So etwas hatte die Formel 1 noch nie erlebt: Ein Mann, Anfang 30, nur mit einem roten Stoffcape bekleidet, springt nach dem prestigeträchtigen Großen Preis von Monaco, Bernie Ecclestones Kronjuwel, in hohem Bogen in einen Pool. Ein Verrückter? Ein Flitzer? Ein irischer Priester, der genug von Silverstone hat? Nein, der Mann heißt Christian Horner, ist seines Zeichens der jüngste Formel-1-Teamchef aller Zeiten bei einem Rennstall namens Red Bull Racing.

Mit seinem Superman-Flug feierte er den ersten Podestplatz des gerade einmal für anderthalb Jahre bestehenden Teams. Diese Episode aus der Saison 2006 beweist: Red Bull Racing ist anders. Anders als alle Anderen in der Formel 1. Nachdem der Energy-Drink-Konzern das Team Ende 2004 von Ford übernommen hatte, begann er damit, das Formel-1-Establishement zu ärgern.

Zunächst noch lange nicht auf der Rennstrecke, dafür aber umso mehr daneben. Red Bull brachte - sehr zum Entzücken der Fotografen und Paddockgäste - die Formula Unas ins Fahrerlager, also bildhübsche Models, die bei jedem Rennen die frisch eingeweihte und immer weiter wachsende Energy Station schmückten. Eben jenes Super-Motorhome war der nächste Dorn im Auge der Etablierten und führte zum Wettrüsten der Motorhomepaläste.

Red Bull ist einfach anders: Horners Podestsprung in Monaco, Foto: Sutton
Red Bull ist einfach anders: Horners Podestsprung in Monaco, Foto: Sutton

Aber nicht nur das: Red Bull verzichtete auf einen (externen) Hauptsponsor, wenn neben den eigenen Marken etwas beworben wurde, dann höchstens Hollywoodfilme wie Star Wars oder Superman - und das am liebsten in Monaco und mit der passenden Ausstattung, also inklusive Chewbacca, C3PO und einer ganzen Armada Sturmtruppen.

Kurz bevor Christian Horner im Pool planschte, stand David Coulthard im Superman-Cape auf den Siegertreppen des Fürsten von Monaco. Das hätte sich sonst kein Team getraut. Red Bull galt als Spaßtruppe, die keiner so wirklich ernst nahm - bis der Erfolg kam und alle anderen Teams überrollte. "Das ist heute ein besonderer Tag für Herrn Mateschitz, der vor sieben Jahren eine Vision hatte und das damalige Jaguar Team kaufte", sagt Horner – gerade erfolgreicher Titelverteidiger in der Konstrukteurs-WM. "Herr Mateschitz sollte sehr stolz darauf sein, was sein Team heute erreicht hat."

Alles, was Dietrich Mateschitz anfasst, scheint zum Erfolg verdammt zu sein - selbst in einem Haifischbecken wie der Formel 1. "Viele Medien warten schon ewig darauf, dass bei uns als Unternehmen mal etwas schief geht, dass wir auf die Nase fallen", sagte Mateschitz bereits nach dem ersten Titeldoppelschlag 2010. "Wenn wir den Titel nicht geholt hätten, hätten sie das sicher so interpretiert. Aber jetzt, nachdem es auf unsere Art, ohne Eingreifen, geklappt hat, dürfen sie weiter warten. Das ist ein bisschen wie Warten auf Godot." McLaren, Ferrari & Co warten auch 2011 weiter...

Die Väter des Erfolges könnten nicht unterschiedlicher sein: Da wäre der Jungspund unter den Teamchefs, eben jener Christian Horner, der sich die Sporen mit seinem eigenen Formel-3000-Rennstall Arden verdiente. Dann der Senior, Ex-F1-Pilot Helmut Marko, der quasi als rechte Hand von Mateschitz alles unter Kontrolle hält und bei vielen als der wahre Teamboss gilt - sie sehen Horner eher als Marionette, die mit zappelnden Füßen am Kommandostand sitzt und tut, was die österreichischen Bosse befehlen. Und natürlich der Star im Team, Adrian Newey, einer der erfolgreichsten und besten F1-Designer aller Zeiten.

Diese Zutaten reichten aber alleine nicht aus. "Wir hatten mit Adrian einen Dirigenten, aber noch keine Musiker", vergleicht Horner die Aufbauarbeit des Teams. "Unsere Aufgabe war es, das gesamte Orchester zusammenzustellen." Im ersten Jahr 2005 ging es praktisch nur darum, die Stärken und Schwächen des Teams zu verstehen und die richtigen Leute zu verpflichten. Newey war dabei eine der Schlüsselfiguren, aber auch Peter Prodromou, Rob Marshall & Co leisteten ihren Beitrag dazu, dass Red Bull innerhalb weniger Jahre eine der besten Technikergruppen der Formel 1 in seiner Fabrik in Milton Keynes versammelte.

Bei Red Bull gab es nicht nur schnelle Autos, Foto: GEPA
Bei Red Bull gab es nicht nur schnelle Autos, Foto: GEPA

"Das 2007er Auto war das erste, das Adrian entworfen hat. Es war gleich ein Fortschritt", erinnert sich Horner. "Aber die Infrastruktur, um Adrian zu unterstützen, war noch in den Kinderschuhen." Diesen Puzzlestein fügte das Team im Jahr 2007 und Anfang 2008 hinzu. "Das Team hatte nicht die Infrastruktur der Top-Teams", blickt Newey zurück. "Das war damals anders, als ich zu Williams und McLaren kam. Dort musste ich nur das Auto designen. Hier war die Herausforderung größer."

Deshalb dauerte es eine gewisse Zeit, bis die ersten Erfolge eintraten. "Der RB4 in der Saison 2008 war ein gutes Chassis", sagt Christian Horner. Doch am Ende war es das Schwesterteam Toro Rosso, das ehemalige Minardi-Team, welches ein identisches Auto einsetzte, das in Monza die erste Pole Position und den ersten Sieg eines Red-Bull-Boliden einfuhr - am Steuer saß damals ein gewisser Sebastian Vettel. "Es gab also Anzeichen, dass das Team ein qualitativ gutes Auto bauen konnte", so Horner.

Die Bestätigung lieferte die Saison 2009. Dank eines stark veränderten technischen Reglements durfte Newey das neue Auto auf einem weißen Blatt Papier beginnen - das spielte seinem Geniebonus in die Hände. Bei Regeländerungen wusste Newey bislang immer zu überzeugen Seine Ingenieurstruppe war mittlerweile perfekt aufeinander abgestimmt und eingespielt. Alles war bereit für den großen Wurf - doch dann kam Brawn GP mit dem Doppeldiffusor. Jenson Button dominierte die erste Saisonhälfte, gewann sechs der ersten sieben Rennen und legte den Grundstein für den Überraschungstitel.

Dabei hatte Red Bull das beste Nicht-Doppeldiffusor-Auto und zeigte in der zweiten Hälfte, als Newey besagte Komponente nachgerüstet hatte, dass der RB5 das schnellste Auto des Feldes war. "Mit dem RB5 ist dem Team ein toller Wurf gelungen, obwohl wir den Doppeldiffusor nicht von Anfang an hatten, was uns das erste Drittel der Saison kostete", gesteht Horner. "Aber sobald wir ihn hatten, haben wir die meisten Punkte geholt. Das Team machte gute Entwicklungsschritte und wir hatten Ende 2009 das beste Auto."

Das setzte sich 2010 fort. Der RB6 war das dominierende Auto der Saison, nur Fehler der Fahrer, des Teams und der Technik verhinderten einen klaren Durchmarsch. Auf einer Runde im Qualifying war Red Bull quasi unbesiegbar. Im sechsten Jahr feierte das Team die ersten beiden WM-Titel auf seine eigene Weise: Mit Sprüngen in den Yachthafen von Abu Dhabi.

Ein Jahr später fanden sie sich wieder in der Nähe von Wasser wieder – nach dem erwarteten Titelgewinn von Sebastian Vettel in Suzuka gab es in Korea die erfolgreiche Titelverteidigung in der Konstrukteurs-WM zu bejubeln. "Die Ambitionen, das Verlangen und der Teamgeist heben unser Team von den anderen ab", glaubt Horner. Wenr am Freitag in die RBR-Box kommt, hört laute Musik aus den Boxen dröhnen.

"Aber die Jungs arbeiten hart und lang – in dieser Atmosphäre sind unsere Ergebnisse gewachsen." Das muss auch die Konkurrenz eingestehen, allerdings keinesfalls neidlos. Umso mehr sagt Horner mit großer Genugtuung: "Für einen Getränkehersteller ist es nicht allzu schlecht, zwei Fahrer- und zwei Konstrukteurstitel hintereinander zu gewinnen."

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