Was nach dem Qualifying in Monza passiert ist, ist lächerlich. Wobei: Eigentlich ist das, was zuvor nicht passiert ist, lächerlich. Niemand konnte nach dem Ende von Q3 mit Sicherheit die richtige Startaufstellung nennen. Niemand! Weder Fahrer, noch Teams, noch Offizielle. Stunden nach Qualifying-Ende schoben sich die Verantwortlichen noch gegenseitig die Schuld zu, warum es noch keine Startaufstellung gab.

Das größte Problem war: Wo startet Verstappen? Er hatte sich auf P2 qualifiziert und fünf Plätze Strafe für einen zusätzlichen Motor kassiert. Der gesunde Menschenverstand würde sagen: Er startet von Platz sieben. Das tut er auch. Warum, das haben wir in einem eigenen Artikel erklärt.

Neun Fahrer hatten unterschiedliche Strafversetzungen angehäuft. Das Problem ist aber nicht, dass es so viele Strafen gibt. Wer neue Motorkomponenten einsetzt, muss sportlich bestraft werden. Zumindest solange es keine Budgetobergrenze bei den Motoren gibt.

Sicherlich kann man über die Stafflung für Strafen diskutieren. Wieso kostet die erste neue Komponente zehn Plätze, die nächsten aber nur jeweils fünf? Auch die 'Back of the Grid' Regelung muss man nicht unbedingt gut heißen. Man kann über Sinn und Unsinn diskutieren.

Worüber man aber nicht diskutieren können sollte, ist die finale Startaufstellung. Doch genau das ist das Problem. Das Sportliche Reglement hat hier seit Jahren eine entscheidende Lücke. Es legt fest, welche Strafen es für welche Vergehen gibt, es legt aber nicht fest, wie die Strafen letztendlich appliziert werden.

Charlie Whiting hat mir einst an einer Excel-Tabelle erklärt, wie er zur Startaufstellung kommt. Schon damals fehlten die entscheidenden Zusätze im Sportlichen Reglement. Nach seinem Tod wussten nur wenige, wie mit mehreren Strafversetzungen umzugehen war. Bei einem Rennen in Österreich reklamierte ich die herausgegebene provisorische Startaufstellung - und tatsächlich wurde die Reihenfolge noch geändert.

Später gab es nochmals Differenzen zwischen 'meiner Startaufstellung' und jener der FIA. Doch dann wurde ich korrigiert: Das System wurde geändert! Wie konnte ich als Regeltreuer Formel-1-Journalist das nur übersehen haben? Tatsächlich aber wurden die Regeln nicht geändert. Nach wie vor fehlte der entsprechende Passus komplett.

Der damalige Rennleiter hatte Richtlinien an die Teams ausgeschickt, wie man Strafversetzungen nun handhaben wird. Davon erfuhr die Öffentlichkeit aber bis zum Clash unserer Startaufstellungen nicht. Die Richtlinien wurden nie veröffentlicht, das Sportliche Reglement seit Jahren diesbezüglich nicht angepasst.

Inzwischen habe ich herausgefunden, wie die Startaufstellung gemacht wird. Aber es gibt immer wieder neue Probleme. In Spa stellte sich die Frage, ob Strafen außerhalb der Motorenstrafen - wie für Getriebewechsel oder Fahrvergehen - bei der internen Reihenfolge der 'Back of the Grid'-Starter angewandt werden. Die Antwort seit Spa: Diese Strafen werden unter den Teppich gekehrt.

Kurz gesagt: Es ist irre kompliziert. Wahrscheinlich muss man das System vereinfachen. Aber auch für ein kompliziertes System muss es Regeln geben. Es ist ein großes Versäumnis der FIA, dass das bisher noch nicht geschehen ist. Warum wurden die Richtlinien nicht in das Sportliche Reglement übernommen? Warum wurden manche Fälle nicht durchdacht?

Michael Masi ist nicht schuld daran. Schon bei Charlie Whiting existierte dieses Vakuum. Es ist ein Grundsatzproblem der FIA: Der Rennleiter hat genug zu tun. Wie es mit Nicholas Tombazis einen Experten für das Technische Reglement gibt, so muss es auch jemanden geben, der - zusammen mit dem Rennleiter - am Sportlichen Reglement arbeitet. Seit dem Monaco GP gibt es diese Person tatsächlich: Francois Sicard. Seine erste Aufgabe dürfte ziemlich klar sein. Das ganze Rennen der Formel 1 heute in Monza gibt es hier im Liveticker.