Zandvoort (NL), 28.08.2005: Ein blauer Opel Vectra GTS V8 steht auf dem zwölften Startplatz, erwischt einen eher durchschnittlichen Start. Nach einigen Runden stößt der blaue Opel mit einem schwarzen Mercedes zusammen, der Benz dreht sich. Wenig später biegt der Vectra in die Boxengasse ein, fährt mit 80 Kilometern pro Stunde an seiner Boxencrew vorbei, um eine Boxendurchfahrtsstrafe zu verbüßen. Fernab der Punkteränge scheint sich das beschädigte Fahrzeug noch über die Renndistanz zu quälen, bevor es kurz vor Schluss ausrollt. Es entsteigt Manuel Reuter, der soeben sein 200. DTM-Rennen beendet hat.

Es war ein unwürdiges Jubiläumsrennen. Mit seinem ITC-Titel von 1996, elf Siegen, sieben Pole Positions, sieben Schnellsten Rennrunden sowie beträchtlichen 1.094 Punkten hat sich Manuel Reuter neben vorderen Rängen in den ewigen Bestenlisten schon längst einen festen Platz in der DTM-Geschichte erobert. Nicht nur diese Tatsache lässt Reuter Rückschläge wie sein Jubiläumsrennen immer wieder in Rekordzeit wegstecken, begann doch bereits sein DTM-Debüt nicht ganz unproblematisch.

Pleiten, Pech und Pannen beim Jubliäumsrennen, Foto: Sutton
Pleiten, Pech und Pannen beim Jubliäumsrennen, Foto: Sutton

Mainz-Finthen, 02.06.1985: Nur wenige Kilometer von seinem Elternhaus entfernt bestreitet Manuel Reuter sein erstes DTM-Rennen. Die Tatsache, dass er mit dem neuen Ford Sierra XR4Ti bereits in seiner ersten Saison ein Siegerauto pilotieren darf, mildert die Enttäuschung, bereits nach dem ersten Renndrittel auszufallen. Eine größere Enttäuschung vermag da bereits eine defekte Lichtmaschine hervorzurufen: Bei seinem dritten Rennen auf dem Flugplatz Siegerland kann nur sie den ersten DTM-Sieg des Mainzers verhindern. Beim letzten Saisonlauf auf dem Nürburgring fährt Reuter seinen ersten Podestplatz ein - nachdem er sich auf Grund seiner starken Debütvorstellungen ohnehin schon einigen Respekt erarbeitet hatte.

Die aufgekommenen Erwartungen enttäuscht der damals 24-jährige DTM-Junior im folgenden Jahr nicht, doch weiterhin macht ihm die Zuverlässigkeit des vornehmlich wegen seines Speeds gefürchteten Sierra XR4Ti einen Strich durch die Rechnung: Beladen mit einigem Zusatzgewicht bricht beim zweiten aussichtsreichen Anlauf zum Sieg auf der Berliner Avus die Radaufhängung. Die Analogie zur Debütsaison reicht noch weiter: Erneut steht Reuter erst beim Finallauf auf dem Nürburgring endlich auf dem Podest - diesmal allerdings in der Mitte. Mit durchaus beachtlichem Vorsprung von mehr als 13 Sekunden fährt der Pfälzer den lang ersehnten ersten Sieg ein, womit das nächste Etappenziel seiner Motorsportkarriere feststand...

2000 bot Reuter dem späteren Meister Schneider noch Paroli, Foto: Sutton
2000 bot Reuter dem späteren Meister Schneider noch Paroli, Foto: Sutton

1987 soll der Titel her, bestehen doch an der Siegfähigkeit der Kombination Reuter/Sierra längst keine Zweifel mehr. Lediglich die Konkurrenz im BMW M3 stellt sich für Reuter als hartnäckige Gegner heraus. Nach zwei Siegen im Sierra XR4Ti auf der persönlichen Glücksstrecke Nürburgring sowie beim Heimrennen in Mainz-Finthen tritt der nun dreifache DTM-Sieger - mittlerweile ausgestattet mit dem neuen Sierra Cosworth - beim Finale auf dem Salzburgring zum Titelendspurt an. Doch erneut scheint das Material den enormen Zusatzgewichten nicht gewachsen: Auf dem Weg zum ersten Titel birst der linke Hinterreifen des Ford. Der DTM-Meister 1987 heißt Eric van de Poele und fährt BMW.

Erst 1988 fährt der DTM-Meister Ford - heißt allerdings nicht Manuel Reuter. Während Klaus Ludwig seinem ersten DTM-Titel entgegenfährt, tritt Reuter zwar weiterhin neben den beiden anderen viel versprechenden Ford-Junioren Frank Biela und Bernd Schneider an, scheint sich allerdings gedanklich bereits vom Tourenwagensport verabschiedet zu haben. Ohnehin kann Reuters Verhältnis zur DTM zum damaligen Zeitpunkt nur als Zweckehe bezeichnet werden: Betrachtete er die DTM anfangs noch als Nebenverdienst zur Finanzierung der Formel-3-Karriere und träumte vom Aufstieg in die Formel 1, der seit dem Tod Stefan Bellofs wieder einmal ein deutscher Star fehlte, so strebt der Mainzer nun eine Karriere im Sportwagen an, die er 1988 neben seiner vierten DTM-Saison beginnt. Zwar steigt er 1989 noch in den Mercedes 190E um, in dem er nach dem erfolglosen Vorjahr bis auf den sechsten Meisterschaftsrang fährt - Reuters erster Le-Mans-Triumph im Brun-Porsche im Frühsommer scheinen allerdings Appetit auf mehr hervorzurufen. Der letzte DTM-Saisonlauf auf dem Hockenheimring ist zugleich Reuters vorerst letztes DTM-Rennen.

Größter Erfolg im Astra: Sieg beim 24-h-Rennen auf dem Nürburgring, Foto: Sutton
Größter Erfolg im Astra: Sieg beim 24-h-Rennen auf dem Nürburgring, Foto: Sutton

Um einige Sportwagenerfahrungen reicher tastet sich Reuter erst 1992 gemeinsam mit Opel allmählich wieder an die DTM heran: Der 30-Jährige hilft dem Rüsselsheimer Traditionsunternehmen bei der Entwicklung des neuen DTM-Calibra, der den betagten wie erfolglosen Vorgänger Omega ablösen soll. Beim Finalrennen 1993 tritt Opel erstmals mit dem neuen Renncoupé an. Doch während Markenkollege Keke Rosberg auf Anhieb punktet, erlebt Reuter ein Déjà-vu: Erneut rollt er nach dem ersten Renndrittel aus. In Folge regelmäßiger Punkteplatzierungen schließt sich 1994 für Opel der erste Triumph an: Nachdem Allessandro Nannini auf Grund einer zu geringen Restbenzinmenge disqualifiziert worden ist, rückt Manuel Reuter auf Rang eins vor. Dass der Ort des Geschehens das englische Donington war und somit zum wertungslosen ITR-Gold-Cup zählt, tut dem Jubel dabei keinen Abbruch...

Nach einigen weiteren Podestplätzen aus dem Jahre 1995 gelingt Opel und Manuel Reuter 1996 schließlich der Durchbruch in der mittlerweile in ITC umgetauften DTM: Während das technische Wettrüsten der drei engagierten Hersteller Alfa Romeo, Mercedes und Opel keine Grenzen kennt, die ITC sich vor ganzen 25.000 Zuschauern im brasilianischen Sao Paulo wiederfindet und schließlich ihr Ende absehbar wird, verweist Reuter im japanischen Suzuka nach drei Siegen und insgesamt neun Podestplätzen seinen härtesten Konkurrenten Bernd Schneider auf Rang zwei der Meisterschaft. Zu diesem Zeitpunkt ist das Ende der ITC längst beschlossen; Alfa Romeo und Opel hielten dem Kostendruck nicht stand und verkündeten ihren Rückzug. Im technisch wohl anspruchsvollsten DTM-Fahrzeug aller Zeiten hatte Reuter seinen ersten und aus damaliger Sicht mit Gewissheit letzten DTM/ITC-Titel eingefahren - ein brillanter Triumph vor traurigem Hintergrund.

Oschersleben 2004: Der letzte Podestplatz seiner Karriere?, Foto: Sutton
Oschersleben 2004: Der letzte Podestplatz seiner Karriere?, Foto: Sutton

Erst 2000, nach drei Jahren in einem Opel Vectra der Klasse-2-Tourenwagenserie STW, blüht der heutige Wahlösterreicher wieder auf - und mit ihm die DTM. Zwar erweist sich der Mercedes CLK als stärker als Reuters neues Opel Astra Coupé; mit vier Siegen wird er dennoch zum einzigen Kontrahenten Bernd Schneiders im Kampf um den ersten Titel der neuen DTM und hält den Meisterschaftskampf lange offen. Motiviert von der Siegfähigkeit bei Opel ist sich Reuter sicher, 2001 erneut in den Meisterschaftskampf einzugreifen; der zweite Titel scheint nicht unmöglich.

Was sich als völlige Fehleinschätzung erweist: Zwar wird Reuter erneut erfolgreichster Opel-Pilot - dafür reicht allerdings bezeichnenderweise ein neunter Meisterschaftsrang. Während Abt-Audi, im Vorjahr noch als schwächstes Glied der DTM belächelt, erste Erfolge einfährt, ist Opel ans Ende der DTM-Hierarchie abgerutscht. Podestplätze bleiben aus, Siege sind vollkommen illusorisch. Doch längst weiß der passionierte Triathlet, was er an der DTM hat: Sowohl mit der populärsten Tourenwagenserie Europas als auch mit Opel verbindet Reuter mittlerweile eine innige Beziehung - auf Grund derer er seinem Astra Coupé auch 2002 treu bleibt. Doch ebenso wie 2003 präsentiert sich Opel zwar stärker als im Pleitenjahr 2001; eine zurückgewonnene Siegfähigkeit schließt dies allerdings nicht ein. Reuter verharrt jeweils nur knapp in den Top Ten des Endklassements.

Den Glückwünschen können wir uns nur anschließen, Foto: Sutton
Den Glückwünschen können wir uns nur anschließen, Foto: Sutton

Und so bleibt es ein Ausflug abseits der DTM, die Reuter 2003 den einzigen Erfolg im Astra beschert: In einer leicht modifizierten Version des kompakten DTM-Coupés fährt er gemeinsam mit Marcel Tiemann sowie seinem langjährigen Sportchef Volker Strycek den Sieg beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring ein. Auch das neue DTM-Reglement für 2004 schürt Hoffnungen: Mit der Umstellung auf viertürige Limousinen bietet sich für Opel mit der Rennversion des Vectra GTS ein Neuanfang. Doch auch der deutlich repräsentativere Vectra vermag die Erwartungen nicht zu erfüllen: Erneut reicht es nur zu Achtungserfolgen, zu denen Manuel Reuter allerdings den gewichtigsten beisteuert: In Oschersleben verdrängt er Mercedes-Pilot Gary Paffett wenige Runden vor Schluss von Platz drei - und feiert neben den Audi-Piloten Tom Kristensen und Martin Tomczyk seinen ersten Podesterfolg seit fast vier Jahren. Der letzte Podestplatz seiner DTM-Karriere? Ohnehin scheint sich der DTM-Kreis des Manuel Reuter allmählich zu schließen: Mit Frank Biela im Audi A4 ist auch der dritte des einstigen Ford-Youngster-Trios zu ihm und Bernd Schneider in die DTM zurückgekehrt. Alle drei erleben gemessen am jeweiligen Anspruch eine enttäuschende Saison.

Die Saison 2005 steht für Manuel Reuter im Zeichen des Abschieds: Schon im November hatte Opel aus Kostengründen die Aufgabe des DTM-Engagements nach der Saison 2005 bekannt gegeben, den Fahrerkader verkleinert - und dem treuen Opel-Fahrer, mittlerweile im biblischen Rennfahreralter von 43 Jahren, dem viel versprechenden Youngster Timo Scheider den Vorzug gegeben. Und tatsächlich braucht sich Reuter neben seinen jüngeren Kollegen Marcel Fässler, Laurent Aiello und Heinz-Harald Frentzen noch immer nicht zu verstecken. Vielmehr wird der in dieser Saison noch immer punktlose Manuel Reuter nach wie vor vom jugendlichen Wagemut angetrieben: Nach einer überzeugenden Vorstellung auf dem Norisring liegt Reuter auf einem sicheren vierten Platz - und handelt sich eine Runde vor Schluss beim riskanten Versuch, dem drittplatzierten Mattias Ekström den Podestplatz noch streitig zu machen, eine nachträglich verhängte Zeitstrafe ein. Er hatte alles auf die Podestplatz-Karte gesetzt - wenn auch erfolglos. Was zumindest zeigt: Auch nach 15 DTM-Jahren mit allen Höhen und Tiefen der DTM liegen Manuel Reuter mangelnder Ehrgeiz und Rennmüdigkeit fern...