Zwei Tage sind um, und doch hat auch das Qualifying in Bahrain noch kein klares Bild geschaffen. Max Verstappen steht zwar auf Pole, doch an keinem Punkt dominierte er im neuen RB20 an diesem Wochenende die Formel 1 so, wie man es nach dem Test befürchtet hatte. Der Favoritencheck stellt nun die entscheidende Frage: Hat der Rest eine Chance, Red Bull heute im Rennen unter Druck zu setzen?

In der Pressekonferenz am Freitag war dieser Gedankengang Gegenstand von Witzen. "Die Lücke zu Max im Qualifying war wohl etwas geringer als wir alle erwartet haben", meinte der Drittplatzierte George Russell und kündigte für das Rennen eine halbe Sekunde Rückstand pro Runde an. Was Verstappen einen Lacher kostete, und Russell daraufhin die Frage: "Ist das zu wenig?"

In Verstappens Augen sieht es anders aus. "Viel zu groß", lautet das Fazit des Pole-Setters, der das Qualifying 0,228 Sekunden vor Charles Leclerc und 0,306 Sekunden vor Russell beendet hatte. Vom Start ins Wochenende an hatte Verstappen mit Setup-Problemen zu kämpfen gehabt. Der ganze Donnerstag bestand aus der Suche nach dem perfektem Kompromiss zwischen Vorder- und Hinterachse.

Kleine Schritte für Verstappen: Red Bull fehlt Perfektion

Es ist ein Temperaturproblem, folgert das Team. In Bahrain hat es seit dem Test vor einer Woche deutlich abgekühlt, um fünf Grad und mehr. "Wir haben das nicht eins zu eins auf die Reifenperformance umsetzen können", hält Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko auf 'ServusTV' fest. Klassisches Problem eines reifenschonenden Autos: Für Qualifying-Runden bekommt man die Reifen nicht so leicht ins perfekte Arbeitsfenster.

In Bahrain ist es zugleich jedoch kritisch, die Reifen richtig gut schonen zu können. Der harte Asphalt und die Traktionszonen nehmen die Hinterreifen hart ran. Ein aggressives Qualifying-Setup mit Übersteuern kann im Rennen zu einem Desaster ausufern. Bei der Suche nach dieser Balance sah Red Bull bei weitem nicht so unschlagbar aus wie beim Test. Der Ferrari war auf eine Runde ebenbürtig, Charles Leclerc verpasste die Pole wohl nur wegen eines strategischen Fehltritts:

Man sieht es wieder einmal auch an Sergio Perez, der noch hinter dem zweiten Ferrari von Carlos Sainz auf dem fünften Startplatz landete. "Ich denke, das Rennen wird auch eng", prognostizierte Verstappen am Freitagabend. Sein größter Vorteil: Seine Reifen schienen in den Trainings im Longrun nicht einzubrechen.

Mercedes schraubt zurück auf Renn-Pace: Harter Fight mit Ferrari

Mit ausreichend Enge rechnen Mercedes und Ferrari daher nicht. Sie kalkulieren noch immer, dass Verstappen auch im Renntrimm mindestens zwei bis drei Zehntel in der Hinterhand hat, vielleicht mehr. Das wäre dann zu viel, um bei normalem Rennverlauf Druck zu machen. "Letztendlich wird es ein Rennen zwischen uns allen um den zweiten Platz", so die Folgerung von George Russell.

Mercedes, Ferrari und McLaren waren am Freitag in den Longruns auf Augenhöhe. Mercedes schwört aber darauf, über Nacht mehr Rennpace ins Auto gepackt zu haben. Bei Russell in Form einer natürlichen Setup-Evolution. Ein wegen dem Grip (und damit Reifenabbau) der Hinterachse im Renntrimm stark besorgter Lewis Hamilton ließ sich zu einer Setup-Richtung hinreißen, die er seit zwei Jahren nicht mehr angerührt hatte, und bezahlte das mit Startplatz neun teuer.

Da das Feld so eng beieinander liegt, rechnen die Fahrer nämlich alle mit DRS-Zügen. Leclerc, Russell, Sainz, Perez, Alonso, Norris, Piastri, Hamilton - die Plätze zwei bis neun trennten im Qualifying drei Zehntel. Selbst wenn Hamiltons Poker also noch spät im Rennen aufgeht, hat er eine Mammutaufgabe vor sich. Überholen wird hier schwer.

Mittendrin in der Liste ist Fernando Alonso, der sich mit dem sechsten Startplatz selbst überraschte: "Massiv, ich bin extrem happy." Im Longrun war der Aston Martin am Freitag am stärksten eingebrochen, daher mahnt Alonso für das Rennen eher zur Vorsicht.

McLaren ist ein Fragezeichen: Oscar Piastri hat den stärksten Nicht-Red-Bull-Longrun zu Buche stehen. Beide Fahrer verblassten im Qualifying. Lando Norris ärgerte sich einmal mehr über einen Fehler im letzten Q3-Schuss, hier in Kurve 1: "Das hat mich mindestens eineinhalb Zehntel gekostet, das wäre heute Platz zwei gewesen." So wurde es nur Platz sieben. Von da ist es ein langer Weg bis zu Leclerc und Russell.

Red Bulls Reifen-Strategie: Nachteil oder RB20-Geheimnis?

Entscheiden wird das Rennen hinter Verstappen wohl der Reifenverschleiß. Sowohl Mercedes als auch Ferrari gaben sich seit dem Test in diesem Department optimistisch. Besonders die Scuderia. Wiederholt stellten Leclerc und Sainz klar, dass das Auto seine unberechenbaren Tendenzen mit vollen Tanks abgelegt hat. Dass sie jetzt die Pace über einen ganzen Stint kontrollieren und Reifenabbau minimieren können.

Auf dem aggressiven Bahrain International Circuit sind laut Reifenlieferant Pirelli zwei oder drei Stopps in etwa gleich schnell, zwei Stopps damit wahrscheinlich. Sportchef Mario Isola empfiehlt Soft-Hard-Hard, der Start auf Soft ist essenziell: "Sonst verlierst du zu viele Plätze." Der Unterschied zwischen Soft und Hard beträgt nämlich eineinhalb Sekunden. Ein Delta so groß, dass man in den ersten Runden mit Soft-Vorteil überholen kann.

Red Bull-Fahrer Max Verstappen
Verstappen bleibt haushoher Favorit, Foto: LAT Images

Der Medium ist fast auf einem Niveau mit dem Hard, baut aber schneller ab. Daher wird er im Rennen kaum eine Rolle spielen. Neun Teams haben sich folglich zwei neue Sätze Hard gespart. Red Bull überraschte in FP3, als man bei beiden Fahrern einen Hard verheizte. Im Vorjahr gewann Verstappen allerdings mit Soft-Soft-Hard. Für ein reifenschonendes Auto kein Problem.

Kleine Anmerkung: Wenn die Konkurrenz wider Erwarten anfangs den Anschluss halten kann, dann erreicht sie dadurch praktisch automatisch eine Undercut-Position. Für Soft-Hard-Hard öffnet sich das Boxenstopp-Fenster früher, schon ab Runde 11. Aber niemand will eigentlich dran glauben, dass Verstappen, so er denn den Start gewinnt, nicht einfach mit freier Fahrt in die Nacht von Bahrain verschwindet und nie wieder gesehen wird.