In den meisten deutschen Autos der Kompaktklasse gibt es auf dem Lenkrad genau einen Knopf: Die Hupe. Jörg Bergmeister, der für Flying Lizard Motorsport in der American Le Mans Series mit einem Porsche 911 GT3 RSR an den Start geht, hat in seinem Boliden zwar nicht mehr Platz, dafür aber jede Menge zu tun. Zahlreiche Knöpfe sind über das Lenkrad und die Mittelkonsole verteilt, dazu kommt eine Technik, die schon fast an das Ingenieurwesen der Formel 1 heranreicht.

Die Basisdaten sind schnell erklärt: Ein Boxermotor sorgt mit 465 Pferdestärken für den nötigen Antrieb, breite Michelin-Reifen und ein großer Heckflügel sollen dabei helfen, die Kraft auf den Boden zu bringen. Doch der Teufel steckt wie immer im Detail - und wer beim RSR ganz genau hinschaut, wird viele kleine Teufel entdecken. Verstellbare Heckflügel und KERS, wie man es aus der Formel 1 kennt, findet Bergmeister an seinem Arbeitsplatz zwar nicht vor, die vielen Knöpfe im Cockpit wollen aber trotzdem erst einmal richtig und vor allem im richtigen Moment bedient werden.

Dabei kommt der Fahrer bei Flying Lizard Motorsports, dem Entwicklungsteam von Porsche in den USA, in den Genuss einiger ganz spezieller Extras. Frisch im Auto installiert ist zum Beispiel die Wippenschaltung, mit deren Hilfe die Piloten die Gänge direkt am Lenkrad wechseln können, ohne einen Schaltknüppel betätigen zu müssen. "Speziell auf den Stadtkursen wird uns die Arbeit ein wenig erleichtert, wenn wir die Hände immer am Lenkrad lassen können", berichtet Bergmeister, der sich in den Staaten das Cockpit mit Patrick Long teilt. "Wir haben so viele Knöpfe, dass es schon fast so extrem wie in der Formel 1 ist."

Ein weiterer Schalter ist zum Beispiel für die Traktionskontrolle zuständig, in der Königsklasse ist diese Technologie schon längst wieder verboten. Im ALMS-Porsche ist sie hingegen Alltag: "Wir haben zwölf verschiedene Einstellungen, jeweils für Regen und für trockene Straße." Besonders vorsichtig müssen die Piloten in Amerika mit dem Bremspedal umgehen - denn ABS ist in der ALMS nicht erlaubt.

Eine Klimaanlage, wie sie der ACO für das 24-Stunden-Rennen in Le Mans vorschreibt, ist in Amerika - eigentlich das Land der Klimaanlagen - dagegen nicht notwendig. Bei manchen Hitzerennen wären Sebastian Vettel, Michael Schumacher und Co sicher auch froh, einen solchen Luxus zu besitzen. "Natürlich gibt es auch für die Klimaanlage einen Schalter, in Amerika wird sie zum Beispiel nur beim Bremsen aktiviert, das erhöht die Leistung beim Beschleunigen."

Im ACO-Modus wird die Temperatur im verkleinerten Innenraum des 911 GT3 RSR bei ungefähr 40 Grad Celsius gehalten, und "wenn wir die Klimaanlage komplett aktivieren, kommt man sich fast wie in einer Frostkammer vor". In Sachen Kühlung haben sich die Porsche-Werksfahrer noch eine weitere Alternative ausgedacht: Extra angefertigte Kühlwesten, die unter dem feuerfesten Overall getragen werden.

"Beim Langstreckenrennen in Sebring ist uns allerdings etwas Blödes passiert. Zur Kühlung wird Eis in Taschen gefüllt und neben dem Sitz platziert, diese Taschen sollten wir Fahrer selbst wechseln." Die clevere Idee endete fast im GAU: Marc Lieb riss eine der Tüten auf und das geschmolzene Eis verteilte sich auf der Bordelektronik. "Das war dann eher suboptimal."

Das Probleme mit dem Eis erledigte sich nach diesem Renen ohnehin fast von selbst: Da man für den Long Beach Grand Prix 25 Kilogramm abspecken durfte, flogen die Eisbeutel kurzerhand raus. Das Thema Balance of Performance spielt in den Staaten übrigens eine ganz wichtige Rolle, allerdings nicht immer zum direkten Nutzen aller Hersteller. "Ohne den vorgeschriebenen Luftmengenbegrenzer hätten wir 100 PS mehr. Da ist Luft gleich Leistung", klagt Bergmeister.

Gerade im Vergleich zur Konkurrenz steht Porsche nach mehreren ALMS-Titel nicht wirklich gut klar: Die Corvette erhält zur Spritverbrennung die gleiche Menge Luft, hat aber mit 5,5 Litern deutlich mehr Hubraum. "Drehmoment bis zum Abwinken." Mit ihrem gedrosselten Porsche haben es Long und Bergmeister folglich nicht immer leicht. Besonders auf den langen Geraden fehlt oft ein wenig Höchstgeschwindigkeit, was zu kuriosen Szenen führen kann.

"Da wir nicht schneller werden sollten als die kleinen Prototypen, mussten wir einen Gurney-Flap am Heckflügel installieren. Jetzt sind sogar die Cup-Porsche ohne Gurney fast auf gleicher Leistung und bei einer kleinen Stirnfläche schneller..."

Trotzdem bereiten Bergmeister die Rennen in den USA weiterhin sehr viel Spaß. Auch bei Flying Lizard Motorsports hat sich der 1,94 Meter Hühne mittlerweile sehr gut eingelebt. "Ich bin ein sehr fordernder Fahrer. Als ich das erste Mal für das Team gefahren bin, haben mich wohl alle gehasst. Nach und nach haben sie aber verstanden, warum ich das mache." Als Belohnung gab es gleich drei Gesamtsiege in der ALMS.

Teamarbeit wird ohnehin groß geschrieben. "Der Teamchef ist nicht der große Leiter. Es erinnert mehr an eine Diskussionsgruppe, keiner prescht vorneweg", erläutert der Porsche-Werksfahrer die Philosophie des Teams. "So werden natürlich mehr Ideen gesammelt, teilweise kann es aber auch ein wenig länger dauern. Man lebt sich ein."

Ein neuerlicher Erfolg in der GT-Klasse wäre eine weitere Bestätigung für das etwas andere Konzept, doch momentan sieht es für Bergmeister und Long gar nicht gut aus. Nach einem Ausfall in Long Beach lieg man auf Platz 10 weit hinter der Spitze. Eines ist jedenfalls sicher: Nach der Le Mans-Pause wird die Truppe um Teamchef Seth Neiman wieder voll angreifen...

Der Artikel "Technik ist Trumpf" stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Reportagen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: