Nach 34 Jahren hört Mario Theissen zum 30. Juni 2011 bei BMW auf. Diesen Paukenschlag verkündete er heute in München selbst - ganz passend zum Self-Made-Man Theissen eben.

Theissen wurde am 17. August 1952 in Monschau in der Eifel geboren. Bereits in seiner Studienzeit an der Rheinisch-Westfälischen Hochschule für Technik zwischen 1971 und 1977 schien sein Weg vorgezeichnet und das private, wie berufliche Interesse am Motorsport stieg stetig an, bevor er es in einem Beruf vereinen konnte. Nach dem Abschluss seines Ingenieur-Diploms heuerte Theissen im Sommer 1977 in München bei BMW an. Als Entwicklungsingenieur betreute er zuerst die Motorenentwicklung, später kümmerte sich Theissen um die verschiedenen BMW-Entwicklungszentren. Ab 1999 schließlich bekleidete Theissen jene Position, die er bis Mitte 2011 noch ausfüllt - Motorsportdirektor bei BMW.

Theissen war zu jeder Zeit seiner Stellung an der Spitze des Motorsport-Engagements der Bayern ein Aushängeschild für den Konzern. Beliebt bei Zuschauern und Mitarbeitern gleichermaßen, brachte er BMW im Rennbereich wieder auf Vordermann und zurück in die Erfolgsspur. Sein größter Moment war sicherlich 2008 der erste (und einzige) Formel-1-Sieg von BMW durch Robert Kubica in Kanada. Theissen jubelte ausgelassen in der Boxengasse, herzte Teammitglieder, vergoss mit ihnen Freudentränen und genoss die Champagnerdusche sichtlich.

Theissen mit seinen Fahrern Kubica und Heidfeld auf dem Podest beim Doppelerfolg in Kanada 2008, Foto: Sutton
Theissen mit seinen Fahrern Kubica und Heidfeld auf dem Podest beim Doppelerfolg in Kanada 2008, Foto: Sutton

"Das war eine unbeschreiblich emotionale Situation", blickte er zurück. "Eine fantastische Bestätigung für die harte Aufbauarbeit, ein Meilenstein. Wir hatten uns zum Ziel gesetzt, 2008 unseren ersten Sieg einzufahren. Damit hatten wir uns weit aus dem Fenster gelehnt. Denn in der Formel 1 kann die kleinste Unwägbarkeit noch in der letzten Kurve vor dem Ziel die beste Vorbereitung zunichte machen", sagte Theissen.

Er scheute sich nie, ambitionierte Ziele zu definieren. Für deren Erreichen die Voraussetzungen zu schaffen, war seine Aufgabe - von der Technik über das Personal bis hin zu kritischen Entscheidungen am Einsatzort. Am Ende war er in seiner Funktion als BMW Motorsportdirektor derjenige, der für alle Automobil-Rennsportprojekte des Hauses gerade stand. Ob Nachwuchsförderung in den Formel BMW Serien, Tourenwagen und Sportwagen-Engagements oder eben das Formel-1-Projekt. Theissen suchte diese Herausforderung.

Bodenständiger Anführer

Bei aller Leidenschaft für den Sport dominierte aber dennoch Sachlichkeit seinen Führungsstil. Glamour, Prominenz und Fahrerlager-Smalltalk zogen Theissen weniger in die Formel 1, denn er war immer vornehmlich Techniker und Analytiker. Glück und Pech waren für ihn ergo keine Argumente. Fortschritt oder Stagnation, Aus oder Unfälle - alles hat Ursachen, aus denen man lernen kann und muss, war Theissens Motto.

Sein technisches Interesse am Motorenbau und die berufliche wie private Begeisterung für den Motorsport begleiteten ihn schon durch sein Maschinenbau-Studium. 1999 ergab die Verschmelzung seiner Begeisterung für den Sport, die Technik und komplizierte Managementaufgaben seinen Traumberuf: BMW Motorsportdirektor.

Der BMW-Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans 1999, gegen eines der stärksten Felder in der Geschichte des Rennens, war zu Beginn von Theissens Aufgabe im Sektor Motorsport ebenso eine Sternstunde, wie in den letzten Jahren seines Engagements die vielen Siege und drei Weltmeisterschaftstitel von Andy Priaulx in der WTCC. Aber wie bei allen Sternstunden gibt es auch Tiefschläge. Robert Kubicas Horror-Unfall in Kanada 2007 war so ein Moment, in dem man Theissen den Schock ansehen konnte. Der Sieg ein Jahr später an gleicher Stelle machte diese Schrecksekunde im Nachhinein aber umso schöner.

Nachfolger wird eingearbeitet

Auch der Formel-1-Ausstieg von BMW zu Ende der Saison 2009 tat Theissen sicherlich weh. Da der Konzern zu Zeiten der Wirtschaftskrise um diese strukturelle Neuausrichtung aber nicht umhin kam, fokussierte auch Theissen seine ganze Konzentration und Energie neu - Ausdruck dessen wurde in diesem Jahr die Bestätigung des DTM-Einstiegs von BMW zur Saison 2012. Auch wenn der Macher selbst dann nicht mehr an Bord ist, bleibt dieser Schritt sein Verdienst. Seinen Nachfolger Jens Marquardt will Theissen also auch im eigenen Interesse bestmöglich einarbeiten. Der nun anstehende Führungswechsel sei "sorgsam geplant und gut vorbereitet gewesen", ließ Theissen verlauten. Bei ihm besteht daran wie immer wenig Zweifel.

Wie im Motorsport verlangte auch sein Privatleben über all die Jahre viel Planung und Flexibilität: "Mit nicht immer ganz so beherrschbaren Prozessen", wie Theissen einmal schmunzelnd zugab. Nun hat Dr. Theissen dafür endlich mehr Zeit. Die Familie Theissen hat ihr Basislager in München, obwohl er seit 2005 zudem Honorarprofessor in Dresden ist. Seine drei Kinder verbringen Ausbildungsjahre im Ausland, doch seine Frau Ulrike hält die Fäden zusammen. Für ihn ist sie die Liebe seines Lebens und die Familie sein kostbarstes Gut. Zeit ist in diesem Leben Luxus - auch so ein Motto des Dr. Theissen.

Über diesen Luxus im Bezug auf seine Heimat Monschau sagte Theissen übrigens einmal: "Die Menschen dort sind rau wie das Klima, aber herzlich, standfest und geradlinig". Man merkt Theissen seine Herkunft also buchstäblich an.

Auch wenn Theissen nun bei BMW das Zepter aus der Hand gibt, kann man sich gut vorstellen ihn noch häufig im Konzern begrüßen zu dürfen - und wenn es nur zum Besuch des Fitnesscenters für BMW Motorsport-Mitarbeiter ist, das auf Initiative des Sportfanatikers schon vor Jahren in München eingerichtet wurde.