Der spektakuläre Schlagabtausch der letzten Qualifying-Minuten lädt ebenso zu Gedankenspielen für das morgige Rennen ein wie die allseits bekannte Eigenwilligkeit des Eifelwetters. Zwei Szenarien bieten sich an...

Das erste Szenario

Fiktion... "Im Anschluss an das erfolgreiche Qualifying befindet sich Bruno Spengler – wie schon laut eigener Aussage nach dem Sieg auf dem Norisring – auf ‚Wolke sieben´. Voller Zuversicht träumt der Kanadier davon, ebenso wie Gary Paffett 2004 noch verspätet in den Titelkampf eingreifen zu können. Um seine Topform hierfür zu manifestieren, kontaktiert er den DTM-Meister von 2005 telefonisch und führt ein langes Gespräch mit ihm, an dessen Ende Paffett seinen HWA-Nachfolger eindringlich warnt, anders als er selbst im vergangenen nicht über die berüchtigte weiße Linie zu fahren. Im Rennen bestätigt Spengler seine Leistungen: Mit Leichtigkeit setzt er sich in seinem nunmehr 17. DTM-Rennen vom zweitplatzierten Tom Kristensen ab, der seinerseits die Mercedes-Konkurrenz Bernd Schneider und Jamie Green hinter sich hält.

Die Boxenstopps Bruno Spenglers gelingen tadellos, im anstehenden Jubel der HWA-Truppe schwelgend genießt der DTM-Youngster bereits im Voraus den ersten Sieg. Als sich Bruno Spengler der Ziellinie nähert, jubelt ihm die Mercedes-Mannschaft um Norbert Haug euphorisch zu – und Spengler erleidet einen folgenschweren Black-out: Sich des Rates Gary Paffetts erinnernd macht Spengler vor der – weißen – Ziellinie eine Vollbremsung. Der nach wie vor zweitplatzierte Kristensen nimmt das Geschenk dankend entgegen und fährt den dritten Saisonsieg für Audi ein, woraufhin Audi zum wohl verdienten Jubel kommt. Genüsslich erinnert Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich seinen Kollegen Norbert Haug an seine gestrige Aussage, dass es darauf ankomme, zum richtigen Zeitpunkt gejubelt zu haben..."

Nimmt dieser Mann Paffetts Ratschläge allzu genau?, Foto: DTM
Nimmt dieser Mann Paffetts Ratschläge allzu genau?, Foto: DTM

... und Realität: Unter trockenen Bedingungen bedürfte es für einen Audi-Sieg gewiss keines erneuten Geschenkes durch Mercedes. Abgesehen von Heinz-Harald Frentzen offenbarte das Abt-Audi-Quartett im Qualifying – wenn auch nicht immer zum passenden Zeitpunkt – durchaus einen Speed, der sich in Kombination mit einer halbwegs gelungenen Rennstrategie in einen Sieg für Tom Kristensen ummünzen lässt. Die Startstärke Kristensens schenkt Zuversicht, erlaubte sich der Däne doch während der gesamten ersten Saisonhälfte keinen Fauxpas.

Im Falle eines Regenrennens könnte der Meisterschaftszweite zwar möglicherweise – wie der erste Freitagstest andeutete – halbwegs erfolgreich hochhalten. Optimale Bedingungen für Audi sähen allerdings gänzlich anders aus als eine feuchte Strecke, wie auch Christian Abt mit Blick auf die Jahreswagen offen zugab. Diese wiederum könnten, möglicherweise in beiden Lagern, erneut das Zünglein an der Waage sein, sollten die Strategien bedingt durch die Wettereinflüsse bei den 20 Piloten äußerst unterschiedlich gewählt sein.

Das zweite Szenario

Fiktion... "In Folge der herben Norisring-Enttäuschung packt Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich die Panik: Wie schon in Hockenheim 2005 durchforstet er zunächst das Sportliche Reglement, wird jedoch auf Lückensuche nicht mehr fündig. Anschließend wälzt er nächtelang Statistiken und kommt schließlich zu einem simplen, jedoch aus seiner Sicht viel versprechenden Ergebnis. Nachdem zunächst Bruno Spengler am Start seine Spitzenposition gegen Tom Kristensen verteidigt, wähnt sich Dr. Ullrich in Sicherheit; auch nachdem Spengler im Anschluss an beide Boxenstoppphasen weiterhin führt, sieht sich der Österreicher im Soll.

Verhindert dieser Mann einen Audi-Sieg?, Foto: Audi
Verhindert dieser Mann einen Audi-Sieg?, Foto: Audi

Tom Kristensen hingegen hat der Titelehrgeiz gepackt; während der letzten Runden pirscht sich der Däne in seinem A4 DTM an Spenglers C-Klasse heran, scheitert jedoch zunächst bei seinen Überholversuchen. In der letzten Runde zieht der siebenfache Le-Mans-Sieger in der NGK-Schikane unter dem Jubel der Audi-Fans vorbei und kann seinen Erfolg selbst kaum fassen. In Vorfreude auf die oberste Stufe des Podests steuert Kristensen die Start- und Zielgerade an – und wird von Dr. Ullrich auf Platz zwei hinter Spengler zurückbeordert. Der mehr als nur verwunderte Däne bekommt von Ullrich referiert, dass Audi in der neuen DTM immer dann den DTM-Titel gewonnen habe, wenn man aus Nürburg nicht als Sieger hervorgegangen sei..."

... und Realität: Mit einem freiwilligen Audi-Verzicht auf einen Sieg ist kaum zu rechnen, mit einem Mercedes-Sieg aber durchaus: Wenngleich sich die C-Klasse im Trockenen "nur" auf einer Augenhöhe mit dem A4 DTM befindet, zeigte sich die Mannschaftsleistung des HWA-Quartetts jener der Abt-Audi-Pendants leicht überlegen: Drei Mercedes in den ersten beiden Startreihen stellen aus rennstrategischer Sicht ein Pfund dar, mit dem es sich wuchern lässt.

Kommt es zu einem weiteren Regenrennen in der Eifel, könnten sich Bruno Spengler, Bernd Schneider und Co. beinahe nur selbst ein Bein stellen: Sowohl auf durchgängig feuchter als auch auf abtrocknender Strecke kamen die Mercedes-Boliden sämtlicher Jahrgänge am Freitagmorgen von Beginn an vorzüglich zurecht, ebenso gut schien die Optimierung der Regenabstimmung zu funktionieren.