen beheben, sonst währt die Zukunft nicht lang.