Nicht nur im positiven Sinne ist das Rennen auf dem Norisring Jahr für Jahr das Highlight - es ist auch das anstrengendste. Eine Rennrunde dauert in Nürnberg rund 49 Sekunden; die Abstände zwischen den Fahrern sind Runde für Runde nur minimal. Es ist schwierig, einen Fehler des Gegners auszunutzen, aber umso leichter, selbst einmal unachtsam zu sein. Jeder Fehler kann in Nürnberg den Einschlag in die Leitplanken bedeuten - was den mentalen Druck zusätzlich erhöht.

Gerade die mentale Ebene ist in den letzten Jahren extrem wichtig geworden. Ein Rennfahrer muss nicht nur schnelle Runden fahren, sondern auch ein gutes Gesamtpaket mitbringen. Ich war einer der wenigen, die schon 2003 damit begonnen haben, mit einem speziellen Trainer Mentaltraining zu betreiben. Während der langen Jahre, die ich mit ihm zusammengearbeitet habe, hatte ich gelernt, wie ich ein Rennwochenende am besten angehe - und wie ich mit verschiedensten Stresssituationen umgehen muss. Die unterschiedlichen Konzepte und Strategien meines früheren Mentaltrainers, der auch heute noch zu meinen Freunden zählt, wende ich unverändert an. Er hat mir zu verstehen gegeben, wie viel allein im Kopf entschieden wird.

Zeit für sich selbst

Gerade an einem Rennwochenende wie am Norisring ist man extrem vielen Fremdeinflüssen ausgesetzt. 140.000 Menschen sind auf engstem Raum, mit geschätzten 5.000 hatte man zumindest einmal Blick- oder Autogrammkontakt. Einerseits gehört das zum Job, andererseits hält es von ihm ab. Man muss innerlich einen Schalter umlegen und für sich persönlich wissen, ab welchem Zeitpunkt man seine Ruhe zur mentalen oder technischen Vorbereitung braucht.

Wie überall sind die Charaktere auch in diesem Punkt unterschiedlich: Manche Fahrer brauchen den Trubel, um sich abzulenken und nicht zu verkrampfen, andere suchen die Ruhe und brauchen stille Momente, um ihre Konzentration zu finden. Ich bin gerne mit Menschen zusammen, rede auch gerne vor Qualifying oder Rennen mit ihnen, aber fünf Minuten vor Beginn brauche ich Zeit für mich selbst. Dabei gehe ich gedanklich die Aufgaben durch, die sich mir während der folgenden 60 Minuten stellen werden.

Am Norisring sah sich Timo Scheider einem noch größeren Druck ausgesetzt als gewohnt, Foto: Sutton
Am Norisring sah sich Timo Scheider einem noch größeren Druck ausgesetzt als gewohnt, Foto: Sutton

Der Druck und die Erwartungshaltung der Fans, der Sponsoren, des Teams und eines ganzen Konzerns wie Audi sind enorm hoch. Man muss auch in schlechten Zeiten mit dem Urteil der Medien souverän umgehen können - ein Problem, das sich mir momentan zum Glück nicht stellt. Seit dem zweiten Rennen führe ich die Meisterschaft an, bin aber demzufolge entsprechenden Erwartungen ausgesetzt, denen ich gerecht werden muss.

Kampf um Konzentration

Den persönlich größten Druck macht man sich trotz alledem immer selbst - und mittlerweile kann ich mich damit arrangieren. Meine Familie, aber auch meine Mechaniker und andere Teammitglieder merken, wann ich die Ruhe brauche und wann man mich belasten kann. Audi nimmt Rücksicht auf diese Wünsche und fragt beispielsweise, ab welchem Zeitpunkt ich vor dem Rennen keine Interviews mehr geben möchte. Es ist ein gutes Gefühl, wenn so auf die eigenen Bedürfnisse eingegangen wird.

Im Cockpit angekommen ist es das Schlimmste, allein auf weiter Flur zu fahren und keinen Infight zu haben. Irgendwann läuft man zwangsläufig Gefahr, die Konzentration zu verlieren, sich über die Hitze oder die restliche Rundenzahl Gedanken zu machen - und schon folgt der erste Verbremser. Wenn man gegen die Konkurrenz fightet, ist das für mich die angenehmste Situation: Die Runden gehen schneller vorbei, man spürt die Hitze nicht mehr und ist voll konzentriert. So auch während der vielen Zweikämpfe auf dem Norisring:

Man geht ein Überholmanöver gegen den Teamkollegen ganz anders an als gegen die Konkurrenz. Das Dümmste im Rennsport bleibt, den Teamkollegen in eine Berührung zu verwickeln. In Nürnberg habe ich mich auf den letzten Runden mit Mattias duelliert, wollte ihn aber natürlich nicht umdrehen und unsere Plätze gefährden - entsprechend gemächlich habe ich es angehen lassen. Im Kampf gegen einen Mercedes hätte ich sicherlich schon früher versucht, eine Attacke zu fahren. Natürlich dürfen auch hier keine größeren Fehler passieren, der Lackaustausch muss im Rahmen bleiben - aber wenn ein Missgeschick passiert, ist das "halb so schlimm".

Die Fitness war gerade auf dem Norisring ein entscheidendes Thema. Es ist weniger die Kraft, die den Ausschlag gibt, als vielmehr die Kondition, die darüber entscheidet, wie man mit der enormen Hitze im Cockpit zurechtkommt. Man muss nicht nur mit dem Druck der Konkurrenz umgehen, sondern auch mit der Konzentration im heißen Cockpit. Wenn plötzlich der Nacken schmerzt, wie gelegentlich auf dem Lausitzring beim Fahren gegen den Uhrzeigersinn, macht man sich rasch zu viele Gedanken, die ablenken. Dennoch ist es mir in der Lausitz gelungen, meinen Meisterschaftsvorsprung von einem Punkt wieder zu vergrößern - was auch in Zandvoort wieder möglich sein sollte...