In Jordanien verzichte Ford vor dem Sonntag bewusst auf die Führungsposition und konnte nicht zuletzt durch die späteren Startpositionen einen ungefährdeten Sieg feiern. Auf Sardinien waren es dann beide WM Anwärter, die die großen Zeitunterschiede auf ihre jeweiligen Startpositionen zurückführten. Am Freitag verlor Mikko Hirvonen eine Minute auf Sébastien Loeb, da er als Erster auf die Piste musste, am Samstag und Sonntag dann Loeb 50 Sekunden, - so der Tenor.

Bei Schotterrallyes müssen die führenden Piloten die Strecke erst frei fahren, Foto: BP Ford
Bei Schotterrallyes müssen die führenden Piloten die Strecke erst frei fahren, Foto: BP Ford

Das Problem ist dabei die Regel, nach der am Samstag und Sonntag in der Folge der Endplatzierung des Vortages gestartet wird. Das heißt der Führende des Vortages geht als Erster auf die Etappen des Folgetages. Auf Schotterrallyes ist das bei trockenen Bedingungen in der Regel ein großer Nachteil, da die ersten Piloten zunächst den losen Schotter von der Ideallinie fahren müssen, während die späteren Piloten eine immer freiere und somit auch schnellere Ideallinie vorfinden. Irgendwann fangen die Streckenverhältnisse zwar meistens auch wieder an sich zu verschlechtern, doch davon merkt zumindest die WRC Spitze nichts mehr. Besonders unangenehm ist hingegen, dass insbesondere der Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Piloten oft sehr groß ausfällt.

Was bei dieser Regelung mehr und mehr auf der Strecke bleibt, ist ein wenig der Sport: Ford erhielt für seine Taktik in Jordanien viel Anerkennung, schließlich war sie letztlich der Garant für den Sieg, doch auf der anderen Seit mischte sich auch Kritik in die Diskussion. Kritik, weniger an Ford als vielmehr am Reglement. Denn bei der aller Faszination einer guten Taktik, wollen die meisten Fans doch keine Rallyes sehen, die mit dem Rechenschieber entschieden werden. Vielmehr sollen die Fahrer vom ersten bis zur letzten Etappe alles geben, um Sekundenbruchteile streiten und am Ende soll der Beste gewinnen. Piloten, die eine Etappe bewusst langsamer fahren oder sogar vor der Ziellinie warten, um eine Zielzeit zu erreichen, kommen im Herz der meisten Motorsportfans eher einem Alptraum gleich. Zwar betrifft dieses offensichtliche Bummeln meist nur die letzte Etappe des Freitags und Samstags, doch auch in den Köpfen der Fahrer dürfte es einen Unterschied machen, ob das Tagesziel lautet, voll anzugreifen oder den Tag als Zweiter zu beenden.

Als Führender in einen WRC Tag, die Landung ist oft hart, Foto: Sutton
Als Führender in einen WRC Tag, die Landung ist oft hart, Foto: Sutton

Doch das ist nur die eine Seite: Denn um die Relation nicht zu verlieren, bisher kam es sehr selten zu derartig offensichtlichen Bummelfahrten. Viel problematischer scheint, dass spätestens seit Jordanien nun jedem im WRC Lager klar ist, dass es wirklich ein Vorteil sein kann, bewusst eine spätere Startposition anzupeilen. Das heißt nicht nur, dass diese Taktik ab jetzt möglicherweise von jedem Team angewendet werden könnte. Vielmehr wird sich jedes Team, das diese Taktik nicht anwendet, auch intern mit der Frage konfrontiert sehen, warum es auf diesen taktischen Vorteil verzichtet. Ein WRC Engagement kostet viele Millionen Euro, da kann es sich kein Konzern erlauben, auf taktische Vorteile zu verzichten.

Doch noch ein weiterer Effekt ist alles andere als erstrebenswert: Die Teams neigen dazu, ihre Leistungen nicht mehr kritisch darzustellen, sondern verstrecken sich medienwirksam hinter den vermeintlich schlechten Streckenbedingungen. Dass Hirvonen am Freitag auf Sardinien fast eine Minute auf Sébastien Loeb verlor, wohingegen er allein am Samstag rund 30 Sekunden auf den Franzosen gutmachen konnte, hatte nicht nur mit der Strecke zu tun. Ob Hirvonen am Freitag schwächelte und sich am Samstag steigerte oder ob Loeb am Freitag in herausragender Form war und am Samstag einen schwächeren Tag erwischte, sei dabei dahingestellt. In jedem Fall ist es mehr als unwahrscheinlich, dass sich die Streckenverhältnisse um gleich 90 Sekunden verschoben, denn das wäre mehr gewesen als bei fast allen Rallyes in den letzten Jahren und das bei einer Rallye, bei der die meisten Experten davon ausgingen, dass die Unterschiede sehr gering ausfallen würden.

Sébastien Loeb gewann die Rallye Sardinien, obwohl er zwei Tage in Führung lag, Foto: Sutton
Sébastien Loeb gewann die Rallye Sardinien, obwohl er zwei Tage in Führung lag, Foto: Sutton

Die aktuelle Regelung ist so kaum akzeptabel. Einerseits gibt sie der Rallye WRC ein taktisches Element, das den meisten Fans entschieden zu weit geht; andererseits verschafft sie den Teams ein Alibi, um fast jede schlechte Leistung zu erklären und fast jede gute Leistung zu entwerten. Das Fazit Fords lautete nach der Rallye Sardinien "Freitag konnten wir nichts machen, da hatten wir zu schlechte Bedingungen, aber Samstags und Sonntags fuhren wir in einer eigenen Liga", wohingegen man im Citroen Lager werbewirksam zu Protokoll gab "Wir waren zwar an zwei Tagen langsamer als Ford, aber eigentlich schneller, weil wir an zwei Tagen die schlechteren Bedingungen hatten und trotzdem einen Vorsprung ins Ziel gerettet haben". Sportlich angemessener wären wohl Sätze wie "Am Freitag war Citroen einfach besser, doch am Samstag und Sonntag zeigten wir unsere wahre Geschwindigkeit" oder "Wir hatten Glück, dass Ford am Freitag seine Geschwindigkeit nicht umsetzen konnte, aber wir freuen uns, dass wir unseren Vorsprung ins Ziel retten konnten" gewesen.

Doch wie lässt sich diese Problematik entschärfen? Mit Sicherheit würde ein Verbot, langsam zu fahren, ähnlich wie das Stallregieverbot der Formel 1 nichts bewirken. Damit würde zwar offen sichtbaren Manipulationen ein Riegel vorgeschoben, doch eine über mehrere Etappen bewusst langsamere Fahrweise, ließe sich wohl kaum aufdecken. Auch an die Sportlichkeit der Teams zu appellieren und eine Art Verhaltencode zu schaffen, macht wenig Sinn. Kein Fahrer oder Team wäre gewillt, wirklich um die letzte Sekunde zu kämpfen, wenn genau diese ihm möglicherweise eine deutlich schlechtere Position für den nächsten Tag einbringen könnte. Vielmehr muss eine Möglichkeit gefunden werden, den Erfolg einer Tagesführung nicht zu bestrafen.

Auf Asphaltrallyes ist das Problem zwar deutlich geringer, doch es gibt mehr Schotterläufe, Foto: Sutton
Auf Asphaltrallyes ist das Problem zwar deutlich geringer, doch es gibt mehr Schotterläufe, Foto: Sutton

Die einfachste Möglichkeit bestünde darin, die Startreihenfolge einfach umzudrehen. Doch auch wenn es sportlich mit Sicherheit fair wäre, dem besser platzierten Fahrer auch mit besseren Bedingungen zu belohnen, wäre das organisatorisch höchstproblematisch: Auf einer Etappe kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, defekte Autos stehen am Rand oder schleppen sich ins Etappenziel, wenn nun noch die Schnelleren auf die langsameren Autos folgten, wären Probleme vorprogrammiert. Doch auch der Zeitplan ließe sich vermutlich nicht einhalten. Momentan beenden führende Fahrzeuge oft schon die nächste Etappe, während das Mittefeld gerade auf der Vorigen ins Ziel rollt. Immer auf die letzten Fahrzeuge warten zu müssen, wäre in diesem Zusammenhang ziemlich nachteilig. Darüber hinaus wäre es durch die später wieder abbauenden Streckenverhältnisse wohl auch für die führenden Fahrzeuge nicht immer von Vorteil, als letzte Fahrzeuge auf eine Etappe zu gehen, auch diese Lösung scheint nicht praktikabel.

Im Mittelfeld sind die Bedingungen relativ konstant, Foto: Hardwick/Sutton
Im Mittelfeld sind die Bedingungen relativ konstant, Foto: Hardwick/Sutton

Ein anderer Weg wäre die Startpositionen per Zufall zu bestimmen. Doch auch diese Variante bringt zunächst nur Nachteile. Denn, wenn künftig dann der führende Pilot beispielsweise als Erster und der Zweitplatzierte nicht mehr als Zweiter, sondern beispielsweise als 20. auf die Etappe ginge, würde sich der Unterschied sogar noch vergrößern. Von den organisatorischen Problemen einmal ganz abgesehen.

Mit einer kleinen Modifikation ließe sich dieses Problem allerdings möglicherweise umgehen. So könnten die Positionen entweder nur innerhalb einer Fahrzeugkategorie oder aber an Positionen gebunden verlost werden. So könnten beispielsweise immer Gruppen mit im Klassement aufeinander folgenden Fahrern gebildet und anschließend mit einer zufälligen Starposition versehen werden. Bei Fünfergruppen würde ein Erstplatzierter dann beispielsweise genau wie ein Zweit- oder Drittplatzierter am nächsten Tag auf einer Startposition von eins bis fünf in eine Rallye gehen und es würde keinen Sinn mehr machen, bewusst z.B. die Führungsposition zu umgehen. Einen Schwachpunkt hat aber auch diese Lösung, so dürfte es dann lukrativ werden, nicht auf der jeweils letzten Position innerhalb einer Gruppe zu liegen. Im Beispiel mit Fünfergruppen also nicht Fünfter oder Zehnter, sondern lieber Sechster oder Elfter zu werden. Da der Effekt der besser werdenden Strecke jedoch von Position zu Position geringer wird, könnte sich dieses Problem zumindest tendenziell aber von selbst lösen. So dürfte es im Zweifelsfall lukrativer sein, lieber mit fünf Sekunden Vorsprung auf Position fünf zu liegen, als mit fünf Sekunden Rückstand auf Position sechs und so bleibt auch hier der vergleichsweise hohe organisatorische Aufwand das Hauptgegenargument.

Mancher Pilot würde trotz der schlechteren Bedingungen gerne einmal in Führung liegen, Foto: Suzuki
Mancher Pilot würde trotz der schlechteren Bedingungen gerne einmal in Führung liegen, Foto: Suzuki

Der hohe Aufwand ist auch das Hautproblem bei einer weiteren Maßnahme, die sehr schnell realisierbar scheint. Unabhängig von grundsätzlichen Änderungen sollte die Startreihenfolge künftig nicht nur tagesweise, sondern beispielsweise einmal am Tag im Service Park angepasst werden. Die eigentliche Problematik würde dadurch zwar nicht gelöst, doch zumindest weiter entschärft.

Für das Problem der Startreihenfolge gibt es nicht die eine, perfekte Lösung. Doch die meisten Lösungen sind besser, als das bestehende System. Ob die Positionen letztlich verlost werden oder künftig ähnlich wie beim Skispringen einfach einige Vorfahrzeuge über die Etappen geschickt werden, sei dahingestellt. Auf jeden Fall muss sich etwas ändern, da mit die Rallye WRC nicht zu einer Art Schachbrett wird. Der Führende am Ende eines Tages, sollte sich auch künftig wie der Sieger und nicht wie der erste Verlierer fühlen!