Das China Wochenende begann mit einer Schreckstunde für Pirelli: Zuerst explodierte der linke Hinterreifen bei Felipe Massa. Zwar konnte man auf den TV-Aufnahmen kleine Karbonteile fliegen sehen, bevor zunächst Rauch aufstieg und sich der Reifen dann komplett verabschiedete, doch Pirelli wird einige Minuten später richtig gezittert haben: Wieder Massa, wieder Soft-Reifen, wieder hinten links. Wenige Augenblicke später flog auch noch Kevin Magnussen ein Reifen spektakulär um die Ohren. Wieder hinten links, wieder Soft.

Doch die Italiener konnten früh aufatmen: Bei Felipe Massa konnten die Ingenieure die neue Bremsbelüftung als Ursache für die Reifenschäden identifizieren, an Magnussens Renault sorgte eine defekte Radaufhängung für den Reifenschaden.

Doch aus dem Schneider ist Pirelli an diesem Wochenende noch nicht. Nach dem 2. Freien Training auf dem Shanghai International Circuit mehrten sich wieder kritische Kommentare der Fahrer über die Pneus des italienischen Alleinausrüsters.

Grosjean von Pirelli-Limits frustriert

Am deutlichsten wurde Romain Grosjean: "Ich finde die Druck-Limits von Pirelli heute lächerlich - sie sind so hoch und die Autos sind unfahrbar." Der Haas-Pilot hatte am Freitag offensichtlich größere Probleme mit der Balance seines Boliden. Für Grosjean reichte es am Ende des Tages nur zu Rang 16. "Man bekommt gar kein Gefühl, es ist wie ein Stück Holz - es ist nicht fahrbar", legte der Franzose nach. "Vielleicht haben wir mehr Probleme damit als andere, aber wenn wir diese Limits nicht hätten, würden wie niemals damit fahren."

In der Tat hat Pirelli die Vorgaben für Reifendrücke in diesem Jahr weiter erhöht. Seit den Reifenschäden beim Belgien GP sind die Italiener vorsichtig geworden und schreiben seither höhere Mindestdrücke vor. An diesem Wochenende gilt ein Minimalwert von 23 PSI an der Vorderachse und 20 PSI an der Hinterachse.

Im vergangenen Jahr lauteten die Vorgaben noch 20 PSI vorne und 18 PSI hinten. Pirelli hat sich zusammen mit den Teams darauf geeinigt, die Drücke an der Vorderachse etwas höher zu halten. Dafür haben die Teams mehr Freiheiten bei Sturz und Spur. An der Hinterachse genau das Gegenteil: Hier müssen die Reifen nicht Ballonartig aufgeblasen sein, dafür sind die Vorgaben bei Sturz und Spur enger.

Für Grosjean kein Trost: "Wir hatten schon jüngst ziemlich dramatische Limits, wir waren bei 20 oder 21 - das ist noch immer ziemlich hoch. Zu Michelin-Zeiten lagen die Grenzwerte bei 13 oder 15, selbst 2012 waren wir noch bei 16 bis 18 PSI. Aber jetzt stellen wir uns vor, dass wir auf dem Weg zu 26 PSI vorne und 23 PSI hinten sind - das ist schon fast ein Straßenauto."

Button unterstützt Grosjean: Eine Qual

Die an diesem Wochenende vorgeschriebenen 23 PSI entsprechen knapp 1,6 bar. Im vergangenen Jahr wurde mit etwas weniger als 1,4 bar gefahren. Für Rennfahrer ein riesen Unterschied. "Es wäre gut, wenn wir das ein wenig ändern könnten, weil es nicht wie ein Rennauto anfühlt", fordert der aufgebrachte Grosjean.

Unterstützung erhält der Haas-Pilot von Jenson Button. "Ich denke, die Formel 1 quält sich aktuell mit dem Reifen-Thema, mit dem Druck, mit den Grenzwerten - es ist knifflig, die Reifen rutschen viel mehr, es gibt keinen wirklichen Grip, weil der Reifendruck so hoch ist. Man verliert den Grip, weil nur ein kleiner Teil vom Reifen den Asphalt berührt."

Vorderachse Min. Hinterachse Min.
Barcelona Test '15 18 17
Spanien GP '15 19 18
Barcelona Test '16 21 19
China GP '15 20 18
China GP '16 23 20

Doch Shanghai ist nicht die einzige Strecke, auf der Pirelli den Druck drastisch angehoben hat. Schon bei den Testfahren in Spanien beklagten sich viele Piloten und Ingenieure über die Vorschriften. Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com lagen die Grenzwerte bei den Testfahrten in Barcelona 2016 bei 21 PSI vorne und 19 PSI hinten. Beim Spanien GP 2015 waren es noch 19, respektive 18 PSI, bei den Wintertests 2015 18 PSI an der Vorderachse und 17 PSI an der Hinterachse.

Pirelli nimmt Luftdrücke zum Performance-Ausgleich

Die Italiener behelfen sich mit den Limits, damit ihre Reifen den immer größeren Belastungen der ständig verbesserten Boliden standhalten. Pirelli nahm über den Winter keinerlei Änderungen an der Struktur der Reifen vor, die Autos haben aber deutlich mehr Abtrieb als im Vorjahr und zudem noch mehr Leistung.

Die Reifenflanken müssen in schnellen Kurven arbeiten, Foto: Sutton
Die Reifenflanken müssen in schnellen Kurven arbeiten, Foto: Sutton

Die Teams wollen bei den Luftdrücken tiefer gehen, um mehr Auflagefläche zu haben. Je stärker ein Reifen aufgeblasen ist, desto weniger liegt er auf dem Asphalt auf. Desto stärker er aufgeblasen ist, desto weniger wird aber auch die Struktur des Reifens in schnellen Kurven belastet. Bei hohen lateralen Kräften und wenig Luft arbeiten die Seitenwände deutlich mehr.

Auch in Australien und Bahrain waren die Vorgaben seitens Pirelli höher, der Aufschrei der Piloten hielt sich aber in Grenzen. Das liegt teilweise an der Streckencharakteristik. In Shanghai brauchen die Piloten viel Grip auf der Vorderachse, speziell in der langsamen Schneckenkurve. Bei höheren Geschwindigkeiten werden die Reifen so zusammengestaucht, dass die Auflagefläche ohnehin größer ist. Deshalb beklagten sich die Fahrer bei den Testfahrten vor allem im langsamen letzten Sektor über ein Fahrgefühl wie auf rohen Eiern.

Welch großen Einfluss die Luftdrücke haben, zeigt der Blick auf die Rundenzeiten. Hamiltons Freitagsbestzeit aus dem Vorjahr war 1:37.219. In diesem Jahr fuhr Kimi Räikkönen mit 1:36.896 nur drei Zehntelsekunden schneller - auf den Supersoft-Reifen. 2015 kamen in China nur Soft und Medium zum Einsatz. Hamilton selbst kam gar nicht an seine Trainingszeit von 2015 heran - trotz weicherer Reifen, trotz mehr Abtrieb, trotz mehr Power.