Nach drei Rennen ist 2024 bei Mercedes schon wieder Krisenmanagement angesagt. Das Doppel-Aus in Australien durch Lewis Hamiltons motorbedingten Ausfall und George Russells Unfall ist nur die Spitze des Eisbergs. Viel schlimmer: Die davor im Qualifying und Rennen unterirdische Leistung des Autos. Teamchef Toto Wolff muss ein anhaltend gravierendes Problem gestehen, wehrt sich aber vehement gegen Zweifel an Personalien - inklusive seiner eigenen.

"Wir haben ein Physik-Problem, keines der Philosophie oder der Organisation", beteuert Wolff am Sonntagabend in Melbourne. "Wir haben nicht nach 2021 eine Dummheits-Pille geschluckt. Wir verstehen nur einfach manche der Verhaltensweisen des Autos nicht, die wir in der Vergangenheit immer verstanden hätten."

Mercedes hat ein Korrelations-Problem

Bei dieser Verständnis-Frage muss Wolff in Australien jedoch schließlich einräumen, dass Mercedes nach wie vor ein gravierendes Problem hat. Das "Physik-Problem" definiert er kurz darauf als eines der Korrelation: "Fundamental korreliert das, was wir im Windkanal sehen, nicht mit dem, was auf der Strecke passiert."

Nach dem Test war das Team hierbei noch viel optimistischer gewesen. Damals hatte der W15 laut Cheftechniker James Allison so auf Änderungen reagiert, wie es die Simulationen vorhergesagt hatten. Fazit: Ein gutmütiges Auto, im Longrun solide, auf eine Runde noch mit Nachholbedarf. Davon war in Australien nichts zu sehen.

Auf eine Runde fehlten Russell im Qualifying acht Zehntel, der W15 war vierte Kraft. Im Rennen agierte er im Schnitt irgendwo auf dem Niveau von Fernando Alonsos Aston Martin, aber die tatsächliche Pace änderte sich in jedem der drei Stints, meint Wolff: "Im zweiten Stint kamen wir nicht einmal annähernd an Fernando auf dem Medium ran. Die Rundenzeiten waren eine Sekunde von McLaren weg. Im letzten attackieren wir dann voll, ohne uns Sorgen zu machen, und die Zeiten waren plötzlich wettbewerbsfähig." Russell schloss immerhin wieder zu Alonso auf.

Alonso vs. Russell: Fieser Trick oder abgezockt? (25:40 Min.)

Der W15 hinterlässt nach drei Rennen einen so unberechenbaren Eindruck wie seine ungeliebten Vorgänger. Für das Team war ein plötzlicher Performance-Aufschwung am Samstagmorgen in FP3 genauso überraschend wie das ebenso plötzliche Verpuffen der Pace im Qualifying.

Was ist schuld bei Mercedes? Nicht die Mannschaft

Zurück zur Ursachenforschung also. Wolff vertraut hier darauf, dass der Großumbau des Autos im Winter die Probleme erfolgreich weiter isoliert hat: "Wir waren uns bei der Aufhängung nicht sicher. Wir waren uns bei der Steifheit des Getriebes nicht sicher. Wir hatten eine vibrierende Lenkung. Diese Dinge sind alle verschwunden." Nur die Korrelation schwebt drohend im Hintergrund.

Mercedes-Fahrer George Russell
Nur am Samstagvormittag war der Mercedes-Trend in Australien positiv, Foto: LAT Images

Wolff schwört weiter, dass er den Glauben an das Auto nicht verloren hat, auch dank guter vereinzelter Sessions. Ein Effekt, den man jedoch auch schon zu Beginn des Tiefs 2022 kannte. Auch damals gab es immer wieder einzelne Sessions, in denen das Auto plötzlich im Arbeitsfenster landete und die Probleme nachließen.

Trotz allem hält Wolff seinem Personal die Treue. Niemand sei in eine Art "Dogmatismus" verfallen, wie er es nennt, würde also Daten voreingenommen interpretieren und Alternativen nicht zulassen: "Ich sehe eine offene Umgebung, wo die Leute teilen, wo die Leute sich an der Nase nehmen und sagen: 'Vielleicht machen wir in meinem Bereich Fehler.'"

Wolff stellt sich als Mercedes-Teamchef nicht in Frage

Auch Wolff selbst will sich hinterfragen. Er werfe "jeden einzelnen Tag einen Blick in den Spiegel", um über alle Aspekte seines Tuns zu reflektieren: "Ich wäre der erste, der sagt: 'Wenn jemand eine bessere Idee hat, dann sagt es mir, weil ich daran interessiert bin, mit diesem Team so schnell wie möglich die Wende zu schaffen.'"

Mercedes-Teamchef Toto Wolff in der Pressekonferenz von Bahrain
Harte Zeiten für Toto Wolff, Foto: LAT Images

Am Sonntagabend in Melbourne wurde ihm diesbezüglich offen die Frage gestellt, ob er noch immer der richtige Mann für den Teamchef-Job sei. Erst im Winter hatte Wolff, dem gleichzeitig auch 33 Prozent des Teams gehören, sich mit seinen Miteigentümern Mercedes und Ineos auf eine dreijährige Vertragsverlängerung geeinigt.

"Ich denke, das ist eine faire Frage, aber aktuell habe ich nicht das Gefühl, dass ich das tun sollte", so Wolff. "Aber wenn jemand Ideen hat, wer das Ruder herumreißen könnte, dann werde ich mir die gerne anhören."

Mit der Einschränkung natürlich, dass er zugleich Miteigentümer ist - und damit so oder so ans Team gebunden, egal ob er gleichzeitig eine sportliche Führungsposition ausübt oder nicht: "Es ist keine Manager-Frage von wegen: 'Das ist mein Job, ich höre mit diesem Job auf, und dann übernimmt ihn ein anderer.' Ich habe diese Wahl nicht, was auch bitter ist. Ich bin kein Dienstleister, kein Angestellter, der sagt: 'Mir reicht es hier.' Mein Hamsterrad dreht sich weiter, und ich kann nicht rausspringen."