Eigentlich sollte der E21 schon in Spa mit verlängertem Radstand an den Start gehen, allerdings schaffte es die Mannschaft von Eric Boullier nicht, die neuen Teile rechtzeitig fertigzustellen. Somit soll es nun in Monza zum erstmaligen Einsatz kommen, hundertprozentig sicher ist aber auch das noch nicht. Gut möglich, dass zunächst nur ein Pilot in den Genuss des Updates kommt, wie der Teamchef erklärt: "Ich weiß nicht, ob wir die neuen Teile für beide Autos bringen können, weil wir auch noch Ersatzteile brauchen. Man kann immer zwei Sets mit an die Strecke bringen, aber man braucht Ersatzteile, sonst macht es keinen Sinn."

Ob Boullier dabei vor allem an Romain Grosjean denkt? Der Franzose würde nicht zum ersten Mal die Ersatzteilabteilung von Lotus auf die Probe stellen. Doch was passieren kann, wenn ein Team zu wenig Ersatzmaterial mit zur Strecke bringt, zeigte sich 2010 in Silverstone, als Sebastian Vettel seinen Frontflügel beschädigte und den einzig verbliebenen in der neuesten Konfiguration erhielt. Mark Webber musste auf ein älteres Modell zurückgreifen, der teaminterne Krieg nahm seinen Lauf. Aber der Einsatz an lediglich einem Boliden macht auch aus technischer Sicht Sinn: "Vielleicht können wir sie vergleichen - wir fahren dann bei einem Auto mit der Basis-Konfiguration, bei dem anderen mit langem Radstand und sehen dann, was er bringt", erklärte Boullier bei Autosport.

Um etwa zehn Zentimeter soll der Radstand des Lotus verlängert werden, eine technische Änderung, die sich gleich mehrfach auswirkt. Weil sich die Fahrwerkspunkte erheblich verschieben, ändert sich zunächst die Kinematik, die einen großen Einfluss auf das Fahrverhalten hat. Aber auch die Aerodynamik ändert sich, weil die Luft mehr Weg bis zum aerodynamisch extrem wichtigen Heckbereich zurücklegt. Auf diesem längeren Weg soll sie sich beruhigen, die Anströmung somit besser erfolgen. Doch das ist nur ein Nebeneffekt, wie Boullier sagt: "Ich glaube nicht, dass es aus dieser Idee heraus entstanden ist. Die Formel 1 ist ziemlich aerodynamiklastig, wenn es um die Performance geht, aber die Fahrzeug-Performance-Gruppe wollte etwas machen, dass das Handling des Autos verbessert."

Zwar würde sich das Auto insgesamt nicht 'drastisch' ändern, allerdings betrifft die Änderung zweifellos auch andere Bereiche. "Vielleicht öffnen sich dadurch auch ein paar Türen in anderen Bereichen", gab der Franzose zu. "Es ist immer ein Risiko. Aber kein Team im Paddock kann sagen, wenn es heute ein Upgrade mit an die Strecke bringt, dass es kein Risiko ist. Aber es stimmt, dass dieses [der verlängerte Radstand] vielleicht ein bisschen riskanter ist, weil es Konsequenzen beim Fahrwerk, der Aerodynamik und beim Handling mit sich bring."

Simulator-Korrelation essentiell

Doch wieso geht Lotus dieses Risiko ein? Zum einen gibt es in der Weltmeisterschaft nicht mehr viel zu verlieren. Misslingt das Projekt, wird Lotus wohl kaum hinter McLaren zurückfallen, gelingt der Versuch, kann Lotus noch um Platz zwei in der Konstrukteursweltmeisterschaft kämpfen und Kimi Räikkönen hätte zumindest noch eine etwas realistischere Chance auf den Fahrertitel. Doch wichtiger sind für die Mannschaft aus Enstone Daten. Daten, die zuvor im Simulator gesammelt wurden und sich nun auf der Strecke beweisen sollen. "Wir müssen es tun, weil wir unser System testen wollen." Das von Boullier angesprochene System ist die neue Vorgehensweise von Lotus, nicht mehr blind neue Teile an die Strecke zu bringen, sondern diese zuvor ausgiebig im Simulator zu testen.

Sind genügend Ersatzteile an Bord?, Foto: Sutton
Sind genügend Ersatzteile an Bord?, Foto: Sutton

Boullier bezeichnet den verlängerten Radstand als ein Resultat des neuen "Driver-in-loop-Simulators", der sich sehr von den Varianten anderer Teams unterscheidet. "Verschiedene Teams nutzten verschieden Strategien beim Simulator. Red Bull zum Beispiel benutzt ihn [den Simulator] wie ein drittes virtuelles Auto. Das wollen wir nicht." In der Tat fährt das Weltmeisterteam eine andere Strategie. In Monaco strauchelte Red Bull am Freitag noch und haderte mit dem Setup, am Samstag waren Sebastian Vettel und Mark Webber wieder bei der Musik. Zwischenzeitlich wurden im Simulator etliche Runden gedreht und das Setup optimiert und - gemeinsam mit einem neuen Frontflügel - funktionierte der RB9 in den Straßenschluchten des Fürstentums plötzlich.

"Wir präferieren es, den Simulator bei der Entscheidungsfindung zu nutzen. Wir haben nicht so viel Geld wie Red Bull, deswegen müssen wir unterschiedlich arbeiten." Heißt: Bevor in Enstone neue Teile im Autoklaven gebacken werden, werden sie ersteinmal im Simulator auf Herz und Nieren geprüft. Nach dem Simulator steht dann der Windkanaltest an, auch dort habe sich der längere Radstand als vorteilhaft erwiesen. "Am Ende kamen alle verschiedenen Gruppen zu dem Schluss, dass es ein Performance-Bonus ist, deshalb probieren wir es." Wenn der 'E21L' zum ersten Mal auf die Strecke gehen wird, haben die Piloten also bereits Erfarhung damit sammeln können - zumindest Romain Grosjean. "Kimi interessiert sich nicht so sehr für den Simulator", warf Boullier ein.

Nach dem Wechsel von James Allison zu Ferrari übernahm Nick Chester die Rolle des Technischen Direktors bei Lotus. Viel geändert hat sich seitdem nicht, wie Boullier verrät: "Es gibt verschiedene Modelle. Beim Red-Bull-Modell entwickelt Adrian Newey Ideen, Konzepte und Zeichnungen - aber bei uns ist es anders." Eine Gruppe aus zehn bis 20 Ingenieuren arbeitet an den Konzepten, die schließlich vom Technischen Direktor in letzter Instanz abgesegnet werden, die einzelne Person ist folglich weniger entscheidend im Lotus-System. "Der Fluss der Ideen und Konzepte ist noch immer der gleiche." Außer beim Radstand, dort hätte sogar ausnahmsweise Chef Boullier höchstpersönlich die Entscheidung getroffen.