Seinen bislang größten Erfolg der Karriere nahm Jonny Edgar ohne große Regung zur Kenntnis. Sogar sein Team forderte ihn nach der überragenden Aufholjagd im letzten Rennen der ADAC Formel 4 in Oschersleben auf, doch mal aus sich herauszukommen. Doch Edgar ist kein Lautsprecher, seine Emotionen behält der 16-Jährige lieber für sich. Diese Abgeklärtheit prägte die Saison des Van-Amersfoort-Piloten, der zu Beginn dominierte, am letzten Wochenende plötzlich wie der große Verlierer wirkte, nur um im letzten Rennen mit Entschlossenheit und Stärke doch noch zurückzuschlagen. In einem hochspannenden Saisonfinale fing Edgar seinen Teamkollegen Jak Crawford noch ab und sicherte sich mit zwei Punkten Vorsprung den Meistertitel in der Highspeedschule des ADAC.

"Ich bin sehr glücklich, den Titel gewonnen zu haben. Ich habe die Meisterschaft vom ersten Tag an angeführt, bis zu diesem Rennen gestern", sagte Edgar nach seinem Titelgewinn am Sonntag. Vorausgegangen war ein Wochenende, das einem Wechselbad der Gefühle gleichkam. Mit 23 Punkten Vorsprung auf Edgar war der Red-Bull-Junior in die Magdeburger Börde gereist, nach dem ersten Lauf lag er plötzlich zwei Punkte zurück. Der Rückstand wuchs im zweiten Lauf des Wochenendes auf neun Punkte an, doch Druck empfand Edgar nicht. Stattdessen ging er das letzte Rennen mit professioneller Gelassenheit an.

"Ich wusste, dass Jak den größeren Druck hat. Er musste dranbleiben und konnte sich keinen Schaden erlauben. Ich hingegen musste ohnehin das Risiko gehen", sagte Edgar, der vom Start weg nach vorne stürmte und Zweiter wurde. Damit fing Edgar tatsächlich noch Crawford ab und bejubelte den Titel, der sich so lange angedeutet hatte. Insgesamt sechs Saisonsiege feierte der Brite, gleich am ersten Wochenende der Saison zeigte er mit zwei Siegen seine Klasse.

Es folgte ein für lange Zeit grandioses Jahr. "Ich habe versucht, konstant zu fahren. Die erste Saisonhälfte war auch wirklich gut, aber dann hatte ich auch ein paar Mal Pech", spielte Edgar auf ein paar Szenen gegen Saisonende an. Doch als es darauf ankam, war Edgar da und feierte den maximalen Erfolg. "Es ist gut, eine Meisterschaft im Formelsport gewonnen zu haben. Das ist wichtig für meine Karriere", sagte Edgar.

Diese Karriere wurde Edgar in die Wiege gelegt, seine familiäre Vorprägung ließ quasi gar keinen anderen Weg zu. Jonny ist in der vierten Generation im Motorsport aktiv. Vor allem im Kart sammelten Großvater, Vater und Onkel reihenweise Erfolge ein. "Insgesamt haben 13 Mitglieder meiner Familie Rennsport betrieben", erzählt Edgar stolz und fügt mit einem Grinsen an: "In ihre Fußstapfen zu treten war unvermeidbar." Und so war es dann auch, mit großer Unterstützung durch die Familie begann Edgar seine Reise. "Mein Vater und mein Großvater waren in den frühen Jahren meine Mechaniker", erklärte Edgar.

Alles begann in der Meisterschaft seiner Heimatregion Cumbria in England, die er 2012 direkt gewinnen konnte. Seine beeindruckenden Leistungen brachten ihm kurz darauf den Titel des Sport-Aufsteigers des Jahres in Cumbria ein. Nach weiteren erfolgreichen Jahren gelang Edgar 2015 etwas ganz Besonderes: 48 Jahre nach seinem Großvater Terry krönte er sich zum Champion der traditionsreichen Little Green Man-Meisterschaft, einer wahren Kart-Institution in Großbritannien.

2017 betrat Edgar die internationale Bühne des Kartsports, unter anderem gewann er ein Rennen der Juniorklasse beim Saisonauftakt der Deutschen Kart-Meisterschaft in Ampfing und holte am Ende des Jahres sogar den Juniortitel in der Europameisterschaft. An diesen Titel hat Edgar besonders gute Erinnerungen. "Der Titelgewinn beim vierten Rennen in Alaharma/Finnland war mein bestes Rennen 2017. Es war ein hartes Rennen auf einer Strecke mit wenig Überholmöglichkeiten", blickte er zurück. Als Belohnung für seine starken Leistungen wurde Edgar Ende 2017 in den erlesenen Kreis des Red Bull Junior Teams aufgenommen.

Der Umstieg vom Kart- in den Formelsport folgte für Edgar im Jahr 2019. Für den Schweizer Rennstall Jenzer Motorsport bestritt Edgar im Alter von damals 15 Jahren die komplette Saison in der italienischen Formel 4, die er als drittbester Rookie beendete. Auch in der ADAC Formel 4 war Edgar bereits im Vorjahr bei zwei Veranstaltungen zu Gast. Der Wechsel zu Van Amersfoort Racing und das Vollzeit-Engagement in der Highspeedschule des ADAC im Jahr 2020 erwiesen sich für den leidenschaftlichen Mountainbiker und Läufer als goldrichtige Entscheidung.

Durch den Titelgewinn in der ADAC Formel 4 stehen Edgar alle Türen offen, mit Red Bull hat er zudem hervorragende Unterstützung. Erste Testfahrten im Formel-3-Auto hat er bereits absolviert. "Noch ist aber nichts bestätigt, Red Bull wird da auch mitentscheiden. Die Formel 3 wäre toll, aber jedes höhere Level wäre ein wichtiger Schritt", sagte Edgar. Und vielleicht erreichen auch die Emotionen bei Edgar noch einmal ein höheres Level.